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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Schweizer Eisenbahnen

Schweizer Eisenbahnen
Heinrich Foderer von

Die nachstehende Schilderung ist Federers bekanntem Roman "Berge
und Menschen" (G. Grotes Verlag, Berlin 1911, Preis 6 M.) ent¬
nommen, um bei unseren Lesern den Wunsch zu wecken, das ganze Buch
kennen zu lernen, das ganze, mit seinen Prachtbollen Menschen und Natur¬
beschreibungen und mit seinen -- Schwächen und kleinen Versündigungen.
Es ist ein aristokratisches Buch. Mit vollem Verständnis für die Be¬
dürfnisse und Rechte der Menge, die er uns als Hüterin des gesunden
Instinktes vorführt, stellt der Autor sich doch hinter die Führer, selbst
wo sie im Widerspruch zum "Volkswillen" handeln und vermeintliche
Rechte durch List oder Drohung "vergewaltigen". "Das Höchste wollen,
um Hohes zu vollbringenl", das könnte das Motto für das Buch abgeben,
in dein der industrielle Dorfkönig die technisch unmögliche, den? Volk
zuwidere Gipfelbahn auf den Absom bauen will, um mit ihrer Hilfe
den Fremdenverkehr in das stille Tal zu leiten, wodurch wieder die
Spitzenindustrie einen besonderen Aufschwung erhalten soll. Der Bahnbau
kommt nicht zustande; der Dorfkönig bricht finanziell zusammen; aber
der gesunde Gedanke dieses Führers, eines Herrenmenschen im Sinne
Nietzsches, wird, wenn auch mit andern Mitteln, verwirklicht durch die
Anlage eines Straßenbahnnetzes, das dem Tale zu außerordentlichem
Nutzen gereicht. Um diese einfache, fast alltägliche Gründer-Geschichte
hat nun ein fein empfindender Dichter den Roman gewunden, seine
Bilder aus Natur und Volksleben gestellt und ihre Einzelheiten aus
den "niederen Stuben" und der "reinigenden Luft des Hochgebirges" zu
einem wundervollen Ganzen verwoben. Die treue Schilderung des Tat¬
sächlichen gibt dem Roman den Wert eines Kulturbildes, das nicht nur
der Unterhaltung suchende, sondern auch der Kulturforscher mit Gewinn
G, Q. studieren wird.

le Eisenbahnen unseres Vaterlandes--köstlich Ding! Sie
atmen ganz seinen Geist und riechen durchaus nach seinen niedern
Stuben.

Zwar der Blitzzug wettert durch unsere engen Gaue wie ein
Augenblick. Dort oben kommt er, ein Glutvünktlein--
hurrrr!--- dort unten verschwindet er, ein Glutpünktlein. Vorbei! Kaum
hat er unser Land gestreift. Daher sitzen nur Fremde drin. Er ist ein Blick
des Auslands durch die Schweiz, nicht mehr!

Aber die Personenzüge sind heimatliche Wesen. Wenn sie sehr schnell laufen
und wenig Sinn für Halt und Weile haben, dann freilich ist noch ein gut Teil
sputreiches, hastiges Ausland darin und von den eigenen Mitbürgern viel
romanisches Volk hinterm Gotthard und vom Genfersee. Dennoch, es verliert
sich ordentlich im waschecht Schweizerischen der breiten Kaufherren von Zürich
und Winterthur, der dickhalstgen Amtsleute aus dem Bernischen, der brillen¬
blitzenden und an jeder Station eine Zeitung laufenden Politiker aus Sankt
Gallen, der urschweizerischen oder bündnerischen Gasthofkönige mit dem violetten


Schweizer Eisenbahnen

Schweizer Eisenbahnen
Heinrich Foderer von

Die nachstehende Schilderung ist Federers bekanntem Roman „Berge
und Menschen" (G. Grotes Verlag, Berlin 1911, Preis 6 M.) ent¬
nommen, um bei unseren Lesern den Wunsch zu wecken, das ganze Buch
kennen zu lernen, das ganze, mit seinen Prachtbollen Menschen und Natur¬
beschreibungen und mit seinen — Schwächen und kleinen Versündigungen.
Es ist ein aristokratisches Buch. Mit vollem Verständnis für die Be¬
dürfnisse und Rechte der Menge, die er uns als Hüterin des gesunden
Instinktes vorführt, stellt der Autor sich doch hinter die Führer, selbst
wo sie im Widerspruch zum „Volkswillen" handeln und vermeintliche
Rechte durch List oder Drohung „vergewaltigen". „Das Höchste wollen,
um Hohes zu vollbringenl", das könnte das Motto für das Buch abgeben,
in dein der industrielle Dorfkönig die technisch unmögliche, den? Volk
zuwidere Gipfelbahn auf den Absom bauen will, um mit ihrer Hilfe
den Fremdenverkehr in das stille Tal zu leiten, wodurch wieder die
Spitzenindustrie einen besonderen Aufschwung erhalten soll. Der Bahnbau
kommt nicht zustande; der Dorfkönig bricht finanziell zusammen; aber
der gesunde Gedanke dieses Führers, eines Herrenmenschen im Sinne
Nietzsches, wird, wenn auch mit andern Mitteln, verwirklicht durch die
Anlage eines Straßenbahnnetzes, das dem Tale zu außerordentlichem
Nutzen gereicht. Um diese einfache, fast alltägliche Gründer-Geschichte
hat nun ein fein empfindender Dichter den Roman gewunden, seine
Bilder aus Natur und Volksleben gestellt und ihre Einzelheiten aus
den „niederen Stuben" und der „reinigenden Luft des Hochgebirges" zu
einem wundervollen Ganzen verwoben. Die treue Schilderung des Tat¬
sächlichen gibt dem Roman den Wert eines Kulturbildes, das nicht nur
der Unterhaltung suchende, sondern auch der Kulturforscher mit Gewinn
G, Q. studieren wird.

le Eisenbahnen unseres Vaterlandes--köstlich Ding! Sie
atmen ganz seinen Geist und riechen durchaus nach seinen niedern
Stuben.

Zwar der Blitzzug wettert durch unsere engen Gaue wie ein
Augenblick. Dort oben kommt er, ein Glutvünktlein--
hurrrr!--- dort unten verschwindet er, ein Glutpünktlein. Vorbei! Kaum
hat er unser Land gestreift. Daher sitzen nur Fremde drin. Er ist ein Blick
des Auslands durch die Schweiz, nicht mehr!

Aber die Personenzüge sind heimatliche Wesen. Wenn sie sehr schnell laufen
und wenig Sinn für Halt und Weile haben, dann freilich ist noch ein gut Teil
sputreiches, hastiges Ausland darin und von den eigenen Mitbürgern viel
romanisches Volk hinterm Gotthard und vom Genfersee. Dennoch, es verliert
sich ordentlich im waschecht Schweizerischen der breiten Kaufherren von Zürich
und Winterthur, der dickhalstgen Amtsleute aus dem Bernischen, der brillen¬
blitzenden und an jeder Station eine Zeitung laufenden Politiker aus Sankt
Gallen, der urschweizerischen oder bündnerischen Gasthofkönige mit dem violetten


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[0238] Schweizer Eisenbahnen Schweizer Eisenbahnen Heinrich Foderer von Die nachstehende Schilderung ist Federers bekanntem Roman „Berge und Menschen" (G. Grotes Verlag, Berlin 1911, Preis 6 M.) ent¬ nommen, um bei unseren Lesern den Wunsch zu wecken, das ganze Buch kennen zu lernen, das ganze, mit seinen Prachtbollen Menschen und Natur¬ beschreibungen und mit seinen — Schwächen und kleinen Versündigungen. Es ist ein aristokratisches Buch. Mit vollem Verständnis für die Be¬ dürfnisse und Rechte der Menge, die er uns als Hüterin des gesunden Instinktes vorführt, stellt der Autor sich doch hinter die Führer, selbst wo sie im Widerspruch zum „Volkswillen" handeln und vermeintliche Rechte durch List oder Drohung „vergewaltigen". „Das Höchste wollen, um Hohes zu vollbringenl", das könnte das Motto für das Buch abgeben, in dein der industrielle Dorfkönig die technisch unmögliche, den? Volk zuwidere Gipfelbahn auf den Absom bauen will, um mit ihrer Hilfe den Fremdenverkehr in das stille Tal zu leiten, wodurch wieder die Spitzenindustrie einen besonderen Aufschwung erhalten soll. Der Bahnbau kommt nicht zustande; der Dorfkönig bricht finanziell zusammen; aber der gesunde Gedanke dieses Führers, eines Herrenmenschen im Sinne Nietzsches, wird, wenn auch mit andern Mitteln, verwirklicht durch die Anlage eines Straßenbahnnetzes, das dem Tale zu außerordentlichem Nutzen gereicht. Um diese einfache, fast alltägliche Gründer-Geschichte hat nun ein fein empfindender Dichter den Roman gewunden, seine Bilder aus Natur und Volksleben gestellt und ihre Einzelheiten aus den „niederen Stuben" und der „reinigenden Luft des Hochgebirges" zu einem wundervollen Ganzen verwoben. Die treue Schilderung des Tat¬ sächlichen gibt dem Roman den Wert eines Kulturbildes, das nicht nur der Unterhaltung suchende, sondern auch der Kulturforscher mit Gewinn G, Q. studieren wird. le Eisenbahnen unseres Vaterlandes--köstlich Ding! Sie atmen ganz seinen Geist und riechen durchaus nach seinen niedern Stuben. Zwar der Blitzzug wettert durch unsere engen Gaue wie ein Augenblick. Dort oben kommt er, ein Glutvünktlein-- hurrrr!--- dort unten verschwindet er, ein Glutpünktlein. Vorbei! Kaum hat er unser Land gestreift. Daher sitzen nur Fremde drin. Er ist ein Blick des Auslands durch die Schweiz, nicht mehr! Aber die Personenzüge sind heimatliche Wesen. Wenn sie sehr schnell laufen und wenig Sinn für Halt und Weile haben, dann freilich ist noch ein gut Teil sputreiches, hastiges Ausland darin und von den eigenen Mitbürgern viel romanisches Volk hinterm Gotthard und vom Genfersee. Dennoch, es verliert sich ordentlich im waschecht Schweizerischen der breiten Kaufherren von Zürich und Winterthur, der dickhalstgen Amtsleute aus dem Bernischen, der brillen¬ blitzenden und an jeder Station eine Zeitung laufenden Politiker aus Sankt Gallen, der urschweizerischen oder bündnerischen Gasthofkönige mit dem violetten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/238>, abgerufen am 03.07.2024.