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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

6) Der unter b) erwähnte schwere Fall des Hausfriedensbruchs mußte
bisher von Amts wegen verfolgt werden, nur die Verfolgung des einfachen
erforderte Vorliegen eines Strafantrages; nunmehr ist in allen Fällen Antrag
nötig, und dieser kann auch zurückgenommen werden, worauf das Verfahren
einzustellen ist.

2. In einem neuen Absatz 2 des H 223 a ist eine Bestimmung geschaffen,
die einen stärkeren Schutz wehrloser Kinder gegen Mißhandlungen seitens
der Fürsorgepflichtigen festsetzt; die Bestimmung sei ihrer Wichtigkeit wegen hier
im Wortlaute mitgeteilt; § 223 a Abs. 2 lautet:


"Gleiche Strafe" (d. h. Gefängnis nicht unter zwei Monaten) "tritt ein,
wenn gegen eine noch nicht achtzehn Jahre alte oder wegen Gebrechlichkeit
oder Krankheit wehrlose Person, die der Fürsorge oder Obhut des Täters
untersteht oder seinem Hausstande angehört oder die der Fürsorgepflichtige
der Gewalt des Täters überlassen hat, eine Körperverletzung mittels grau¬
samer oder boshafter Behandlung begangen wird."

Die hier mit Strafe bedrohte Tat muß also von Personen begangen
werden, die zur Fürsorge für ihr Opfer besonders berufen sind; als Täter
kommen danach z. B. Eltern, Pflegeeltern, Vormünder, Geistliche, Lehrer, Er¬
zieher, Ärzte, das Personal in Waisenhäusern und Gefängnissen, Dienstboten
bezüglich der ihnen anvertrauten Kinder ihrer Herrschaft u. a. in. in Betracht;
die "Grausamkeit" der Behandlung ist ein mehr objektives Erfordernis, die
"Boshaftigkeit" ein mehr subjektives. Die angedrohte Strafe ermäßigt sich nach
H 228 dann, wenn dem Täter mildernde Umstände zuzubilligen sind, auf eine
Gefängnisstrafe von einem Tage bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu
1000 Mark.

3. Bisher stand auf Diebstahl lediglich Gefängnis; selbst in außerordentlich
milde liegenden Fällen, wie z. B. in dem viel erwähnten, in dem eine arme
Frau eine ganz geringe Menge Kohlen entwendet hatte, um ihren frierenden
Kindern ein warmes Zimmer zu verschaffen, mußte auf Gefängnis erkannt
werden, noch nicht einmal beim Vorliegen mildernder Umstände war Geldstrafe
vorgesehen. Zur Beseitigung dieser viel erörterten Härte ist ein neuer Z 248 a
geschaffen, nach dem Geldstrafe (bis zu 300 Mary oder Gefängnis, aber nur
bis zu drei Monaten, demjenigen angedroht wird, der aus Not geringwertige
Gegenstände entwendet oder unterschlägt; die Verfolgung soll außerdem nur
auf Antrag eintreten und die Zurücknahme dieses Antrages möglich sein. Bei
Unterschlagungen war freilich auch schon bisher Geldstrafe möglich (bis
900 Mary, aber nur, wenn mildernde Umstände vorlagen (Z 246), jetzt ist
eine solche in Gemäßheit obiges Paragraphen ständig möglich.

Ebenso war bisher bei dem Betrug nur dann Geldstrafe möglich, wenn
mildernde Umstände vorlagen. Entsprechend dem Z 248 a bestimmt nun ein
neuer H 264a, daß dieselben milden Strafen, wie dort, angedroht sein sollen


Reichsspiegel

6) Der unter b) erwähnte schwere Fall des Hausfriedensbruchs mußte
bisher von Amts wegen verfolgt werden, nur die Verfolgung des einfachen
erforderte Vorliegen eines Strafantrages; nunmehr ist in allen Fällen Antrag
nötig, und dieser kann auch zurückgenommen werden, worauf das Verfahren
einzustellen ist.

2. In einem neuen Absatz 2 des H 223 a ist eine Bestimmung geschaffen,
die einen stärkeren Schutz wehrloser Kinder gegen Mißhandlungen seitens
der Fürsorgepflichtigen festsetzt; die Bestimmung sei ihrer Wichtigkeit wegen hier
im Wortlaute mitgeteilt; § 223 a Abs. 2 lautet:


„Gleiche Strafe" (d. h. Gefängnis nicht unter zwei Monaten) „tritt ein,
wenn gegen eine noch nicht achtzehn Jahre alte oder wegen Gebrechlichkeit
oder Krankheit wehrlose Person, die der Fürsorge oder Obhut des Täters
untersteht oder seinem Hausstande angehört oder die der Fürsorgepflichtige
der Gewalt des Täters überlassen hat, eine Körperverletzung mittels grau¬
samer oder boshafter Behandlung begangen wird."

Die hier mit Strafe bedrohte Tat muß also von Personen begangen
werden, die zur Fürsorge für ihr Opfer besonders berufen sind; als Täter
kommen danach z. B. Eltern, Pflegeeltern, Vormünder, Geistliche, Lehrer, Er¬
zieher, Ärzte, das Personal in Waisenhäusern und Gefängnissen, Dienstboten
bezüglich der ihnen anvertrauten Kinder ihrer Herrschaft u. a. in. in Betracht;
die „Grausamkeit" der Behandlung ist ein mehr objektives Erfordernis, die
„Boshaftigkeit" ein mehr subjektives. Die angedrohte Strafe ermäßigt sich nach
H 228 dann, wenn dem Täter mildernde Umstände zuzubilligen sind, auf eine
Gefängnisstrafe von einem Tage bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu
1000 Mark.

3. Bisher stand auf Diebstahl lediglich Gefängnis; selbst in außerordentlich
milde liegenden Fällen, wie z. B. in dem viel erwähnten, in dem eine arme
Frau eine ganz geringe Menge Kohlen entwendet hatte, um ihren frierenden
Kindern ein warmes Zimmer zu verschaffen, mußte auf Gefängnis erkannt
werden, noch nicht einmal beim Vorliegen mildernder Umstände war Geldstrafe
vorgesehen. Zur Beseitigung dieser viel erörterten Härte ist ein neuer Z 248 a
geschaffen, nach dem Geldstrafe (bis zu 300 Mary oder Gefängnis, aber nur
bis zu drei Monaten, demjenigen angedroht wird, der aus Not geringwertige
Gegenstände entwendet oder unterschlägt; die Verfolgung soll außerdem nur
auf Antrag eintreten und die Zurücknahme dieses Antrages möglich sein. Bei
Unterschlagungen war freilich auch schon bisher Geldstrafe möglich (bis
900 Mary, aber nur, wenn mildernde Umstände vorlagen (Z 246), jetzt ist
eine solche in Gemäßheit obiges Paragraphen ständig möglich.

Ebenso war bisher bei dem Betrug nur dann Geldstrafe möglich, wenn
mildernde Umstände vorlagen. Entsprechend dem Z 248 a bestimmt nun ein
neuer H 264a, daß dieselben milden Strafen, wie dort, angedroht sein sollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/154>, abgerufen am 01.07.2024.