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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

Zu einer anderen Stunde sprachen sich die beiden Liebenden um Zeit und
Tag ihrer Hochzeit aus und redeten hin und her.

"Mußt auch erst wieder ganz gesund sein," meinte der Florentin, und
Wieschen lachte: "Wegen dem Husten?"

Sie setzten dann die Hochzeit zum frühesten auf das Novemberende fest.
Wieschen bedachte sich aber kurz danach und fragte scheu: "Warum nicht eher?
Es gäbe noch einen Kranz von Sommerland um die Tür, weißt du, so einen
Ehrenkranz."

"Just um den Kranz?" zögerte der Florentin und sah dem Mädchen in
das Gesicht, dann sie jäh umgreifend und an sich ziehend, mit veränderter,
hastiger Stimme: "Es kann auch eher sein, meinetwegen, es kann auch
morgen sein."

"Nein," sagte Wieschen fast mit einem Schrei und riß sich von ihm los.

Ganz langsam, wie Blatt um Blatt von einer vollgeblühten Rose, verlor
sich mehr und mehr von aller Freude, welche das Wieschen zu einem Lebens¬
glück hatte beseelen wollen. Die Tage fingen an zu kürzen, der Sonnenschein
wurde seltener, die Schmetterlinge flogen von den Blumen auf, und man meinte
den Sommer mit ihnen verfliegen zu sehen. Aber wunderbar schön war das
Herbstwerden über den kleinen Heimathügeln, die das Dorf umstanden. Es
wollte nichts Übergewaltiges sein, und es war doch so hoch und erhaben, wenn
der weißliche Nebel um die gefärbten Berge quälende, als baue die Natur
einen Hochaltar und bringe Gott ein Dankopfer für die schönen Tage von
Frühling und Sommer.

Wie die Färbung anfing und immer mehr in das leuchtende Bronzegold
überging, da wollte es aussehen, als wäre das alle der Sonnenschein, den die
Blätter Sommertags eingesogen und der nun herausquoll aus dem Blattwerk,
um noch einmal froh zu machen, wo der wirkliche Sonnenschein seltener und
weniger an Fülle wurde.

Wieschen sah mit stiller Traurigkeit in das Herbstwerden hinaus. Als
die ersten Blätter von den Bäumen fielen, war's, als müsse die Welt reicher
werden im soviel ausgestreuten echten Golde. Aber Wieschen wußte um alle
Täuschung, die nach außen ging und prahlte; es würde bald nichts bleiben
als ein Kehrichthaufen dürrer Blätter, und aus den Bäumen der reichen goldenen
Berge würde man sich einen Bettelstab brechen können.

Es war in dieser Zeit viel Rede von der nahen Herbstkirmes, und die
jüngsten Mädchen im Dorf kamen Sonntagsnachmittags zusammen und übten
sich den Tanzschritt ein. So und in mancherlei andern: lief de.in Tage viel
Unruhe und Freude voraus.

Der Florentin wurde zur Nolterschlucht zum Ausschmücken des Saales
bestellt, wo abends der Tanz gehalten werden sollte. Er kam mit rissigen und
"erstochenen Händen zurück, duftete nach Harz, und Wieschen klopfte ihm die
feinen Tannennadeln vom Rock. Sie war an dem Tage müde und unlustig


Die Blumen des Florentin Kiep

Zu einer anderen Stunde sprachen sich die beiden Liebenden um Zeit und
Tag ihrer Hochzeit aus und redeten hin und her.

„Mußt auch erst wieder ganz gesund sein," meinte der Florentin, und
Wieschen lachte: „Wegen dem Husten?"

Sie setzten dann die Hochzeit zum frühesten auf das Novemberende fest.
Wieschen bedachte sich aber kurz danach und fragte scheu: „Warum nicht eher?
Es gäbe noch einen Kranz von Sommerland um die Tür, weißt du, so einen
Ehrenkranz."

„Just um den Kranz?" zögerte der Florentin und sah dem Mädchen in
das Gesicht, dann sie jäh umgreifend und an sich ziehend, mit veränderter,
hastiger Stimme: „Es kann auch eher sein, meinetwegen, es kann auch
morgen sein."

„Nein," sagte Wieschen fast mit einem Schrei und riß sich von ihm los.

Ganz langsam, wie Blatt um Blatt von einer vollgeblühten Rose, verlor
sich mehr und mehr von aller Freude, welche das Wieschen zu einem Lebens¬
glück hatte beseelen wollen. Die Tage fingen an zu kürzen, der Sonnenschein
wurde seltener, die Schmetterlinge flogen von den Blumen auf, und man meinte
den Sommer mit ihnen verfliegen zu sehen. Aber wunderbar schön war das
Herbstwerden über den kleinen Heimathügeln, die das Dorf umstanden. Es
wollte nichts Übergewaltiges sein, und es war doch so hoch und erhaben, wenn
der weißliche Nebel um die gefärbten Berge quälende, als baue die Natur
einen Hochaltar und bringe Gott ein Dankopfer für die schönen Tage von
Frühling und Sommer.

Wie die Färbung anfing und immer mehr in das leuchtende Bronzegold
überging, da wollte es aussehen, als wäre das alle der Sonnenschein, den die
Blätter Sommertags eingesogen und der nun herausquoll aus dem Blattwerk,
um noch einmal froh zu machen, wo der wirkliche Sonnenschein seltener und
weniger an Fülle wurde.

Wieschen sah mit stiller Traurigkeit in das Herbstwerden hinaus. Als
die ersten Blätter von den Bäumen fielen, war's, als müsse die Welt reicher
werden im soviel ausgestreuten echten Golde. Aber Wieschen wußte um alle
Täuschung, die nach außen ging und prahlte; es würde bald nichts bleiben
als ein Kehrichthaufen dürrer Blätter, und aus den Bäumen der reichen goldenen
Berge würde man sich einen Bettelstab brechen können.

Es war in dieser Zeit viel Rede von der nahen Herbstkirmes, und die
jüngsten Mädchen im Dorf kamen Sonntagsnachmittags zusammen und übten
sich den Tanzschritt ein. So und in mancherlei andern: lief de.in Tage viel
Unruhe und Freude voraus.

Der Florentin wurde zur Nolterschlucht zum Ausschmücken des Saales
bestellt, wo abends der Tanz gehalten werden sollte. Er kam mit rissigen und
»erstochenen Händen zurück, duftete nach Harz, und Wieschen klopfte ihm die
feinen Tannennadeln vom Rock. Sie war an dem Tage müde und unlustig


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[0236] Die Blumen des Florentin Kiep Zu einer anderen Stunde sprachen sich die beiden Liebenden um Zeit und Tag ihrer Hochzeit aus und redeten hin und her. „Mußt auch erst wieder ganz gesund sein," meinte der Florentin, und Wieschen lachte: „Wegen dem Husten?" Sie setzten dann die Hochzeit zum frühesten auf das Novemberende fest. Wieschen bedachte sich aber kurz danach und fragte scheu: „Warum nicht eher? Es gäbe noch einen Kranz von Sommerland um die Tür, weißt du, so einen Ehrenkranz." „Just um den Kranz?" zögerte der Florentin und sah dem Mädchen in das Gesicht, dann sie jäh umgreifend und an sich ziehend, mit veränderter, hastiger Stimme: „Es kann auch eher sein, meinetwegen, es kann auch morgen sein." „Nein," sagte Wieschen fast mit einem Schrei und riß sich von ihm los. Ganz langsam, wie Blatt um Blatt von einer vollgeblühten Rose, verlor sich mehr und mehr von aller Freude, welche das Wieschen zu einem Lebens¬ glück hatte beseelen wollen. Die Tage fingen an zu kürzen, der Sonnenschein wurde seltener, die Schmetterlinge flogen von den Blumen auf, und man meinte den Sommer mit ihnen verfliegen zu sehen. Aber wunderbar schön war das Herbstwerden über den kleinen Heimathügeln, die das Dorf umstanden. Es wollte nichts Übergewaltiges sein, und es war doch so hoch und erhaben, wenn der weißliche Nebel um die gefärbten Berge quälende, als baue die Natur einen Hochaltar und bringe Gott ein Dankopfer für die schönen Tage von Frühling und Sommer. Wie die Färbung anfing und immer mehr in das leuchtende Bronzegold überging, da wollte es aussehen, als wäre das alle der Sonnenschein, den die Blätter Sommertags eingesogen und der nun herausquoll aus dem Blattwerk, um noch einmal froh zu machen, wo der wirkliche Sonnenschein seltener und weniger an Fülle wurde. Wieschen sah mit stiller Traurigkeit in das Herbstwerden hinaus. Als die ersten Blätter von den Bäumen fielen, war's, als müsse die Welt reicher werden im soviel ausgestreuten echten Golde. Aber Wieschen wußte um alle Täuschung, die nach außen ging und prahlte; es würde bald nichts bleiben als ein Kehrichthaufen dürrer Blätter, und aus den Bäumen der reichen goldenen Berge würde man sich einen Bettelstab brechen können. Es war in dieser Zeit viel Rede von der nahen Herbstkirmes, und die jüngsten Mädchen im Dorf kamen Sonntagsnachmittags zusammen und übten sich den Tanzschritt ein. So und in mancherlei andern: lief de.in Tage viel Unruhe und Freude voraus. Der Florentin wurde zur Nolterschlucht zum Ausschmücken des Saales bestellt, wo abends der Tanz gehalten werden sollte. Er kam mit rissigen und »erstochenen Händen zurück, duftete nach Harz, und Wieschen klopfte ihm die feinen Tannennadeln vom Rock. Sie war an dem Tage müde und unlustig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/236>, abgerufen am 03.07.2024.