Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Die Futuristen der Natur zeitlich getrennt aufeinander folgen, in seinem simultanen Bilde ver¬ Daß dieser Kunstgriff bei der Bewegungsgestaltung, man hat ihn als Die Futuristen suchen nun einen dritten Weg zur künstlerischen Gestaltung Die Futuristen wissen sehr wohl, daß unsere Gesamtvorstellung von einer Die Futuristen der Natur zeitlich getrennt aufeinander folgen, in seinem simultanen Bilde ver¬ Daß dieser Kunstgriff bei der Bewegungsgestaltung, man hat ihn als Die Futuristen suchen nun einen dritten Weg zur künstlerischen Gestaltung Die Futuristen wissen sehr wohl, daß unsere Gesamtvorstellung von einer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321975"/> <fw type="header" place="top"> Die Futuristen</fw><lb/> <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> der Natur zeitlich getrennt aufeinander folgen, in seinem simultanen Bilde ver¬<lb/> einigt, um die Schnelligkeit der Bewegung und ihren Gesamtverlauf energischer<lb/> zum Ausdruck zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_906"> Daß dieser Kunstgriff bei der Bewegungsgestaltung, man hat ihn als<lb/> Dyschronismus bezeichnet, seinen Zweck nicht verfehlt und daß uns diese Zwei-<lb/> zeitigkeit gleichwohl eine einheitliche und dazu noch besonders kraftvolle Gesamt-<lb/> vorstellung von der Bewegung auch in simultaner Darstellung vermittelt, das<lb/> hat einen psychologischen Grund. Jene beiden Teilbewegungen, die bei zwei¬<lb/> zeitiger Bewegungsgestaltung vereinigt werden, sind regelmäßig Grenzpunkte und<lb/> daher Ruhe- und Umschwungspunkte der Bewegung, fruchtbare Momente im<lb/> Lesstngschen Sinne, Die äußerste Strecklage der Vorder« und Hinterbeine eines<lb/> galoppierenden Pferdes sind die beiden Grenzphasen, zwischen denen alle übrigen<lb/> Bewegungslagen der Beine blitzschnell hin- und herschwingen. Aber diese<lb/> Zwischenlagen vermag unser Auge und damit unser Bewußtsein nicht zu fixieren,<lb/> erst Momentphotographie und Kinematographie haben sie uns genauer gezeigt.<lb/> In unser Bewußtsein treten vielmehr nur jene relativen Ruhepunkte, jene Um¬<lb/> schwungs- und Wendepunkte der Bewegung, zwischen denen sie pendelt, und<lb/> verschmelzen darin zu einer Gesamtnorstellung der Bewegung. Werden sie in<lb/> einer künstlerischen Darstellung fixiert, so repräsentieren sie für unser Bewußtsein<lb/> jene einheitliche Gesamtvorstellung der Bewegung, obgleich sie in Wirklichkeit<lb/> zeitlich auseinanderfallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_907"> Die Futuristen suchen nun einen dritten Weg zur künstlerischen Gestaltung<lb/> von Gesamtbewegungen. In Wahrheit tun sie allerdings nichts anderes, als<lb/> daß sie das Prinzip der mehrzeitigen Bewegungsgestaltung übertreiben und<lb/> dadurch verballhornisieren. Die künstlerischen Fehler, die sie dabei begehen,<lb/> lassen sich in zwei kurzen Sätzen festlegen. Sie sehen erstens nicht auf die<lb/> Qualität, die Ausdruckskraft, sondern auf die Quantität, die Menge, der fixierten<lb/> Bewegungsphasen und Teilbewegungen, und zweitens vereinigen sie diese Teil¬<lb/> bewegungen nicht zu eineni einheitlichen Bildetndruck, sondern stellen sie wahllos<lb/> und ohne Zusammenhang nebeneinander.</p><lb/> <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Die Futuristen wissen sehr wohl, daß unsere Gesamtvorstellung von einer<lb/> Bewegung aus sehr vielen Einzeleindrücken zusammengewachsen ist, die sich in<lb/> der Zeit folgten, ja die sogar an verschiedenen Orten und von verschiedenen<lb/> Seiten her beobachtet worden sein können. Sie glauben nun, diese Gesamt¬<lb/> vorstellung eines bewegten Körpers wiedergeben zu können, indem sie die<lb/> sukzessiven Einzeleindrücke in möglichst großer Menge und Mannigfaltigkeit<lb/> simultan und in örtlichen Nebeneinander irgendwo auf der Vildfläche anbringen.<lb/> Ein Musterbeispiel für dieses Verfahren ist etwa die „Ruhelose Tänzerin" von<lb/> Giuv Severini. Nach der Erklärung will dieses „Gemälde" „Gesamteindrücke,<lb/> vergangene und gegenwärtige, nahe und entfernte, kleine und große einer<lb/> Tänzerin, so wie sie demi Maler erscheinen, der sie in verschiedenen Perioden<lb/> seines Lebens studiert hat", wiedergeben. Es findet sich in der Tat über die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0228]
Die Futuristen
der Natur zeitlich getrennt aufeinander folgen, in seinem simultanen Bilde ver¬
einigt, um die Schnelligkeit der Bewegung und ihren Gesamtverlauf energischer
zum Ausdruck zu bringen.
Daß dieser Kunstgriff bei der Bewegungsgestaltung, man hat ihn als
Dyschronismus bezeichnet, seinen Zweck nicht verfehlt und daß uns diese Zwei-
zeitigkeit gleichwohl eine einheitliche und dazu noch besonders kraftvolle Gesamt-
vorstellung von der Bewegung auch in simultaner Darstellung vermittelt, das
hat einen psychologischen Grund. Jene beiden Teilbewegungen, die bei zwei¬
zeitiger Bewegungsgestaltung vereinigt werden, sind regelmäßig Grenzpunkte und
daher Ruhe- und Umschwungspunkte der Bewegung, fruchtbare Momente im
Lesstngschen Sinne, Die äußerste Strecklage der Vorder« und Hinterbeine eines
galoppierenden Pferdes sind die beiden Grenzphasen, zwischen denen alle übrigen
Bewegungslagen der Beine blitzschnell hin- und herschwingen. Aber diese
Zwischenlagen vermag unser Auge und damit unser Bewußtsein nicht zu fixieren,
erst Momentphotographie und Kinematographie haben sie uns genauer gezeigt.
In unser Bewußtsein treten vielmehr nur jene relativen Ruhepunkte, jene Um¬
schwungs- und Wendepunkte der Bewegung, zwischen denen sie pendelt, und
verschmelzen darin zu einer Gesamtnorstellung der Bewegung. Werden sie in
einer künstlerischen Darstellung fixiert, so repräsentieren sie für unser Bewußtsein
jene einheitliche Gesamtvorstellung der Bewegung, obgleich sie in Wirklichkeit
zeitlich auseinanderfallen.
Die Futuristen suchen nun einen dritten Weg zur künstlerischen Gestaltung
von Gesamtbewegungen. In Wahrheit tun sie allerdings nichts anderes, als
daß sie das Prinzip der mehrzeitigen Bewegungsgestaltung übertreiben und
dadurch verballhornisieren. Die künstlerischen Fehler, die sie dabei begehen,
lassen sich in zwei kurzen Sätzen festlegen. Sie sehen erstens nicht auf die
Qualität, die Ausdruckskraft, sondern auf die Quantität, die Menge, der fixierten
Bewegungsphasen und Teilbewegungen, und zweitens vereinigen sie diese Teil¬
bewegungen nicht zu eineni einheitlichen Bildetndruck, sondern stellen sie wahllos
und ohne Zusammenhang nebeneinander.
Die Futuristen wissen sehr wohl, daß unsere Gesamtvorstellung von einer
Bewegung aus sehr vielen Einzeleindrücken zusammengewachsen ist, die sich in
der Zeit folgten, ja die sogar an verschiedenen Orten und von verschiedenen
Seiten her beobachtet worden sein können. Sie glauben nun, diese Gesamt¬
vorstellung eines bewegten Körpers wiedergeben zu können, indem sie die
sukzessiven Einzeleindrücke in möglichst großer Menge und Mannigfaltigkeit
simultan und in örtlichen Nebeneinander irgendwo auf der Vildfläche anbringen.
Ein Musterbeispiel für dieses Verfahren ist etwa die „Ruhelose Tänzerin" von
Giuv Severini. Nach der Erklärung will dieses „Gemälde" „Gesamteindrücke,
vergangene und gegenwärtige, nahe und entfernte, kleine und große einer
Tänzerin, so wie sie demi Maler erscheinen, der sie in verschiedenen Perioden
seines Lebens studiert hat", wiedergeben. Es findet sich in der Tat über die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |