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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

welches Friedrich der Große über Österreich fällte: "l^'ol-Zueil et I'auäaLS 8c>ut
Je8 avant-coureurZ ass malneur8 6e8 etat8". Dieser krankhafte Patriotismus,
welchen Prosper Msrimse in seinen Briefen aus Spanien (1830) ebenso treffend
als geistvoll einen patriotisme ä'antlLtiÄmbl-e nennt, legt das Hauptgewicht
auf Dinge, die an sich mit dem Vaterlande und der Vaterlandsliebe gar nichts
oder doch sehr wenig zu tun haben.

Nimmt krankhafte Vaterlandsliebe diese Form an, beruht sie auf diesen
Ursachen, so darf man sie mit Recht "Chauvinismus" nennen.

In gewissem Sinne kann man sogar von einem Chauvinismus des täglichen
Lebens sprechen. Das zahlreiche Kontingent dieser Chauvinisten wird gestellt
von allen jenen Anbetern des eignen Ichs, die ganz von dem Gedanken erfüllt
sind: nur das ist richtig, was du denkst, fühlst, redest und tust, alles andereist
Unsinn. Ein solcher Chauvinist des eigenen Ichs krankt ebenfalls an Eitelkeit,
Hoffart und Unwissenheit, an Selbstüberhebung nach allen Seiten, und ist nicht
imstande, die hervorragendsten Eigenschaften bei anderen anzuerkennen.

Doch hiervon abgesehen haben wir uns daran gewöhnt, das Wort
Chauvinismus in einem zu engen Sinne zu gebrauchen, indem wir den Begriff
zu beschränken pflegen auf die krankhafte Vaterlandsliebe der Franzosen, wie
sie die neuere Zeit seit den ereignisvollen Jahren 1870/71 gezeitigt hat.
Auch diese Anwendung ist nicht korrekt. Krankhafte Vaterlandsliebe finden wir
bei allen Nationen, Chauvinisten in allen Ländern der Erde, in England,
wo man sie mit dem Spottnamen Tinges belegt hat, in Amerika bei den
enragierter Anhängern der Monroedoktrin. Chauvinisten sind die Panslawisten,
die Tschechen, die Magyaren in ihrer Selbstvergötterung und ihrem verblendeten
Deutschenhasse, und selbst diejenigen unter den Wenden und Kassuben, welche
sich bemühen, den Lauf der Geschichte durch die Kultur eines künstlichen
Wenden- und Kassubentums aufzuhalten. Auf chauvinistischer Selbstüberschätzung
beruht jene Einbildung der Holländer, die das Deutsche als ein verderbtes
Holländisch bezeichnen.

Auch wir in Deutschland besitzen eine ganz unausstehliche Sorte chauvinistischer
Großsprecher. Sie haben zwar ein größeres Unheil noch nicht angerichtet,
weil ihnen eine besonnene, mit guter Bildung ausgerüstete Volksmehrheit
gegenübersteht. Aber sie sind doch auf dem besten Wege dazu, sich Einfluß
zu gewinnen, seit das Fremdwort "Imperialismus" für gewisse Kreise ein
Schlagwort geworden ist. Nicht nur die großen Erfolge unserer Väter sind
ihnen in verwirrender Weise zu Kopfe gestiegen, -- auch das mächtige Empor¬
blühen der Umwelt in der Gegenwart umnebelt ihre Sinne derart, daß sie
alle Maßstäbe für die wirklichen Kräfte des Vaterlandes und des deutschen
Volks verlieren. Die Regungen des Chauvinismus wirken bei uns zu Lande um
so verderblicher, als mit ihm sich eine Abart entwickelt hat, die uns den Bau des
Reiches zu untergraben droht: Parteigeist, der in dynastischen, konfessionellen
und Stammesverschiedenheiten nach allen Seiten seine Nahrung findet, der im


Reichsspiegel

welches Friedrich der Große über Österreich fällte: „l^'ol-Zueil et I'auäaLS 8c>ut
Je8 avant-coureurZ ass malneur8 6e8 etat8". Dieser krankhafte Patriotismus,
welchen Prosper Msrimse in seinen Briefen aus Spanien (1830) ebenso treffend
als geistvoll einen patriotisme ä'antlLtiÄmbl-e nennt, legt das Hauptgewicht
auf Dinge, die an sich mit dem Vaterlande und der Vaterlandsliebe gar nichts
oder doch sehr wenig zu tun haben.

Nimmt krankhafte Vaterlandsliebe diese Form an, beruht sie auf diesen
Ursachen, so darf man sie mit Recht „Chauvinismus" nennen.

In gewissem Sinne kann man sogar von einem Chauvinismus des täglichen
Lebens sprechen. Das zahlreiche Kontingent dieser Chauvinisten wird gestellt
von allen jenen Anbetern des eignen Ichs, die ganz von dem Gedanken erfüllt
sind: nur das ist richtig, was du denkst, fühlst, redest und tust, alles andereist
Unsinn. Ein solcher Chauvinist des eigenen Ichs krankt ebenfalls an Eitelkeit,
Hoffart und Unwissenheit, an Selbstüberhebung nach allen Seiten, und ist nicht
imstande, die hervorragendsten Eigenschaften bei anderen anzuerkennen.

Doch hiervon abgesehen haben wir uns daran gewöhnt, das Wort
Chauvinismus in einem zu engen Sinne zu gebrauchen, indem wir den Begriff
zu beschränken pflegen auf die krankhafte Vaterlandsliebe der Franzosen, wie
sie die neuere Zeit seit den ereignisvollen Jahren 1870/71 gezeitigt hat.
Auch diese Anwendung ist nicht korrekt. Krankhafte Vaterlandsliebe finden wir
bei allen Nationen, Chauvinisten in allen Ländern der Erde, in England,
wo man sie mit dem Spottnamen Tinges belegt hat, in Amerika bei den
enragierter Anhängern der Monroedoktrin. Chauvinisten sind die Panslawisten,
die Tschechen, die Magyaren in ihrer Selbstvergötterung und ihrem verblendeten
Deutschenhasse, und selbst diejenigen unter den Wenden und Kassuben, welche
sich bemühen, den Lauf der Geschichte durch die Kultur eines künstlichen
Wenden- und Kassubentums aufzuhalten. Auf chauvinistischer Selbstüberschätzung
beruht jene Einbildung der Holländer, die das Deutsche als ein verderbtes
Holländisch bezeichnen.

Auch wir in Deutschland besitzen eine ganz unausstehliche Sorte chauvinistischer
Großsprecher. Sie haben zwar ein größeres Unheil noch nicht angerichtet,
weil ihnen eine besonnene, mit guter Bildung ausgerüstete Volksmehrheit
gegenübersteht. Aber sie sind doch auf dem besten Wege dazu, sich Einfluß
zu gewinnen, seit das Fremdwort „Imperialismus" für gewisse Kreise ein
Schlagwort geworden ist. Nicht nur die großen Erfolge unserer Väter sind
ihnen in verwirrender Weise zu Kopfe gestiegen, — auch das mächtige Empor¬
blühen der Umwelt in der Gegenwart umnebelt ihre Sinne derart, daß sie
alle Maßstäbe für die wirklichen Kräfte des Vaterlandes und des deutschen
Volks verlieren. Die Regungen des Chauvinismus wirken bei uns zu Lande um
so verderblicher, als mit ihm sich eine Abart entwickelt hat, die uns den Bau des
Reiches zu untergraben droht: Parteigeist, der in dynastischen, konfessionellen
und Stammesverschiedenheiten nach allen Seiten seine Nahrung findet, der im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/251>, abgerufen am 03.07.2024.