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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Materialismus, der der Vergangenheit der germanischen Völker widerspricht,
der sich rücksichtslos an die Spitze drängt und unsere ganze geistige Kultur
auszuhöhlen sucht. Das treibt, wie wir es täglich vor Augen haben, zur
Mißachtung der geistigen Güter und läßt diese nur so weit gelten, wie sie den
materiellen Wünschen nicht widerstreben. Mit dem Materialismus strömen
fremde Anschauungen in die seelenlosen Volkskörper, die den Zusammenhang
der germanischen Kultur lockern und politische Staatsgebilde von rein äußer¬
lichen Formen zu bilden suchen. Nicht nur in Deutschland lagern sich volks¬
fremde Anschauungen innerhalb des künstlerischen und geistigen Horizonts ab,
die zunächst noch harmlos sind, die sich später aber als kultur- und volksfeindliche
Kräfte entpuppen müssen. Immer schärfer zeichnet es sich auf diesem materiellen
Hintergrunde ab, daß die gleichen Lebensanschauungen vor den Besonderheiten
verblassen, daß die im Keim vorhandenen Eckigkeiten, Einzelformen und Eigen¬
wünsche sich zu einem Gegensatz verdichten, der in letzter Linie ebenso zerstörend
für die germanische Welt wie für die einzelnen Völker ist.

Wir haben es kürzlich erlebt, daß die Unkenntnis der Volksseele bei uns
und bei anderen germanischen Völkern Erbitterungen vorbereitet, die leicht zur
offenen Kriegsflamme emporlodern können. Vielleicht wächst dieses Mißtrauen
nicht weiter; dann aber ist der Stillstand zum Teil bedingt durch andere
Erwägungen, die bei den Völkern germanischer Zunge in der Richtung ihrer
historisch empfundenen Kulturgemeinschaft wirken, und die mit der Zeit immer
tiefer in das Kultur- und Wirtschaftsleben einschneiden werden. Vielleicht aber --
und diese Befürchtung liegt näher! -- dringen mit der Veräußerlichung aller
Lebensformen fremde Geisteskulturen, die von demselben Materialismus getragen
werden, in die Herzen der germanischen Völker und bereiten eine Zukunft
vor, in der trotz aller Aufrechterhaltung germanischen Wesens und trotz der
weit über den Erdball reichenden Ausstrahlung germanischer Arbeit die Träger
einander immer fremder werden, und die Kultur immer mehr zur Unfrucht¬
barkeit neigt.

Wenn die Entfremdung zum Teil auf der gegenseitigen Unkenntnis der
Kulturziele beruht, und wenn auch mit der Spaltung des Sprachstammes schon
sehr viel Fremdeinflüsse sich bei allen germanischen Völkern eingenistet haben,
dann ist damit noch nicht der Nachweis ihrer Unschädlichkeit erbracht. Wer
nicht gefühlsmäßig die schleichende Zersetzung der männlichen Bestandteile der
germanischen Kultur wahrnimmt, wer weder für die Lebensnotwendigkeiten der
germanischen Ideale Sinn hat, noch auch das zinsentragende Kapital einer
germanozentrischen Kultur für die Menschheit einzuschätzen vermag, den können
die von ihrem Volkstum aus berechtigten und entwicklungsfähigen Knltur-
energien der Romanen und Slawen belehren. Bei aller gelegentlich zum Ausbruch
kommenden Abneigung, selbst bei den scharfen, oft zum Kriege drängenden
politischen Gegensätzen sind beide VölkerfamiUen weit mehr als die Germanen
durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Abstammung gebunden. Immer zick-


Line Hochschule für groszgcrmaiiische Kultur

Materialismus, der der Vergangenheit der germanischen Völker widerspricht,
der sich rücksichtslos an die Spitze drängt und unsere ganze geistige Kultur
auszuhöhlen sucht. Das treibt, wie wir es täglich vor Augen haben, zur
Mißachtung der geistigen Güter und läßt diese nur so weit gelten, wie sie den
materiellen Wünschen nicht widerstreben. Mit dem Materialismus strömen
fremde Anschauungen in die seelenlosen Volkskörper, die den Zusammenhang
der germanischen Kultur lockern und politische Staatsgebilde von rein äußer¬
lichen Formen zu bilden suchen. Nicht nur in Deutschland lagern sich volks¬
fremde Anschauungen innerhalb des künstlerischen und geistigen Horizonts ab,
die zunächst noch harmlos sind, die sich später aber als kultur- und volksfeindliche
Kräfte entpuppen müssen. Immer schärfer zeichnet es sich auf diesem materiellen
Hintergrunde ab, daß die gleichen Lebensanschauungen vor den Besonderheiten
verblassen, daß die im Keim vorhandenen Eckigkeiten, Einzelformen und Eigen¬
wünsche sich zu einem Gegensatz verdichten, der in letzter Linie ebenso zerstörend
für die germanische Welt wie für die einzelnen Völker ist.

Wir haben es kürzlich erlebt, daß die Unkenntnis der Volksseele bei uns
und bei anderen germanischen Völkern Erbitterungen vorbereitet, die leicht zur
offenen Kriegsflamme emporlodern können. Vielleicht wächst dieses Mißtrauen
nicht weiter; dann aber ist der Stillstand zum Teil bedingt durch andere
Erwägungen, die bei den Völkern germanischer Zunge in der Richtung ihrer
historisch empfundenen Kulturgemeinschaft wirken, und die mit der Zeit immer
tiefer in das Kultur- und Wirtschaftsleben einschneiden werden. Vielleicht aber —
und diese Befürchtung liegt näher! — dringen mit der Veräußerlichung aller
Lebensformen fremde Geisteskulturen, die von demselben Materialismus getragen
werden, in die Herzen der germanischen Völker und bereiten eine Zukunft
vor, in der trotz aller Aufrechterhaltung germanischen Wesens und trotz der
weit über den Erdball reichenden Ausstrahlung germanischer Arbeit die Träger
einander immer fremder werden, und die Kultur immer mehr zur Unfrucht¬
barkeit neigt.

Wenn die Entfremdung zum Teil auf der gegenseitigen Unkenntnis der
Kulturziele beruht, und wenn auch mit der Spaltung des Sprachstammes schon
sehr viel Fremdeinflüsse sich bei allen germanischen Völkern eingenistet haben,
dann ist damit noch nicht der Nachweis ihrer Unschädlichkeit erbracht. Wer
nicht gefühlsmäßig die schleichende Zersetzung der männlichen Bestandteile der
germanischen Kultur wahrnimmt, wer weder für die Lebensnotwendigkeiten der
germanischen Ideale Sinn hat, noch auch das zinsentragende Kapital einer
germanozentrischen Kultur für die Menschheit einzuschätzen vermag, den können
die von ihrem Volkstum aus berechtigten und entwicklungsfähigen Knltur-
energien der Romanen und Slawen belehren. Bei aller gelegentlich zum Ausbruch
kommenden Abneigung, selbst bei den scharfen, oft zum Kriege drängenden
politischen Gegensätzen sind beide VölkerfamiUen weit mehr als die Germanen
durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Abstammung gebunden. Immer zick-


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[0211] Line Hochschule für groszgcrmaiiische Kultur Materialismus, der der Vergangenheit der germanischen Völker widerspricht, der sich rücksichtslos an die Spitze drängt und unsere ganze geistige Kultur auszuhöhlen sucht. Das treibt, wie wir es täglich vor Augen haben, zur Mißachtung der geistigen Güter und läßt diese nur so weit gelten, wie sie den materiellen Wünschen nicht widerstreben. Mit dem Materialismus strömen fremde Anschauungen in die seelenlosen Volkskörper, die den Zusammenhang der germanischen Kultur lockern und politische Staatsgebilde von rein äußer¬ lichen Formen zu bilden suchen. Nicht nur in Deutschland lagern sich volks¬ fremde Anschauungen innerhalb des künstlerischen und geistigen Horizonts ab, die zunächst noch harmlos sind, die sich später aber als kultur- und volksfeindliche Kräfte entpuppen müssen. Immer schärfer zeichnet es sich auf diesem materiellen Hintergrunde ab, daß die gleichen Lebensanschauungen vor den Besonderheiten verblassen, daß die im Keim vorhandenen Eckigkeiten, Einzelformen und Eigen¬ wünsche sich zu einem Gegensatz verdichten, der in letzter Linie ebenso zerstörend für die germanische Welt wie für die einzelnen Völker ist. Wir haben es kürzlich erlebt, daß die Unkenntnis der Volksseele bei uns und bei anderen germanischen Völkern Erbitterungen vorbereitet, die leicht zur offenen Kriegsflamme emporlodern können. Vielleicht wächst dieses Mißtrauen nicht weiter; dann aber ist der Stillstand zum Teil bedingt durch andere Erwägungen, die bei den Völkern germanischer Zunge in der Richtung ihrer historisch empfundenen Kulturgemeinschaft wirken, und die mit der Zeit immer tiefer in das Kultur- und Wirtschaftsleben einschneiden werden. Vielleicht aber — und diese Befürchtung liegt näher! — dringen mit der Veräußerlichung aller Lebensformen fremde Geisteskulturen, die von demselben Materialismus getragen werden, in die Herzen der germanischen Völker und bereiten eine Zukunft vor, in der trotz aller Aufrechterhaltung germanischen Wesens und trotz der weit über den Erdball reichenden Ausstrahlung germanischer Arbeit die Träger einander immer fremder werden, und die Kultur immer mehr zur Unfrucht¬ barkeit neigt. Wenn die Entfremdung zum Teil auf der gegenseitigen Unkenntnis der Kulturziele beruht, und wenn auch mit der Spaltung des Sprachstammes schon sehr viel Fremdeinflüsse sich bei allen germanischen Völkern eingenistet haben, dann ist damit noch nicht der Nachweis ihrer Unschädlichkeit erbracht. Wer nicht gefühlsmäßig die schleichende Zersetzung der männlichen Bestandteile der germanischen Kultur wahrnimmt, wer weder für die Lebensnotwendigkeiten der germanischen Ideale Sinn hat, noch auch das zinsentragende Kapital einer germanozentrischen Kultur für die Menschheit einzuschätzen vermag, den können die von ihrem Volkstum aus berechtigten und entwicklungsfähigen Knltur- energien der Romanen und Slawen belehren. Bei aller gelegentlich zum Ausbruch kommenden Abneigung, selbst bei den scharfen, oft zum Kriege drängenden politischen Gegensätzen sind beide VölkerfamiUen weit mehr als die Germanen durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Abstammung gebunden. Immer zick-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/211>, abgerufen am 03.07.2024.