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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Duellfrage

verletzt. Es ist ihm beim besten Willen nicht interessanter, ob sich hier ein Paar
Offiziere wegen eines Ehrenhandels geschossen haben, oder ob dort ein Herr
von Soundso wegen Hochstapelei festgesetzt ist. Man weiß, daß so etwas schon
immer vorgekommen ist und auch immer wieder einmal vorkommen wird. Das
Vaterland gerät dadurch nicht in Gefahr. Solche episodischen Vorkommnisse ver¬
mögen bei ihm kein Mißbehagen auszulösen. Auch dem Offizierstande gegen¬
über nicht. Im Gegenteil. Man findet es ganz gerechtfertigt, daß den viel¬
beneideten Prärogativen dieses Standes auch Schattenseiten gegenüberstehen und
von gewissen, weniger beneidenswerten Verpflichtungen und Opfern die Wag¬
schale gehalten wird. Doch genug hiervon! Es ist weder meine Absicht, die
Duellfrage hier aktuell-politisch zu erörtern, noch will ich dieses alte Problem
überhaupt von dem Standpunkte "modernen Sehens" oder "moderner Erkenntnis"
behandeln. Der Stoff, den ich biete, ist abgeschlossen, er ist alt und an sich
ganz unmodern. Er steht auf bereits vergilbten Blättern geschrieben, aber
gewährt doch so viel frischen Reiz und gibt auch für heute noch so viel zu
denken! Ich will an der Hand der uns überlieferten Rechtsquellen darzulegen
versuchen, wie man in einer politisch und kulturell hochbewegten Zeitperiode,
etwa von der zweiten Hälfte des sechzehnten bis zum Beginn des achtzehnten
Jahrhunderts, die Duellfrage an maßgebender Stelle in einem Staate auf¬
gefaßt und gesetzgeberisch behandelt hat, der in dem damaligen heiligen römischen
Reich deutscher Nation in mehr als einer Beziehung tonangebend war, und so auch
die Spezialstrafgesetzgebung gegen das Duell nicht nur am frühesten auf¬
genommen, sondern sie auch in verhältnismäßig kurzer Zeit am vollkommensten
ausgebildet hat -- im Kurfürstentum Sachsen.




Der Zweikampf als solcher, d. h. der Wassergang zwischen zwei Gegnern
unter Jnnehaltung ganz bestimmter einleitender und weiterhin zu beobachtender
Förmlichkeiten ist dem deutschen Rechte seit uralten Zeiten bekannt- Lesen wir
den 63. Artikel des im dreizehnten Jahrhundert entstandenen Sachsenspiegels,
eines Rechtsbuchs, das ja selbst kein neues Recht schuf, sondern nur uraltes
Gewohnheitsrecht in schriftlicher Fassung enthält, so erkennen wir zwar eine
geradezu verblüffende, bis ins einzelne gehende Übereinstimmung zwischen einst
und jetzt in der Form, aber welch ein tiefgehender Unterschied zwischen damals
und heute besteht doch in der Sache! Der mittelalterliche gerichtliche Zwei¬
kampf war nichts anderes, als ein von der Rechtsanschauung des gesamten Volkes
geheiligtes prozessuales Beweismittel für die Berechtigung einer gegen den
Gegner angestrengten peinlichen Klage. In der Glosse heißt es: "Kempfflichen
grüssen aber ist sovil als einen mit peinlicher klag zu leib und leben ansprechen.
Und diese ansprach mag der Man nicht ehr thun, als er seinen schaden ander-
wege sonst nicht beweisen kan. Dann alsdann erst mag der Kampfs mit Gott
und gutem gewissen geschehen, sonderlich was den anlanget, der rechte sache


Die Duellfrage

verletzt. Es ist ihm beim besten Willen nicht interessanter, ob sich hier ein Paar
Offiziere wegen eines Ehrenhandels geschossen haben, oder ob dort ein Herr
von Soundso wegen Hochstapelei festgesetzt ist. Man weiß, daß so etwas schon
immer vorgekommen ist und auch immer wieder einmal vorkommen wird. Das
Vaterland gerät dadurch nicht in Gefahr. Solche episodischen Vorkommnisse ver¬
mögen bei ihm kein Mißbehagen auszulösen. Auch dem Offizierstande gegen¬
über nicht. Im Gegenteil. Man findet es ganz gerechtfertigt, daß den viel¬
beneideten Prärogativen dieses Standes auch Schattenseiten gegenüberstehen und
von gewissen, weniger beneidenswerten Verpflichtungen und Opfern die Wag¬
schale gehalten wird. Doch genug hiervon! Es ist weder meine Absicht, die
Duellfrage hier aktuell-politisch zu erörtern, noch will ich dieses alte Problem
überhaupt von dem Standpunkte „modernen Sehens" oder „moderner Erkenntnis"
behandeln. Der Stoff, den ich biete, ist abgeschlossen, er ist alt und an sich
ganz unmodern. Er steht auf bereits vergilbten Blättern geschrieben, aber
gewährt doch so viel frischen Reiz und gibt auch für heute noch so viel zu
denken! Ich will an der Hand der uns überlieferten Rechtsquellen darzulegen
versuchen, wie man in einer politisch und kulturell hochbewegten Zeitperiode,
etwa von der zweiten Hälfte des sechzehnten bis zum Beginn des achtzehnten
Jahrhunderts, die Duellfrage an maßgebender Stelle in einem Staate auf¬
gefaßt und gesetzgeberisch behandelt hat, der in dem damaligen heiligen römischen
Reich deutscher Nation in mehr als einer Beziehung tonangebend war, und so auch
die Spezialstrafgesetzgebung gegen das Duell nicht nur am frühesten auf¬
genommen, sondern sie auch in verhältnismäßig kurzer Zeit am vollkommensten
ausgebildet hat — im Kurfürstentum Sachsen.




Der Zweikampf als solcher, d. h. der Wassergang zwischen zwei Gegnern
unter Jnnehaltung ganz bestimmter einleitender und weiterhin zu beobachtender
Förmlichkeiten ist dem deutschen Rechte seit uralten Zeiten bekannt- Lesen wir
den 63. Artikel des im dreizehnten Jahrhundert entstandenen Sachsenspiegels,
eines Rechtsbuchs, das ja selbst kein neues Recht schuf, sondern nur uraltes
Gewohnheitsrecht in schriftlicher Fassung enthält, so erkennen wir zwar eine
geradezu verblüffende, bis ins einzelne gehende Übereinstimmung zwischen einst
und jetzt in der Form, aber welch ein tiefgehender Unterschied zwischen damals
und heute besteht doch in der Sache! Der mittelalterliche gerichtliche Zwei¬
kampf war nichts anderes, als ein von der Rechtsanschauung des gesamten Volkes
geheiligtes prozessuales Beweismittel für die Berechtigung einer gegen den
Gegner angestrengten peinlichen Klage. In der Glosse heißt es: „Kempfflichen
grüssen aber ist sovil als einen mit peinlicher klag zu leib und leben ansprechen.
Und diese ansprach mag der Man nicht ehr thun, als er seinen schaden ander-
wege sonst nicht beweisen kan. Dann alsdann erst mag der Kampfs mit Gott
und gutem gewissen geschehen, sonderlich was den anlanget, der rechte sache


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[0254] Die Duellfrage verletzt. Es ist ihm beim besten Willen nicht interessanter, ob sich hier ein Paar Offiziere wegen eines Ehrenhandels geschossen haben, oder ob dort ein Herr von Soundso wegen Hochstapelei festgesetzt ist. Man weiß, daß so etwas schon immer vorgekommen ist und auch immer wieder einmal vorkommen wird. Das Vaterland gerät dadurch nicht in Gefahr. Solche episodischen Vorkommnisse ver¬ mögen bei ihm kein Mißbehagen auszulösen. Auch dem Offizierstande gegen¬ über nicht. Im Gegenteil. Man findet es ganz gerechtfertigt, daß den viel¬ beneideten Prärogativen dieses Standes auch Schattenseiten gegenüberstehen und von gewissen, weniger beneidenswerten Verpflichtungen und Opfern die Wag¬ schale gehalten wird. Doch genug hiervon! Es ist weder meine Absicht, die Duellfrage hier aktuell-politisch zu erörtern, noch will ich dieses alte Problem überhaupt von dem Standpunkte „modernen Sehens" oder „moderner Erkenntnis" behandeln. Der Stoff, den ich biete, ist abgeschlossen, er ist alt und an sich ganz unmodern. Er steht auf bereits vergilbten Blättern geschrieben, aber gewährt doch so viel frischen Reiz und gibt auch für heute noch so viel zu denken! Ich will an der Hand der uns überlieferten Rechtsquellen darzulegen versuchen, wie man in einer politisch und kulturell hochbewegten Zeitperiode, etwa von der zweiten Hälfte des sechzehnten bis zum Beginn des achtzehnten Jahrhunderts, die Duellfrage an maßgebender Stelle in einem Staate auf¬ gefaßt und gesetzgeberisch behandelt hat, der in dem damaligen heiligen römischen Reich deutscher Nation in mehr als einer Beziehung tonangebend war, und so auch die Spezialstrafgesetzgebung gegen das Duell nicht nur am frühesten auf¬ genommen, sondern sie auch in verhältnismäßig kurzer Zeit am vollkommensten ausgebildet hat — im Kurfürstentum Sachsen. Der Zweikampf als solcher, d. h. der Wassergang zwischen zwei Gegnern unter Jnnehaltung ganz bestimmter einleitender und weiterhin zu beobachtender Förmlichkeiten ist dem deutschen Rechte seit uralten Zeiten bekannt- Lesen wir den 63. Artikel des im dreizehnten Jahrhundert entstandenen Sachsenspiegels, eines Rechtsbuchs, das ja selbst kein neues Recht schuf, sondern nur uraltes Gewohnheitsrecht in schriftlicher Fassung enthält, so erkennen wir zwar eine geradezu verblüffende, bis ins einzelne gehende Übereinstimmung zwischen einst und jetzt in der Form, aber welch ein tiefgehender Unterschied zwischen damals und heute besteht doch in der Sache! Der mittelalterliche gerichtliche Zwei¬ kampf war nichts anderes, als ein von der Rechtsanschauung des gesamten Volkes geheiligtes prozessuales Beweismittel für die Berechtigung einer gegen den Gegner angestrengten peinlichen Klage. In der Glosse heißt es: „Kempfflichen grüssen aber ist sovil als einen mit peinlicher klag zu leib und leben ansprechen. Und diese ansprach mag der Man nicht ehr thun, als er seinen schaden ander- wege sonst nicht beweisen kan. Dann alsdann erst mag der Kampfs mit Gott und gutem gewissen geschehen, sonderlich was den anlanget, der rechte sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/254>, abgerufen am 01.07.2024.