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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Line Hochschule für großgcrmanische Rultur

Meitzen der Kenntnis erschlossen wurde, das gesamte politische Leben der
germariischen Völker durchdrungen hat.

Es ist in der Tat nicht die Vergangenheit allein, die in solchen Zeugnissen
uns die Hand reicht, es ist das Gemeinsame der Lebensauffassung, das alle
Glieder der germanischen Völkerschaft eint und bestimmend für die Zukunft
bleibt. Selbst die Folgerungen, die der Englanddeutsche Stewart Houston
Chamberlain aus der Kulturlage zieht, stehen auf dieser gemeingermanischen
Grundlage.

Zeugnis kann man an Zeugnis reihen, um den Nachweis zu erbringen,
daß trotz der großen Entfremdung die germanischen Völker durch eine gemeinsame
Grundempfindung, durch ein Artgefühl verbunden sind, das die Richtung ihrer
Kultur bestimmt, das in vielen Beziehungen auch bindend für die Entschließungen
des einzelnen ist. Aber auf der anderen Seite steht eine politische Verstimmung,
die in den natürlichen Gang der Gemeinsamkeitsinteressen eingreift und ihn
nicht selten gewaltsam zum Stillstand zu zwingen sucht. Man könnte aus den
verhängnisvollen Ereignissen der Geschichte der germanischen Völker den Schluß
ziehen, daß das Erkennen der gemeinsamen Interessen erst erfolgt, wenn die
gegenseitige Stärke durch Waffengewalt entschieden ist. Denn von den Marko¬
mannen-, Alemannen" und Sachsenbünden bis zu dem Bruderkampf von 186K
ist der Gemeinsamkeitsgedanke erst in einem Kampfe geboren, bei dem fremde
Völker nicht nur Zuschauer, sondern häufig auch Teilnehmer waren. Von außen
kommende Wünsche und Hoffnungen haben die Entscheidung herbeigeführt; von
hier aus ist immer wieder oas Mißtrauen gesät worden, wenn sich die Interessen¬
gegensätze auszugleichen schienen. Ist der Bruderkampf wirklich der ewige Fluch
germanischer Vollkraft? Politisch gesehen, möchte es so scheinen; aus den
Kämpfen wuchs indessen doch immer wieder das Vertrauen zur Zusammen¬
gehörigkeit auf, das durch die Geistesarbeit der hervorragendsten Geister der
germanischen Welt unaufhörlich vorbereitet war.

Der politische Blick ermißt die Welt mit der Kühle des Kaufmanns, der
nicht das Soll, sondern das Haben zur Grundlage seiner Berechnungen macht.
Und das ist auch gut so. Wenn wir das Haben in Ordnung halten, dann
werden wir mit den Kapitalien germanischer Kraft gut wirtschaften können.
So sehen wir freiwillige Anwälte an der Arbeit, vor allem das Vertrauen zum
gegenseitigen Wollen zu befestigen und das vorhandene Mißtrauen einzudämmen.
Reisen, Freundschaftsbeteuerungen werden indessen die Entwicklung der Gegensätze
nicht aufhalten, wenn nicht auch in der Volksseele die Ahnung ausflammt, daß
Größeres und Erhabeneres für die Menschheit auf dem Spiele steht, als ein
zeitlicher Ausgleich. Ein starker volklicher Wille, der die materielle Kultur nur
als Grundlage geistiger und nationaler Güter anerkennt, muß die Fäden spinnen von
Volk zu Volk, und damit auch die materiellen Wünsche auf eine höhere Stufe stellen.

Die Kräfte, die das Gemeinsame der germanischen Kultur gefährden,
die zuletzt selbst jede Kulturarbeit aufhalten, ziehen ihre Nahrung aus dem


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Meitzen der Kenntnis erschlossen wurde, das gesamte politische Leben der
germariischen Völker durchdrungen hat.

Es ist in der Tat nicht die Vergangenheit allein, die in solchen Zeugnissen
uns die Hand reicht, es ist das Gemeinsame der Lebensauffassung, das alle
Glieder der germanischen Völkerschaft eint und bestimmend für die Zukunft
bleibt. Selbst die Folgerungen, die der Englanddeutsche Stewart Houston
Chamberlain aus der Kulturlage zieht, stehen auf dieser gemeingermanischen
Grundlage.

Zeugnis kann man an Zeugnis reihen, um den Nachweis zu erbringen,
daß trotz der großen Entfremdung die germanischen Völker durch eine gemeinsame
Grundempfindung, durch ein Artgefühl verbunden sind, das die Richtung ihrer
Kultur bestimmt, das in vielen Beziehungen auch bindend für die Entschließungen
des einzelnen ist. Aber auf der anderen Seite steht eine politische Verstimmung,
die in den natürlichen Gang der Gemeinsamkeitsinteressen eingreift und ihn
nicht selten gewaltsam zum Stillstand zu zwingen sucht. Man könnte aus den
verhängnisvollen Ereignissen der Geschichte der germanischen Völker den Schluß
ziehen, daß das Erkennen der gemeinsamen Interessen erst erfolgt, wenn die
gegenseitige Stärke durch Waffengewalt entschieden ist. Denn von den Marko¬
mannen-, Alemannen» und Sachsenbünden bis zu dem Bruderkampf von 186K
ist der Gemeinsamkeitsgedanke erst in einem Kampfe geboren, bei dem fremde
Völker nicht nur Zuschauer, sondern häufig auch Teilnehmer waren. Von außen
kommende Wünsche und Hoffnungen haben die Entscheidung herbeigeführt; von
hier aus ist immer wieder oas Mißtrauen gesät worden, wenn sich die Interessen¬
gegensätze auszugleichen schienen. Ist der Bruderkampf wirklich der ewige Fluch
germanischer Vollkraft? Politisch gesehen, möchte es so scheinen; aus den
Kämpfen wuchs indessen doch immer wieder das Vertrauen zur Zusammen¬
gehörigkeit auf, das durch die Geistesarbeit der hervorragendsten Geister der
germanischen Welt unaufhörlich vorbereitet war.

Der politische Blick ermißt die Welt mit der Kühle des Kaufmanns, der
nicht das Soll, sondern das Haben zur Grundlage seiner Berechnungen macht.
Und das ist auch gut so. Wenn wir das Haben in Ordnung halten, dann
werden wir mit den Kapitalien germanischer Kraft gut wirtschaften können.
So sehen wir freiwillige Anwälte an der Arbeit, vor allem das Vertrauen zum
gegenseitigen Wollen zu befestigen und das vorhandene Mißtrauen einzudämmen.
Reisen, Freundschaftsbeteuerungen werden indessen die Entwicklung der Gegensätze
nicht aufhalten, wenn nicht auch in der Volksseele die Ahnung ausflammt, daß
Größeres und Erhabeneres für die Menschheit auf dem Spiele steht, als ein
zeitlicher Ausgleich. Ein starker volklicher Wille, der die materielle Kultur nur
als Grundlage geistiger und nationaler Güter anerkennt, muß die Fäden spinnen von
Volk zu Volk, und damit auch die materiellen Wünsche auf eine höhere Stufe stellen.

Die Kräfte, die das Gemeinsame der germanischen Kultur gefährden,
die zuletzt selbst jede Kulturarbeit aufhalten, ziehen ihre Nahrung aus dem


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[0210] Line Hochschule für großgcrmanische Rultur Meitzen der Kenntnis erschlossen wurde, das gesamte politische Leben der germariischen Völker durchdrungen hat. Es ist in der Tat nicht die Vergangenheit allein, die in solchen Zeugnissen uns die Hand reicht, es ist das Gemeinsame der Lebensauffassung, das alle Glieder der germanischen Völkerschaft eint und bestimmend für die Zukunft bleibt. Selbst die Folgerungen, die der Englanddeutsche Stewart Houston Chamberlain aus der Kulturlage zieht, stehen auf dieser gemeingermanischen Grundlage. Zeugnis kann man an Zeugnis reihen, um den Nachweis zu erbringen, daß trotz der großen Entfremdung die germanischen Völker durch eine gemeinsame Grundempfindung, durch ein Artgefühl verbunden sind, das die Richtung ihrer Kultur bestimmt, das in vielen Beziehungen auch bindend für die Entschließungen des einzelnen ist. Aber auf der anderen Seite steht eine politische Verstimmung, die in den natürlichen Gang der Gemeinsamkeitsinteressen eingreift und ihn nicht selten gewaltsam zum Stillstand zu zwingen sucht. Man könnte aus den verhängnisvollen Ereignissen der Geschichte der germanischen Völker den Schluß ziehen, daß das Erkennen der gemeinsamen Interessen erst erfolgt, wenn die gegenseitige Stärke durch Waffengewalt entschieden ist. Denn von den Marko¬ mannen-, Alemannen» und Sachsenbünden bis zu dem Bruderkampf von 186K ist der Gemeinsamkeitsgedanke erst in einem Kampfe geboren, bei dem fremde Völker nicht nur Zuschauer, sondern häufig auch Teilnehmer waren. Von außen kommende Wünsche und Hoffnungen haben die Entscheidung herbeigeführt; von hier aus ist immer wieder oas Mißtrauen gesät worden, wenn sich die Interessen¬ gegensätze auszugleichen schienen. Ist der Bruderkampf wirklich der ewige Fluch germanischer Vollkraft? Politisch gesehen, möchte es so scheinen; aus den Kämpfen wuchs indessen doch immer wieder das Vertrauen zur Zusammen¬ gehörigkeit auf, das durch die Geistesarbeit der hervorragendsten Geister der germanischen Welt unaufhörlich vorbereitet war. Der politische Blick ermißt die Welt mit der Kühle des Kaufmanns, der nicht das Soll, sondern das Haben zur Grundlage seiner Berechnungen macht. Und das ist auch gut so. Wenn wir das Haben in Ordnung halten, dann werden wir mit den Kapitalien germanischer Kraft gut wirtschaften können. So sehen wir freiwillige Anwälte an der Arbeit, vor allem das Vertrauen zum gegenseitigen Wollen zu befestigen und das vorhandene Mißtrauen einzudämmen. Reisen, Freundschaftsbeteuerungen werden indessen die Entwicklung der Gegensätze nicht aufhalten, wenn nicht auch in der Volksseele die Ahnung ausflammt, daß Größeres und Erhabeneres für die Menschheit auf dem Spiele steht, als ein zeitlicher Ausgleich. Ein starker volklicher Wille, der die materielle Kultur nur als Grundlage geistiger und nationaler Güter anerkennt, muß die Fäden spinnen von Volk zu Volk, und damit auch die materiellen Wünsche auf eine höhere Stufe stellen. Die Kräfte, die das Gemeinsame der germanischen Kultur gefährden, die zuletzt selbst jede Kulturarbeit aufhalten, ziehen ihre Nahrung aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/210>, abgerufen am 03.07.2024.