Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Futuristen

geordnet sind. Es findet sich noch eine Sonderbarkeit in dem Bilde: nämlich
"die Macht der Schlaffheit", gegen die sich der Vorstoß der "Enthusiasten und
roten Lyriker" richtet, wird durch ein Haus symbolisch dargestellt, aber --
die Perspektive des Hauses ist zerstört, "wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt,
der einen Schlag in den Wind empfängt." Das erscheint schließlich als
etwas Nebensächliches. Uns kam es darauf an, nachzuweisen, daß in einigen
Werken der Maler-Futuristen in der Tat Ansätze vorhanden zu sein scheinen
zu einer neuartigen künstlerischen Lösung des Problems der Bewegungsgestaltung.
Wir sagten oben, die Bewegung finde bei ihnen eine abstrakte Darstellung, und
wollten damals vorzugsweise damit ausdrücken, daß bei dieser Art der Be¬
wegungsgestaltung abgesehen würde von naturalistischen Formen als Trägern
der Bewegung. Das, was an die Stelle dieser naturalistischen Ausdrucksformen
für die Bewegung getreten ist, das ist in dem einen Falle die bloße Farbe,
der bloße Farbeneindruck, wohlgemerkt wieder nicht die naturalistische Farbe:
man denke an die roten Pferdeköpfe Boccionis mit ihren blauen Kummels. Im
anderen Falle wirkt als Ausdrucksform für die Bewegung ein abstraktes Schema.

Besonders in diesem letzten Falle, repräsentiert durch die "Revolution"
Russolos, scheint es uns, als ob sich hier ein neuer Weg öffnet, der zu einer
symbolischen Darstellung der Bewegung führen kann. Aber die Futuristen sind
leider dazu geneigt, von den Möglichkeiten zum Symbolismus, die in ihrer
Kunst liegen, zu viel zu verlangen. Sie wählen sich Motive zur symbolischen
Gestaltung, die ihnen noch unfaßbar sind und wollen nicht sehen, wie kläglich
und nichtssagend das Erreichte ist im Vergleich zum Gewollten. Da will
Severini den Rhythmus schildern, "den Gegenstände und Umgebung seines
Zimmers auf den Maler ausüben", oder "das Gefühl der krankhaften Be¬
klemmung nach der Lektüre der Novelle (,Der schwarze Kater') von Edgar Man
Poe". Die symbolschaffende Kraft des Künstlers hat hier anscheinend nicht aus¬
gereicht, um für den gewählten Gefühlszustand einen verständlichen Ausdruck zu
finden. Das liegt aber zum Teil daran, daß eben dieser zum Motiv gewählte
Gemütszustand zu komplexer Art ist, daß er zu allgemein, zu unbestimmt und
daher in einem einzigen und einheitlichen Ausdruck, in einem einzigen Symbole,
zu schwer faßbar ist.

Sogar bei der Behandlung des Problems, das im Mittelpunkte ihrer
Bestrebungen steht, bei der Darstellung von Bewegungen, machen die Futuristen
einen ähnlichen Fehler, wie bei ihren Versuchen, Symbole für allzu umfassende
Gemütszustande zu schaffen. Sie wählen auch ihre Bewegungsmotive zu um¬
fassend, zu komplex, sie suchen mehr von der Bewegung zu geben, als der
Malerei und der bildenden Kunst überhaupt zugänglich ist. Um die Tragweite
dieses Fehlers zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die allgemeinen Gesetze
künstlerischer Bewegungsgestaltung zu richten.

Der Verlauf einer Bewegung in der Natur erfolgt in der Zeit, ihre ein¬
zelnen Phasen liegen zeitlich hintereinander, sie sind sukzessiv. Die bildende


Die Futuristen

geordnet sind. Es findet sich noch eine Sonderbarkeit in dem Bilde: nämlich
„die Macht der Schlaffheit", gegen die sich der Vorstoß der „Enthusiasten und
roten Lyriker" richtet, wird durch ein Haus symbolisch dargestellt, aber —
die Perspektive des Hauses ist zerstört, „wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt,
der einen Schlag in den Wind empfängt." Das erscheint schließlich als
etwas Nebensächliches. Uns kam es darauf an, nachzuweisen, daß in einigen
Werken der Maler-Futuristen in der Tat Ansätze vorhanden zu sein scheinen
zu einer neuartigen künstlerischen Lösung des Problems der Bewegungsgestaltung.
Wir sagten oben, die Bewegung finde bei ihnen eine abstrakte Darstellung, und
wollten damals vorzugsweise damit ausdrücken, daß bei dieser Art der Be¬
wegungsgestaltung abgesehen würde von naturalistischen Formen als Trägern
der Bewegung. Das, was an die Stelle dieser naturalistischen Ausdrucksformen
für die Bewegung getreten ist, das ist in dem einen Falle die bloße Farbe,
der bloße Farbeneindruck, wohlgemerkt wieder nicht die naturalistische Farbe:
man denke an die roten Pferdeköpfe Boccionis mit ihren blauen Kummels. Im
anderen Falle wirkt als Ausdrucksform für die Bewegung ein abstraktes Schema.

Besonders in diesem letzten Falle, repräsentiert durch die „Revolution"
Russolos, scheint es uns, als ob sich hier ein neuer Weg öffnet, der zu einer
symbolischen Darstellung der Bewegung führen kann. Aber die Futuristen sind
leider dazu geneigt, von den Möglichkeiten zum Symbolismus, die in ihrer
Kunst liegen, zu viel zu verlangen. Sie wählen sich Motive zur symbolischen
Gestaltung, die ihnen noch unfaßbar sind und wollen nicht sehen, wie kläglich
und nichtssagend das Erreichte ist im Vergleich zum Gewollten. Da will
Severini den Rhythmus schildern, „den Gegenstände und Umgebung seines
Zimmers auf den Maler ausüben", oder „das Gefühl der krankhaften Be¬
klemmung nach der Lektüre der Novelle (,Der schwarze Kater') von Edgar Man
Poe". Die symbolschaffende Kraft des Künstlers hat hier anscheinend nicht aus¬
gereicht, um für den gewählten Gefühlszustand einen verständlichen Ausdruck zu
finden. Das liegt aber zum Teil daran, daß eben dieser zum Motiv gewählte
Gemütszustand zu komplexer Art ist, daß er zu allgemein, zu unbestimmt und
daher in einem einzigen und einheitlichen Ausdruck, in einem einzigen Symbole,
zu schwer faßbar ist.

Sogar bei der Behandlung des Problems, das im Mittelpunkte ihrer
Bestrebungen steht, bei der Darstellung von Bewegungen, machen die Futuristen
einen ähnlichen Fehler, wie bei ihren Versuchen, Symbole für allzu umfassende
Gemütszustande zu schaffen. Sie wählen auch ihre Bewegungsmotive zu um¬
fassend, zu komplex, sie suchen mehr von der Bewegung zu geben, als der
Malerei und der bildenden Kunst überhaupt zugänglich ist. Um die Tragweite
dieses Fehlers zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die allgemeinen Gesetze
künstlerischer Bewegungsgestaltung zu richten.

Der Verlauf einer Bewegung in der Natur erfolgt in der Zeit, ihre ein¬
zelnen Phasen liegen zeitlich hintereinander, sie sind sukzessiv. Die bildende


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321973"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Futuristen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_898" prev="#ID_897"> geordnet sind. Es findet sich noch eine Sonderbarkeit in dem Bilde: nämlich<lb/>
&#x201E;die Macht der Schlaffheit", gegen die sich der Vorstoß der &#x201E;Enthusiasten und<lb/>
roten Lyriker" richtet, wird durch ein Haus symbolisch dargestellt, aber &#x2014;<lb/>
die Perspektive des Hauses ist zerstört, &#x201E;wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt,<lb/>
der einen Schlag in den Wind empfängt." Das erscheint schließlich als<lb/>
etwas Nebensächliches. Uns kam es darauf an, nachzuweisen, daß in einigen<lb/>
Werken der Maler-Futuristen in der Tat Ansätze vorhanden zu sein scheinen<lb/>
zu einer neuartigen künstlerischen Lösung des Problems der Bewegungsgestaltung.<lb/>
Wir sagten oben, die Bewegung finde bei ihnen eine abstrakte Darstellung, und<lb/>
wollten damals vorzugsweise damit ausdrücken, daß bei dieser Art der Be¬<lb/>
wegungsgestaltung abgesehen würde von naturalistischen Formen als Trägern<lb/>
der Bewegung. Das, was an die Stelle dieser naturalistischen Ausdrucksformen<lb/>
für die Bewegung getreten ist, das ist in dem einen Falle die bloße Farbe,<lb/>
der bloße Farbeneindruck, wohlgemerkt wieder nicht die naturalistische Farbe:<lb/>
man denke an die roten Pferdeköpfe Boccionis mit ihren blauen Kummels. Im<lb/>
anderen Falle wirkt als Ausdrucksform für die Bewegung ein abstraktes Schema.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_899"> Besonders in diesem letzten Falle, repräsentiert durch die &#x201E;Revolution"<lb/>
Russolos, scheint es uns, als ob sich hier ein neuer Weg öffnet, der zu einer<lb/>
symbolischen Darstellung der Bewegung führen kann. Aber die Futuristen sind<lb/>
leider dazu geneigt, von den Möglichkeiten zum Symbolismus, die in ihrer<lb/>
Kunst liegen, zu viel zu verlangen. Sie wählen sich Motive zur symbolischen<lb/>
Gestaltung, die ihnen noch unfaßbar sind und wollen nicht sehen, wie kläglich<lb/>
und nichtssagend das Erreichte ist im Vergleich zum Gewollten. Da will<lb/>
Severini den Rhythmus schildern, &#x201E;den Gegenstände und Umgebung seines<lb/>
Zimmers auf den Maler ausüben", oder &#x201E;das Gefühl der krankhaften Be¬<lb/>
klemmung nach der Lektüre der Novelle (,Der schwarze Kater') von Edgar Man<lb/>
Poe". Die symbolschaffende Kraft des Künstlers hat hier anscheinend nicht aus¬<lb/>
gereicht, um für den gewählten Gefühlszustand einen verständlichen Ausdruck zu<lb/>
finden. Das liegt aber zum Teil daran, daß eben dieser zum Motiv gewählte<lb/>
Gemütszustand zu komplexer Art ist, daß er zu allgemein, zu unbestimmt und<lb/>
daher in einem einzigen und einheitlichen Ausdruck, in einem einzigen Symbole,<lb/>
zu schwer faßbar ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900"> Sogar bei der Behandlung des Problems, das im Mittelpunkte ihrer<lb/>
Bestrebungen steht, bei der Darstellung von Bewegungen, machen die Futuristen<lb/>
einen ähnlichen Fehler, wie bei ihren Versuchen, Symbole für allzu umfassende<lb/>
Gemütszustande zu schaffen. Sie wählen auch ihre Bewegungsmotive zu um¬<lb/>
fassend, zu komplex, sie suchen mehr von der Bewegung zu geben, als der<lb/>
Malerei und der bildenden Kunst überhaupt zugänglich ist. Um die Tragweite<lb/>
dieses Fehlers zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die allgemeinen Gesetze<lb/>
künstlerischer Bewegungsgestaltung zu richten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901" next="#ID_902"> Der Verlauf einer Bewegung in der Natur erfolgt in der Zeit, ihre ein¬<lb/>
zelnen Phasen liegen zeitlich hintereinander, sie sind sukzessiv. Die bildende</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Die Futuristen geordnet sind. Es findet sich noch eine Sonderbarkeit in dem Bilde: nämlich „die Macht der Schlaffheit", gegen die sich der Vorstoß der „Enthusiasten und roten Lyriker" richtet, wird durch ein Haus symbolisch dargestellt, aber — die Perspektive des Hauses ist zerstört, „wie ein Faustkämpfer zweimal gebeugt, der einen Schlag in den Wind empfängt." Das erscheint schließlich als etwas Nebensächliches. Uns kam es darauf an, nachzuweisen, daß in einigen Werken der Maler-Futuristen in der Tat Ansätze vorhanden zu sein scheinen zu einer neuartigen künstlerischen Lösung des Problems der Bewegungsgestaltung. Wir sagten oben, die Bewegung finde bei ihnen eine abstrakte Darstellung, und wollten damals vorzugsweise damit ausdrücken, daß bei dieser Art der Be¬ wegungsgestaltung abgesehen würde von naturalistischen Formen als Trägern der Bewegung. Das, was an die Stelle dieser naturalistischen Ausdrucksformen für die Bewegung getreten ist, das ist in dem einen Falle die bloße Farbe, der bloße Farbeneindruck, wohlgemerkt wieder nicht die naturalistische Farbe: man denke an die roten Pferdeköpfe Boccionis mit ihren blauen Kummels. Im anderen Falle wirkt als Ausdrucksform für die Bewegung ein abstraktes Schema. Besonders in diesem letzten Falle, repräsentiert durch die „Revolution" Russolos, scheint es uns, als ob sich hier ein neuer Weg öffnet, der zu einer symbolischen Darstellung der Bewegung führen kann. Aber die Futuristen sind leider dazu geneigt, von den Möglichkeiten zum Symbolismus, die in ihrer Kunst liegen, zu viel zu verlangen. Sie wählen sich Motive zur symbolischen Gestaltung, die ihnen noch unfaßbar sind und wollen nicht sehen, wie kläglich und nichtssagend das Erreichte ist im Vergleich zum Gewollten. Da will Severini den Rhythmus schildern, „den Gegenstände und Umgebung seines Zimmers auf den Maler ausüben", oder „das Gefühl der krankhaften Be¬ klemmung nach der Lektüre der Novelle (,Der schwarze Kater') von Edgar Man Poe". Die symbolschaffende Kraft des Künstlers hat hier anscheinend nicht aus¬ gereicht, um für den gewählten Gefühlszustand einen verständlichen Ausdruck zu finden. Das liegt aber zum Teil daran, daß eben dieser zum Motiv gewählte Gemütszustand zu komplexer Art ist, daß er zu allgemein, zu unbestimmt und daher in einem einzigen und einheitlichen Ausdruck, in einem einzigen Symbole, zu schwer faßbar ist. Sogar bei der Behandlung des Problems, das im Mittelpunkte ihrer Bestrebungen steht, bei der Darstellung von Bewegungen, machen die Futuristen einen ähnlichen Fehler, wie bei ihren Versuchen, Symbole für allzu umfassende Gemütszustande zu schaffen. Sie wählen auch ihre Bewegungsmotive zu um¬ fassend, zu komplex, sie suchen mehr von der Bewegung zu geben, als der Malerei und der bildenden Kunst überhaupt zugänglich ist. Um die Tragweite dieses Fehlers zu verstehen, ist es nötig, einen Blick auf die allgemeinen Gesetze künstlerischer Bewegungsgestaltung zu richten. Der Verlauf einer Bewegung in der Natur erfolgt in der Zeit, ihre ein¬ zelnen Phasen liegen zeitlich hintereinander, sie sind sukzessiv. Die bildende

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/226>, abgerufen am 03.07.2024.