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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Wilhelm Schäfer

sichtig klare Spiegelung lebendig bewegten Geschehens. Der Reiz gewagtester
Situationen, an denen die abenteuerliche Geschichte überreich ist, wird bei allem
Maßhalten doch voll ausgeschöpft, und die Handlung ist in sicherem Zuge
vorangeführt, die stoffliche Spannung des Gegenstandes übersetzt sich in die ziel¬
bewußte Raschheit des künstlerischen Vortrags. Auch hier gibt der Fülle der
Begebenheiten die Weltgeschichte selbst den Hintergrund: man könnte sich ihn in
den entscheidenden Augenblicken noch energischer in seiner vollen Tiefe ausgenützt
denken, es wird nicht zwingend offenbar, warum sich an dieser Welt frecher
Abenteuer und allgemeiner gesellschaftlicher Fäulnis ein Schicksal erfüllen muß,
das eine weltgeschichtliche Katastrophe bedeutet. Aber was sich auf der morschen
Bühne bewegt, sind vollrunde, lebendige Gestalten, und sie alle, Hohe ivie
Gemeine, lenkt die kecke Hand der Meisterin des ganzen Spiels, des Bettel¬
mädchens von der Landstraße, die es sich verbriefen läßt, daß das Blut der
Valois in ihren Adern rinnt, und dann nach einem unerhört sicheren Aufstieg
den Kardinal Rohan samt der Königin in ihre unentwirrbaren Netze zu ver¬
stricken weiß.

Einmal hat Schäfer den Vorwurf für eine größere Erzählung auch un¬
mittelbar aus dem Leben genommen, in den "Mißgeschickten". Doch auch hier
begibt er sich in eine merkwürdige Abhängigkeit. Dreier Menschen Schicksal und
Untergang hat er aus nächster Nähe, mit ganz persönlichem Anteil miterlebt.
Nun formt sich ihm aus grübelnden Zurückschauen Zug um Zug ein sorgsam
treues Abbild des dunkel schweren Geschehens. Und es will ihm zugleich ein
Sinnbild bedeuten für ein Ringen, in das unsere Zeit vielfältig begabte Naturen
fast mit Notwendigkeit hineinreißt, wenn sie der ungeheuren Anspannung des
äußeren Lebens, seinem selbstherrlichen Anspruch auf einen seelenlosen Kräfte¬
verbrauch die Forderung eines gesteigerten Innenlebens entgegen setzen wollen,
die Wirklichkeit der Arbeit aus den Bedürfnissen der eigenen Persönlichkeit
heraus zu meistern sich unterfangen. Die Kräfte dafür sind heute offenbar nur
erst wenigen Begnadeten gewachsen, all den anderen verschlingt das überkühne
Wagnis Ruhe und Leben. Schäfer war aber nun in persönlicher Erinnerung
so befangen, daß er es mit Absicht unterließ, das Geschehen in seiner Darstellung
in den Bereich des unbedingt Gültigen hinaufzuheben: so gibt er es mit all
den Wirklichkeitszusammenhängen, in denen er es erlebt hat. Gewiß erwächst
so die bewegende Eindringlichkeit des Vortrags aus dem Beben einer ergriffenen
Seele, aber es fehlt ein Letztes an Loslösung von der genau nachrechenbaren
Wirklichkeit des Einzellebens, und der Erzähler begibt sich des selbstherrlichen
Anspruchs seiner dichterischen Kraft, wenn er seine Arbeit von vornherein unter
den Gesichtswinkel der Erklärung und Rechtfertigung eines tatsächlich so erlebten
Schicksals stellt.

Ein viel weiterer Umfang als allen vorangehenden ist Wilhelm Schäfers
neuestem Werk abgesteckt. Er hat es unternommen. "Karl Stauffers Lebens¬
gang" von neuem zu erzählen. Also die eigenen Bekenntnisse des Künstlers zu


Wilhelm Schäfer

sichtig klare Spiegelung lebendig bewegten Geschehens. Der Reiz gewagtester
Situationen, an denen die abenteuerliche Geschichte überreich ist, wird bei allem
Maßhalten doch voll ausgeschöpft, und die Handlung ist in sicherem Zuge
vorangeführt, die stoffliche Spannung des Gegenstandes übersetzt sich in die ziel¬
bewußte Raschheit des künstlerischen Vortrags. Auch hier gibt der Fülle der
Begebenheiten die Weltgeschichte selbst den Hintergrund: man könnte sich ihn in
den entscheidenden Augenblicken noch energischer in seiner vollen Tiefe ausgenützt
denken, es wird nicht zwingend offenbar, warum sich an dieser Welt frecher
Abenteuer und allgemeiner gesellschaftlicher Fäulnis ein Schicksal erfüllen muß,
das eine weltgeschichtliche Katastrophe bedeutet. Aber was sich auf der morschen
Bühne bewegt, sind vollrunde, lebendige Gestalten, und sie alle, Hohe ivie
Gemeine, lenkt die kecke Hand der Meisterin des ganzen Spiels, des Bettel¬
mädchens von der Landstraße, die es sich verbriefen läßt, daß das Blut der
Valois in ihren Adern rinnt, und dann nach einem unerhört sicheren Aufstieg
den Kardinal Rohan samt der Königin in ihre unentwirrbaren Netze zu ver¬
stricken weiß.

Einmal hat Schäfer den Vorwurf für eine größere Erzählung auch un¬
mittelbar aus dem Leben genommen, in den „Mißgeschickten". Doch auch hier
begibt er sich in eine merkwürdige Abhängigkeit. Dreier Menschen Schicksal und
Untergang hat er aus nächster Nähe, mit ganz persönlichem Anteil miterlebt.
Nun formt sich ihm aus grübelnden Zurückschauen Zug um Zug ein sorgsam
treues Abbild des dunkel schweren Geschehens. Und es will ihm zugleich ein
Sinnbild bedeuten für ein Ringen, in das unsere Zeit vielfältig begabte Naturen
fast mit Notwendigkeit hineinreißt, wenn sie der ungeheuren Anspannung des
äußeren Lebens, seinem selbstherrlichen Anspruch auf einen seelenlosen Kräfte¬
verbrauch die Forderung eines gesteigerten Innenlebens entgegen setzen wollen,
die Wirklichkeit der Arbeit aus den Bedürfnissen der eigenen Persönlichkeit
heraus zu meistern sich unterfangen. Die Kräfte dafür sind heute offenbar nur
erst wenigen Begnadeten gewachsen, all den anderen verschlingt das überkühne
Wagnis Ruhe und Leben. Schäfer war aber nun in persönlicher Erinnerung
so befangen, daß er es mit Absicht unterließ, das Geschehen in seiner Darstellung
in den Bereich des unbedingt Gültigen hinaufzuheben: so gibt er es mit all
den Wirklichkeitszusammenhängen, in denen er es erlebt hat. Gewiß erwächst
so die bewegende Eindringlichkeit des Vortrags aus dem Beben einer ergriffenen
Seele, aber es fehlt ein Letztes an Loslösung von der genau nachrechenbaren
Wirklichkeit des Einzellebens, und der Erzähler begibt sich des selbstherrlichen
Anspruchs seiner dichterischen Kraft, wenn er seine Arbeit von vornherein unter
den Gesichtswinkel der Erklärung und Rechtfertigung eines tatsächlich so erlebten
Schicksals stellt.

Ein viel weiterer Umfang als allen vorangehenden ist Wilhelm Schäfers
neuestem Werk abgesteckt. Er hat es unternommen. „Karl Stauffers Lebens¬
gang" von neuem zu erzählen. Also die eigenen Bekenntnisse des Künstlers zu


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[0168] Wilhelm Schäfer sichtig klare Spiegelung lebendig bewegten Geschehens. Der Reiz gewagtester Situationen, an denen die abenteuerliche Geschichte überreich ist, wird bei allem Maßhalten doch voll ausgeschöpft, und die Handlung ist in sicherem Zuge vorangeführt, die stoffliche Spannung des Gegenstandes übersetzt sich in die ziel¬ bewußte Raschheit des künstlerischen Vortrags. Auch hier gibt der Fülle der Begebenheiten die Weltgeschichte selbst den Hintergrund: man könnte sich ihn in den entscheidenden Augenblicken noch energischer in seiner vollen Tiefe ausgenützt denken, es wird nicht zwingend offenbar, warum sich an dieser Welt frecher Abenteuer und allgemeiner gesellschaftlicher Fäulnis ein Schicksal erfüllen muß, das eine weltgeschichtliche Katastrophe bedeutet. Aber was sich auf der morschen Bühne bewegt, sind vollrunde, lebendige Gestalten, und sie alle, Hohe ivie Gemeine, lenkt die kecke Hand der Meisterin des ganzen Spiels, des Bettel¬ mädchens von der Landstraße, die es sich verbriefen läßt, daß das Blut der Valois in ihren Adern rinnt, und dann nach einem unerhört sicheren Aufstieg den Kardinal Rohan samt der Königin in ihre unentwirrbaren Netze zu ver¬ stricken weiß. Einmal hat Schäfer den Vorwurf für eine größere Erzählung auch un¬ mittelbar aus dem Leben genommen, in den „Mißgeschickten". Doch auch hier begibt er sich in eine merkwürdige Abhängigkeit. Dreier Menschen Schicksal und Untergang hat er aus nächster Nähe, mit ganz persönlichem Anteil miterlebt. Nun formt sich ihm aus grübelnden Zurückschauen Zug um Zug ein sorgsam treues Abbild des dunkel schweren Geschehens. Und es will ihm zugleich ein Sinnbild bedeuten für ein Ringen, in das unsere Zeit vielfältig begabte Naturen fast mit Notwendigkeit hineinreißt, wenn sie der ungeheuren Anspannung des äußeren Lebens, seinem selbstherrlichen Anspruch auf einen seelenlosen Kräfte¬ verbrauch die Forderung eines gesteigerten Innenlebens entgegen setzen wollen, die Wirklichkeit der Arbeit aus den Bedürfnissen der eigenen Persönlichkeit heraus zu meistern sich unterfangen. Die Kräfte dafür sind heute offenbar nur erst wenigen Begnadeten gewachsen, all den anderen verschlingt das überkühne Wagnis Ruhe und Leben. Schäfer war aber nun in persönlicher Erinnerung so befangen, daß er es mit Absicht unterließ, das Geschehen in seiner Darstellung in den Bereich des unbedingt Gültigen hinaufzuheben: so gibt er es mit all den Wirklichkeitszusammenhängen, in denen er es erlebt hat. Gewiß erwächst so die bewegende Eindringlichkeit des Vortrags aus dem Beben einer ergriffenen Seele, aber es fehlt ein Letztes an Loslösung von der genau nachrechenbaren Wirklichkeit des Einzellebens, und der Erzähler begibt sich des selbstherrlichen Anspruchs seiner dichterischen Kraft, wenn er seine Arbeit von vornherein unter den Gesichtswinkel der Erklärung und Rechtfertigung eines tatsächlich so erlebten Schicksals stellt. Ein viel weiterer Umfang als allen vorangehenden ist Wilhelm Schäfers neuestem Werk abgesteckt. Er hat es unternommen. „Karl Stauffers Lebens¬ gang" von neuem zu erzählen. Also die eigenen Bekenntnisse des Künstlers zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/168>, abgerufen am 03.07.2024.