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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Mirow

Noch einen Blick werfe ich in den Garten, den sicher einst schattige Charmilles,
geschorene Hecken, Sandsteinfiguren und holländische Tulpenbeete schmückten, der
nun aber kaum mehr als ein Wäldchen ist, unter dessen hohen Bäumen sich
jetzt ein dichter Teppich jungen Grüns ausbreitet. Vor der Tür des Schlosses
stehen keine zahmen Kraniche mehr Wache, und am Tor strickt kein bezopfter
Grenadier mehr; alles ist still und leer, und wuchern auch keine Dornen um
das Schlößchen: es schläft doch unter den grünen Schleiern, die eben der Frühling
wieder zu weben beginnt, und träumt von einer alten, längst vergangenen Zeit. Nur
wenn die Trauerglocken durchs Land klingen und man wieder ein Glied des alten
Stammes zur Ruhe bettet, dann wird es lebendig hinter den weißgerahmten Fenstern
und im weiten Saal droben. Dann fahren Karossen, man sieht betreßte Lakaien in
roten Livreen, schwarz umflorte Uniformen, wallende Crepeschleier, schwarze,
schleppende Gewänder. Das Trauergefolge versammelt sich zum Imbiß im
Schlößchen. Mirow ist ja jetzt die Stätte der Toten, und diese will ich nun besuchen.

Seitwärts an das Kirchenschiff, das von allerlei barockem Zierat und ein¬
gebauten Chören erfüllt ist, befindet sich die Fürstengruft. Viele von denen,
die hier in den goldbetreßten, sammetüberzogenen Särgen schlummern, habe ich
gut gekannt. Von allen weiß ich.

Drei fürstliche Generationen ruhen hier. Beginnend mit Herzog Karl von
Mecklenburg-Strelitz (1794 bis 1816) und seinen beiden Gemahlinnen, deren
erste die Mutter der Königin Luise war, bis zu dem 1904 verstorbenen Gro߬
herzog Friedrich Wilhelm und seinem erst wenige Monate hier ruhenden Enkel,
Herzog Borwin. Welch eine große Spanne Zeit in diesem engen Raum! Mehr
als ein ganzes Jahrhundert liegt zwischen dem Sterbegeläut, das jenen ersten
Sarg -- den der Mutter der Königin Luise -- hier hinein begleitete und den
Tönen, die vor kurzer Zeit über dem Totenschrein ihres Urenkels erklangen.
Halbdunkel schwebt in der Gruft. In mattem Glanz leuchtet hier und da eine
Tresse, und die Kronen auf den Särgen der regierenden Herren heben sich
schattenhaft von der hell getünchten Wand ab.

Da schlafen sie alle. Alle lebten sie auf der Höhe des Lebens. Waren
sie darum glücklich? Alle haben Tränen, Leid und Schmerz dieser Erde kosten
müssen. Gott suchte ihrer aller Herzen. Alle sind sie nun hinter den dunklen
Vorhang getreten, der jene Welt verhüllt. Und was ließen sie hier zurück?
Auch ihre Spuren sind wie Fußstapfen im Meeressand, die der Wind verweht
und die die Wogen verlöschen. Und waren doch Fürsten und Fürstinnen.
Was ist Menschenherrlichkeit, und welch ein gewaltiger Prediger ist der Tod in
seinem Schweigen. -- Aber siehe, dort am Ende des Raumes schimmert es
hell, ein gemaltes Fenster. Ich blicke auf; das dorngekrönte Antlitz des Erlösers
schaut als durchleuchtetes Bild über die Särge hin, und mir ist, als spräche er
das große, herrliche Wort: "Ich bin die Auferstehung und das Leben!"

Draußen aber grüßt mich der Frühling in tausend Knospen und Blüten
und jubelnden Vogelstimmen: "Auferstehen, ja, auferstehen!"




Mirow

Noch einen Blick werfe ich in den Garten, den sicher einst schattige Charmilles,
geschorene Hecken, Sandsteinfiguren und holländische Tulpenbeete schmückten, der
nun aber kaum mehr als ein Wäldchen ist, unter dessen hohen Bäumen sich
jetzt ein dichter Teppich jungen Grüns ausbreitet. Vor der Tür des Schlosses
stehen keine zahmen Kraniche mehr Wache, und am Tor strickt kein bezopfter
Grenadier mehr; alles ist still und leer, und wuchern auch keine Dornen um
das Schlößchen: es schläft doch unter den grünen Schleiern, die eben der Frühling
wieder zu weben beginnt, und träumt von einer alten, längst vergangenen Zeit. Nur
wenn die Trauerglocken durchs Land klingen und man wieder ein Glied des alten
Stammes zur Ruhe bettet, dann wird es lebendig hinter den weißgerahmten Fenstern
und im weiten Saal droben. Dann fahren Karossen, man sieht betreßte Lakaien in
roten Livreen, schwarz umflorte Uniformen, wallende Crepeschleier, schwarze,
schleppende Gewänder. Das Trauergefolge versammelt sich zum Imbiß im
Schlößchen. Mirow ist ja jetzt die Stätte der Toten, und diese will ich nun besuchen.

Seitwärts an das Kirchenschiff, das von allerlei barockem Zierat und ein¬
gebauten Chören erfüllt ist, befindet sich die Fürstengruft. Viele von denen,
die hier in den goldbetreßten, sammetüberzogenen Särgen schlummern, habe ich
gut gekannt. Von allen weiß ich.

Drei fürstliche Generationen ruhen hier. Beginnend mit Herzog Karl von
Mecklenburg-Strelitz (1794 bis 1816) und seinen beiden Gemahlinnen, deren
erste die Mutter der Königin Luise war, bis zu dem 1904 verstorbenen Gro߬
herzog Friedrich Wilhelm und seinem erst wenige Monate hier ruhenden Enkel,
Herzog Borwin. Welch eine große Spanne Zeit in diesem engen Raum! Mehr
als ein ganzes Jahrhundert liegt zwischen dem Sterbegeläut, das jenen ersten
Sarg — den der Mutter der Königin Luise — hier hinein begleitete und den
Tönen, die vor kurzer Zeit über dem Totenschrein ihres Urenkels erklangen.
Halbdunkel schwebt in der Gruft. In mattem Glanz leuchtet hier und da eine
Tresse, und die Kronen auf den Särgen der regierenden Herren heben sich
schattenhaft von der hell getünchten Wand ab.

Da schlafen sie alle. Alle lebten sie auf der Höhe des Lebens. Waren
sie darum glücklich? Alle haben Tränen, Leid und Schmerz dieser Erde kosten
müssen. Gott suchte ihrer aller Herzen. Alle sind sie nun hinter den dunklen
Vorhang getreten, der jene Welt verhüllt. Und was ließen sie hier zurück?
Auch ihre Spuren sind wie Fußstapfen im Meeressand, die der Wind verweht
und die die Wogen verlöschen. Und waren doch Fürsten und Fürstinnen.
Was ist Menschenherrlichkeit, und welch ein gewaltiger Prediger ist der Tod in
seinem Schweigen. — Aber siehe, dort am Ende des Raumes schimmert es
hell, ein gemaltes Fenster. Ich blicke auf; das dorngekrönte Antlitz des Erlösers
schaut als durchleuchtetes Bild über die Särge hin, und mir ist, als spräche er
das große, herrliche Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben!"

Draußen aber grüßt mich der Frühling in tausend Knospen und Blüten
und jubelnden Vogelstimmen: „Auferstehen, ja, auferstehen!"




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[0193] Mirow Noch einen Blick werfe ich in den Garten, den sicher einst schattige Charmilles, geschorene Hecken, Sandsteinfiguren und holländische Tulpenbeete schmückten, der nun aber kaum mehr als ein Wäldchen ist, unter dessen hohen Bäumen sich jetzt ein dichter Teppich jungen Grüns ausbreitet. Vor der Tür des Schlosses stehen keine zahmen Kraniche mehr Wache, und am Tor strickt kein bezopfter Grenadier mehr; alles ist still und leer, und wuchern auch keine Dornen um das Schlößchen: es schläft doch unter den grünen Schleiern, die eben der Frühling wieder zu weben beginnt, und träumt von einer alten, längst vergangenen Zeit. Nur wenn die Trauerglocken durchs Land klingen und man wieder ein Glied des alten Stammes zur Ruhe bettet, dann wird es lebendig hinter den weißgerahmten Fenstern und im weiten Saal droben. Dann fahren Karossen, man sieht betreßte Lakaien in roten Livreen, schwarz umflorte Uniformen, wallende Crepeschleier, schwarze, schleppende Gewänder. Das Trauergefolge versammelt sich zum Imbiß im Schlößchen. Mirow ist ja jetzt die Stätte der Toten, und diese will ich nun besuchen. Seitwärts an das Kirchenschiff, das von allerlei barockem Zierat und ein¬ gebauten Chören erfüllt ist, befindet sich die Fürstengruft. Viele von denen, die hier in den goldbetreßten, sammetüberzogenen Särgen schlummern, habe ich gut gekannt. Von allen weiß ich. Drei fürstliche Generationen ruhen hier. Beginnend mit Herzog Karl von Mecklenburg-Strelitz (1794 bis 1816) und seinen beiden Gemahlinnen, deren erste die Mutter der Königin Luise war, bis zu dem 1904 verstorbenen Gro߬ herzog Friedrich Wilhelm und seinem erst wenige Monate hier ruhenden Enkel, Herzog Borwin. Welch eine große Spanne Zeit in diesem engen Raum! Mehr als ein ganzes Jahrhundert liegt zwischen dem Sterbegeläut, das jenen ersten Sarg — den der Mutter der Königin Luise — hier hinein begleitete und den Tönen, die vor kurzer Zeit über dem Totenschrein ihres Urenkels erklangen. Halbdunkel schwebt in der Gruft. In mattem Glanz leuchtet hier und da eine Tresse, und die Kronen auf den Särgen der regierenden Herren heben sich schattenhaft von der hell getünchten Wand ab. Da schlafen sie alle. Alle lebten sie auf der Höhe des Lebens. Waren sie darum glücklich? Alle haben Tränen, Leid und Schmerz dieser Erde kosten müssen. Gott suchte ihrer aller Herzen. Alle sind sie nun hinter den dunklen Vorhang getreten, der jene Welt verhüllt. Und was ließen sie hier zurück? Auch ihre Spuren sind wie Fußstapfen im Meeressand, die der Wind verweht und die die Wogen verlöschen. Und waren doch Fürsten und Fürstinnen. Was ist Menschenherrlichkeit, und welch ein gewaltiger Prediger ist der Tod in seinem Schweigen. — Aber siehe, dort am Ende des Raumes schimmert es hell, ein gemaltes Fenster. Ich blicke auf; das dorngekrönte Antlitz des Erlösers schaut als durchleuchtetes Bild über die Särge hin, und mir ist, als spräche er das große, herrliche Wort: „Ich bin die Auferstehung und das Leben!" Draußen aber grüßt mich der Frühling in tausend Knospen und Blüten und jubelnden Vogelstimmen: „Auferstehen, ja, auferstehen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/193>, abgerufen am 01.07.2024.