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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

von nationalem Hochmut und von Nationaldünkel, die zu Rassenhaß und Rassen-
sanatismus sühren müssen und die gewöhnlich unter schimmernder Außenseite
innere Fäulnis und Kraftlosigkeit erzeugen.

Kaum etwas schwereres gibt es auf der Welt als die patriotische Ge¬
rechtigkeit, die Objektivität in der Beurteilung politischer und namentlich national¬
politischer Verhältnisse. Nur ganz hervorragenden Geistern wird es immer und
unter allen Umständen gelingen, hier den rechten Weg zu finden, das richtige
Maß einzuhalten. Durchschnittsmenschen, die sich in ihren Urteilen eine unbedingte
Objektivität wahren wollen, werden dieses Ziel nicht selten vielleicht um deswillen
leichter erreichen, weil ihre Vaterlandsliebe ihnen nur geringe Hindernisse in
den Weg legt. Bei anderen aber wird die Vorliebe sür das eine Objekt, das
Vaterland, eine gewisse Subjektivität des Urteiles erzeugen und schließlich einen
größeren oder geringeren Grad von Ungerechtigkeit zur Folge haben. Hält sich
diese Ungerechtigkeit innerhalb bestimmter Grenzen, so erscheint sie der Ungerechtigkeit
gegen das eigene Vaterland gegenüber gewiß als das kleinere Übel, ja man
darf sie sogar als eine berechtigte und wünschenswerte bezeichnen, sobald sie die
Extreme vermeidet. So wird man auch das "xvnZKt or wronZ, Lountry!"
der Engländer billigen können. Was aber darüber ist, das ist vom Übel und
wir sind genötigt, jener "über das Ziel schießenden Vaterlandsliebe mit dem
größten Mißtrauen zu begegnen, die in ungerechten verkleinernden Urteilen über
anders Denkende, insbesondere über fremde Nationen und Staaten ihren Aus¬
druck findet." "Chauvinismus" nennt man allgemein solchen Exzeß des Patriotis¬
mus, und schon der Umstand, daß es dafür kein deutsches Wort gibt, zeigt,
daß es sich um ein Erzeugnis fremder Rasse handelt, das der Deutschen nicht
würdig und in Deutschland nur aus der Fremde eingeschmuggelt werden konnte.

Das Wort "Chauvinismus" stammt aus Frankreich. Es entstand aus
dem Zusammentreffen zufälliger Umstände.

Mit dem Begriff Chauvinismus verbinden wir immer etwas Krankhaftes;
wir meinen damit den auf schlechtem Boden gewachsenen Patriotismus. Wie
ein und dieselbe Pflanze nicht dieselbe bleibt, wenn sie auf guter Humuserde
oder auf sumpfigem, mit allerlei Miasmen erfüllten Terrain wächst, so ist die
Vaterlandsliebe, welche sich auf wirklich vorhandene Tatsachen, aus ein der
Wahrheit entsprechendes Bewußtsein des eigenen Wertes gründet, selbst wenn
sie das berechtigte Maß überschreitet, immer etwas anderes und Edleres als der
Afterpatriotismus, der von vornherein anstatt auf Vernunft, auf Eitelkeit,
Hoffart und Unwissenheit, auf bewußter Ungerechtigkeit, auf krankhafter Empfin¬
dung und noch krankhafterer Empfindlichkeit, auf Mangel an Selbsterkenntnis,
auf einem Verfalle des nationalen Gewissens beruht, und der schließlich dahin
führt, daß man die Dinge mit den Nerven anstatt mit dem gesunden Menschen¬
verstande beurteilt. Das ist dann jener Zustand, von dem Ludwig der Elfte
mit Recht sagte: "()uAnä ol-Zusil se iZnoianes vont ^ Lksval. monts se
ciommaZs Iss suivent en sroupe", und der sich widerspiegelt in dem Urteil,


Reichsspiegel

von nationalem Hochmut und von Nationaldünkel, die zu Rassenhaß und Rassen-
sanatismus sühren müssen und die gewöhnlich unter schimmernder Außenseite
innere Fäulnis und Kraftlosigkeit erzeugen.

Kaum etwas schwereres gibt es auf der Welt als die patriotische Ge¬
rechtigkeit, die Objektivität in der Beurteilung politischer und namentlich national¬
politischer Verhältnisse. Nur ganz hervorragenden Geistern wird es immer und
unter allen Umständen gelingen, hier den rechten Weg zu finden, das richtige
Maß einzuhalten. Durchschnittsmenschen, die sich in ihren Urteilen eine unbedingte
Objektivität wahren wollen, werden dieses Ziel nicht selten vielleicht um deswillen
leichter erreichen, weil ihre Vaterlandsliebe ihnen nur geringe Hindernisse in
den Weg legt. Bei anderen aber wird die Vorliebe sür das eine Objekt, das
Vaterland, eine gewisse Subjektivität des Urteiles erzeugen und schließlich einen
größeren oder geringeren Grad von Ungerechtigkeit zur Folge haben. Hält sich
diese Ungerechtigkeit innerhalb bestimmter Grenzen, so erscheint sie der Ungerechtigkeit
gegen das eigene Vaterland gegenüber gewiß als das kleinere Übel, ja man
darf sie sogar als eine berechtigte und wünschenswerte bezeichnen, sobald sie die
Extreme vermeidet. So wird man auch das „xvnZKt or wronZ, Lountry!"
der Engländer billigen können. Was aber darüber ist, das ist vom Übel und
wir sind genötigt, jener „über das Ziel schießenden Vaterlandsliebe mit dem
größten Mißtrauen zu begegnen, die in ungerechten verkleinernden Urteilen über
anders Denkende, insbesondere über fremde Nationen und Staaten ihren Aus¬
druck findet." „Chauvinismus" nennt man allgemein solchen Exzeß des Patriotis¬
mus, und schon der Umstand, daß es dafür kein deutsches Wort gibt, zeigt,
daß es sich um ein Erzeugnis fremder Rasse handelt, das der Deutschen nicht
würdig und in Deutschland nur aus der Fremde eingeschmuggelt werden konnte.

Das Wort „Chauvinismus" stammt aus Frankreich. Es entstand aus
dem Zusammentreffen zufälliger Umstände.

Mit dem Begriff Chauvinismus verbinden wir immer etwas Krankhaftes;
wir meinen damit den auf schlechtem Boden gewachsenen Patriotismus. Wie
ein und dieselbe Pflanze nicht dieselbe bleibt, wenn sie auf guter Humuserde
oder auf sumpfigem, mit allerlei Miasmen erfüllten Terrain wächst, so ist die
Vaterlandsliebe, welche sich auf wirklich vorhandene Tatsachen, aus ein der
Wahrheit entsprechendes Bewußtsein des eigenen Wertes gründet, selbst wenn
sie das berechtigte Maß überschreitet, immer etwas anderes und Edleres als der
Afterpatriotismus, der von vornherein anstatt auf Vernunft, auf Eitelkeit,
Hoffart und Unwissenheit, auf bewußter Ungerechtigkeit, auf krankhafter Empfin¬
dung und noch krankhafterer Empfindlichkeit, auf Mangel an Selbsterkenntnis,
auf einem Verfalle des nationalen Gewissens beruht, und der schließlich dahin
führt, daß man die Dinge mit den Nerven anstatt mit dem gesunden Menschen¬
verstande beurteilt. Das ist dann jener Zustand, von dem Ludwig der Elfte
mit Recht sagte: „()uAnä ol-Zusil se iZnoianes vont ^ Lksval. monts se
ciommaZs Iss suivent en sroupe", und der sich widerspiegelt in dem Urteil,


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[0250] Reichsspiegel von nationalem Hochmut und von Nationaldünkel, die zu Rassenhaß und Rassen- sanatismus sühren müssen und die gewöhnlich unter schimmernder Außenseite innere Fäulnis und Kraftlosigkeit erzeugen. Kaum etwas schwereres gibt es auf der Welt als die patriotische Ge¬ rechtigkeit, die Objektivität in der Beurteilung politischer und namentlich national¬ politischer Verhältnisse. Nur ganz hervorragenden Geistern wird es immer und unter allen Umständen gelingen, hier den rechten Weg zu finden, das richtige Maß einzuhalten. Durchschnittsmenschen, die sich in ihren Urteilen eine unbedingte Objektivität wahren wollen, werden dieses Ziel nicht selten vielleicht um deswillen leichter erreichen, weil ihre Vaterlandsliebe ihnen nur geringe Hindernisse in den Weg legt. Bei anderen aber wird die Vorliebe sür das eine Objekt, das Vaterland, eine gewisse Subjektivität des Urteiles erzeugen und schließlich einen größeren oder geringeren Grad von Ungerechtigkeit zur Folge haben. Hält sich diese Ungerechtigkeit innerhalb bestimmter Grenzen, so erscheint sie der Ungerechtigkeit gegen das eigene Vaterland gegenüber gewiß als das kleinere Übel, ja man darf sie sogar als eine berechtigte und wünschenswerte bezeichnen, sobald sie die Extreme vermeidet. So wird man auch das „xvnZKt or wronZ, Lountry!" der Engländer billigen können. Was aber darüber ist, das ist vom Übel und wir sind genötigt, jener „über das Ziel schießenden Vaterlandsliebe mit dem größten Mißtrauen zu begegnen, die in ungerechten verkleinernden Urteilen über anders Denkende, insbesondere über fremde Nationen und Staaten ihren Aus¬ druck findet." „Chauvinismus" nennt man allgemein solchen Exzeß des Patriotis¬ mus, und schon der Umstand, daß es dafür kein deutsches Wort gibt, zeigt, daß es sich um ein Erzeugnis fremder Rasse handelt, das der Deutschen nicht würdig und in Deutschland nur aus der Fremde eingeschmuggelt werden konnte. Das Wort „Chauvinismus" stammt aus Frankreich. Es entstand aus dem Zusammentreffen zufälliger Umstände. Mit dem Begriff Chauvinismus verbinden wir immer etwas Krankhaftes; wir meinen damit den auf schlechtem Boden gewachsenen Patriotismus. Wie ein und dieselbe Pflanze nicht dieselbe bleibt, wenn sie auf guter Humuserde oder auf sumpfigem, mit allerlei Miasmen erfüllten Terrain wächst, so ist die Vaterlandsliebe, welche sich auf wirklich vorhandene Tatsachen, aus ein der Wahrheit entsprechendes Bewußtsein des eigenen Wertes gründet, selbst wenn sie das berechtigte Maß überschreitet, immer etwas anderes und Edleres als der Afterpatriotismus, der von vornherein anstatt auf Vernunft, auf Eitelkeit, Hoffart und Unwissenheit, auf bewußter Ungerechtigkeit, auf krankhafter Empfin¬ dung und noch krankhafterer Empfindlichkeit, auf Mangel an Selbsterkenntnis, auf einem Verfalle des nationalen Gewissens beruht, und der schließlich dahin führt, daß man die Dinge mit den Nerven anstatt mit dem gesunden Menschen¬ verstande beurteilt. Das ist dann jener Zustand, von dem Ludwig der Elfte mit Recht sagte: „()uAnä ol-Zusil se iZnoianes vont ^ Lksval. monts se ciommaZs Iss suivent en sroupe", und der sich widerspiegelt in dem Urteil,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/250>, abgerufen am 01.07.2024.