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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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An der wiege des Königreichs Rumänien

Aus allem, was mir Baron Koller erwiderte, konnte ich im allgemeinen
ersehen, daß Österreich wohl einer festen Gestaltung der Verhältnisse in der
Moldau und Wallachei durchaus entgegen ist, daß man nicht einmal den
Schatten von Unabhängigkeit, den diese Länder bisher hatten, erhalten, sondern
sie auch noch mehr, als bisher, dem türkischen Reiche assimilieren möchte, und
daß man alles daran setzen wird, die bisherige Bojarenwirtschaft beizubehalten.
Jede feste Regierung muß -- so deduziert man österreichischerseits -- nach
Unabhängigkeit streben; die Unabhängigkeit beruht auf der Nationalität, das
Nationalitätsprinzip setzt aber die nachbarlichen rumänischen Elemente in Sieben¬
bürgen und der Bukowina in Unruhe, und führt dort und in Bessarabien zu
einer Revolution; eine Revolution aber, die das Nationalitätsprinzip zur Basis
hat, steckt andere Nationalitäten an. Die Polen werden dann zur Nachahmung
aufgestachelt werden, die Italiener ebenfalls, kurz ganz Europa wird sehr bald
in Feuer und Flammen stehen, und die Regierungen werden zu spät den poli¬
tischen Fehler einsehen, den sie gemacht haben. -- Baron Koller geht aber noch
weiter; er meint, daß man durch die Hoffnungen, welche die in dieser Hinsicht
übereilten Dispositionen des Friedens von Paris bei den Moldawallachen erregt
haben, die Aufregung dort schon erzeugt habe, daß man daher schon jetzt nicht
füglich behaupten könne, daß die Arbeiten der Diwans ack live und der Kom¬
mission völlig frei sei, daß vielmehr beide sich unter dem Drucke einer gewissen
liberalen und nationalen Bewegung befinden würden, und daß er alles Ernstes
einen gewaltsamen Ausbruch dieser Bewegung und demokratische Manifestationen
schon während der Anwesenheit der Kommission in Bukarest befürchte, welche
bis jetzt nur vor der Furcht vor dem Einschreiten der österreichischen Truppen
niedergeholten worden seien. Er spielte, indem er die Verdienste Österreichs
um die allgemeine Ruhe durch jene Okkupation hervorhob, nicht undeutlich
darauf an, daß die Fortdauer derselbe" während der Reorganisationsarbeiten
im wesentlichen Interesse der Türkei und von ganz Europa liege.

Neuere Berichte des Generalkonsulates zu Bukarest an den königlichen
Gesandten teilen mit, daß in der Tat die Kontrakte über ein weiteres Ver¬
bleiben der österreichischen Truppen erneuert sind, und über ihren Abmarsch
aus den Fürstentümern wieder alles still geworden ist.

Baron Koller glaubte nicht bezweifeln zu dürfen, daß Euer Königlichen
Majestät die österreichische Auffassung und besonders auch im Interesse der
Ruhe in Allerhöchst Ihrer Provinz Posen, die er im Falle des Gegenteils
bedroht glaubt, vollständig zu teilen und Allerhöchst Sich daher der österreichischen
Politik, die er nicht verstand, auch für eine deutsche Politik zu erklären,
anzuschließen geruhen würden.

Ich habe ihn darüber im Ungewissen gelassen, denn es ist jetzt noch nicht
an der Zeit, in irgendwelche Manifestationen hierüber einzutreten; ich habe ihm
nur gesagt, daß ich auch früher Siebenbürgen und die Bukowina passiert, und
dort einen solchen materiellen und intellektuellen Aufschwung vorgefunden hätte,


An der wiege des Königreichs Rumänien

Aus allem, was mir Baron Koller erwiderte, konnte ich im allgemeinen
ersehen, daß Österreich wohl einer festen Gestaltung der Verhältnisse in der
Moldau und Wallachei durchaus entgegen ist, daß man nicht einmal den
Schatten von Unabhängigkeit, den diese Länder bisher hatten, erhalten, sondern
sie auch noch mehr, als bisher, dem türkischen Reiche assimilieren möchte, und
daß man alles daran setzen wird, die bisherige Bojarenwirtschaft beizubehalten.
Jede feste Regierung muß — so deduziert man österreichischerseits — nach
Unabhängigkeit streben; die Unabhängigkeit beruht auf der Nationalität, das
Nationalitätsprinzip setzt aber die nachbarlichen rumänischen Elemente in Sieben¬
bürgen und der Bukowina in Unruhe, und führt dort und in Bessarabien zu
einer Revolution; eine Revolution aber, die das Nationalitätsprinzip zur Basis
hat, steckt andere Nationalitäten an. Die Polen werden dann zur Nachahmung
aufgestachelt werden, die Italiener ebenfalls, kurz ganz Europa wird sehr bald
in Feuer und Flammen stehen, und die Regierungen werden zu spät den poli¬
tischen Fehler einsehen, den sie gemacht haben. — Baron Koller geht aber noch
weiter; er meint, daß man durch die Hoffnungen, welche die in dieser Hinsicht
übereilten Dispositionen des Friedens von Paris bei den Moldawallachen erregt
haben, die Aufregung dort schon erzeugt habe, daß man daher schon jetzt nicht
füglich behaupten könne, daß die Arbeiten der Diwans ack live und der Kom¬
mission völlig frei sei, daß vielmehr beide sich unter dem Drucke einer gewissen
liberalen und nationalen Bewegung befinden würden, und daß er alles Ernstes
einen gewaltsamen Ausbruch dieser Bewegung und demokratische Manifestationen
schon während der Anwesenheit der Kommission in Bukarest befürchte, welche
bis jetzt nur vor der Furcht vor dem Einschreiten der österreichischen Truppen
niedergeholten worden seien. Er spielte, indem er die Verdienste Österreichs
um die allgemeine Ruhe durch jene Okkupation hervorhob, nicht undeutlich
darauf an, daß die Fortdauer derselbe» während der Reorganisationsarbeiten
im wesentlichen Interesse der Türkei und von ganz Europa liege.

Neuere Berichte des Generalkonsulates zu Bukarest an den königlichen
Gesandten teilen mit, daß in der Tat die Kontrakte über ein weiteres Ver¬
bleiben der österreichischen Truppen erneuert sind, und über ihren Abmarsch
aus den Fürstentümern wieder alles still geworden ist.

Baron Koller glaubte nicht bezweifeln zu dürfen, daß Euer Königlichen
Majestät die österreichische Auffassung und besonders auch im Interesse der
Ruhe in Allerhöchst Ihrer Provinz Posen, die er im Falle des Gegenteils
bedroht glaubt, vollständig zu teilen und Allerhöchst Sich daher der österreichischen
Politik, die er nicht verstand, auch für eine deutsche Politik zu erklären,
anzuschließen geruhen würden.

Ich habe ihn darüber im Ungewissen gelassen, denn es ist jetzt noch nicht
an der Zeit, in irgendwelche Manifestationen hierüber einzutreten; ich habe ihm
nur gesagt, daß ich auch früher Siebenbürgen und die Bukowina passiert, und
dort einen solchen materiellen und intellektuellen Aufschwung vorgefunden hätte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/215>, abgerufen am 01.07.2024.