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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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"Amerika den Amerikanern!"

zeigen, was man sich unter der Grant-Pott-Doktrin dachte, ergab sich bei dem
VenezuelakonM des Jahres 1895. AIs England die Grenzen seiner süd¬
amerikanischen Kolonie Guyana immer weiter gegen Venezuela vorschob, ent¬
standen zwischen beiden Staaten Streitigkeiten. In diese Streitigkeiten griffen
die Vereinigten Staaten auf Veranlassung des damaligen Staatssekretärs Olney --
natürlich unter Berufung auf die Monroedoktrin -- ein und boten ihre Dienste
zur Schlichtung des Konfliktes an. Dieser Drohung mit einer Intervention --
denn nichts anderes war das Eingreifen der Vereinigten Staaten, -- begegneten
die Engländer außerordentlich kühl und scharf. In zwei Depeschen gab Lord
Salisbury seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie mau sich im vorliegenden
Falle auf die Monroedoktrin, jenes so oft desavouierte und unklare Dogma,
berufen könnte. Die Antwort erregte in den Vereinigten Staaten lebhafte
Erregung und kriegerische Stimmung. Schließlich wurde ein Ausweg gefunden,
indem beide Mächte ein europäisches Schiedsgericht anriefen. So wurde die
Grundregel der alten Monroedoktrin verletzt, indem die Entscheidung über eine
Angelegenheit Amerikas in die Hände Europas gelegt wurde. Aber viel wichtiger
ist die Tatsache, daß man die Monroedoktrin nicht wie bisher zur Verteidigung
gegen Europa sondern zum Augriff gegen dasselbe benutzte. Nachdem man so
sich England als Schiedsrichter hatte aufdrängen wollen, fehlte nur noch ein
Schritt, daß man Europa offen angriff. Und dieser Schritt wurde in Kuba
getan. Aber es gelang den Sophisten der Vereinigten Staaten, selbst
diesen Schritt unverhüllter Willkür und rücksichtslosen Imperialismus unter
die Rubrik Monroedoktrin -- es handelt sich natürlich um die von Grant-
Polk abgeänderte -- zu bringen. So gering das wissenschaftliche Interesse an
der Deduktion ist, so groß ist das psychologische und psychiatrische: Monroe
habe es als Aufgabe der Vereinigten Staaten erachtet, jede Verschlechterung der
politischen Lage der Kolonien in Amerika zu verhindern. Eine solche Ver¬
schlechterung sei aber durch das Verhalten Spaniens Kuba gegenüber herbei¬
geführt worden. Somit sei die Monroedoktrin verletzt worden usw.

Es versteht sich von selbst, daß, nachdem dieses Kunststück gelungen war,
sich die Rechtmäßigkeit der Aneignung von Hawai, der Philippinen usw. leicht
und zwanglos in analoger Art nachweisen läßt.

So ergibt sich die Antwort auf die Frage, wie sich die alte Monroe¬
doktrin mit dem Verhalten des modernen Amerikas vereinigt, ganz von selbst:
garnicht. Die alte Monroedoktrin ist tot, und das, was als solche verkündet
wird, ist die planmäßige, bewußte Schaffung moderner imperialistischer Grund¬
sätze durch neu-amerikanische Politiker, mit dem Zweck, der amerikanischen
Eroberungslust ein historisch-wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen.

Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Umgestaltung der Monroe¬
doktrin eine bewußte war und nur zu dem Zweck inszeniert wurde, die Herrsch¬
gelüste der Amerikaner zu erleichtern, dann gibt es keinen Beweis, der so schlüssig
wäre wie die Art, der Monroedoktrin -- der alten sowohl wie der neuen --


„Amerika den Amerikanern!"

zeigen, was man sich unter der Grant-Pott-Doktrin dachte, ergab sich bei dem
VenezuelakonM des Jahres 1895. AIs England die Grenzen seiner süd¬
amerikanischen Kolonie Guyana immer weiter gegen Venezuela vorschob, ent¬
standen zwischen beiden Staaten Streitigkeiten. In diese Streitigkeiten griffen
die Vereinigten Staaten auf Veranlassung des damaligen Staatssekretärs Olney —
natürlich unter Berufung auf die Monroedoktrin — ein und boten ihre Dienste
zur Schlichtung des Konfliktes an. Dieser Drohung mit einer Intervention —
denn nichts anderes war das Eingreifen der Vereinigten Staaten, — begegneten
die Engländer außerordentlich kühl und scharf. In zwei Depeschen gab Lord
Salisbury seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie mau sich im vorliegenden
Falle auf die Monroedoktrin, jenes so oft desavouierte und unklare Dogma,
berufen könnte. Die Antwort erregte in den Vereinigten Staaten lebhafte
Erregung und kriegerische Stimmung. Schließlich wurde ein Ausweg gefunden,
indem beide Mächte ein europäisches Schiedsgericht anriefen. So wurde die
Grundregel der alten Monroedoktrin verletzt, indem die Entscheidung über eine
Angelegenheit Amerikas in die Hände Europas gelegt wurde. Aber viel wichtiger
ist die Tatsache, daß man die Monroedoktrin nicht wie bisher zur Verteidigung
gegen Europa sondern zum Augriff gegen dasselbe benutzte. Nachdem man so
sich England als Schiedsrichter hatte aufdrängen wollen, fehlte nur noch ein
Schritt, daß man Europa offen angriff. Und dieser Schritt wurde in Kuba
getan. Aber es gelang den Sophisten der Vereinigten Staaten, selbst
diesen Schritt unverhüllter Willkür und rücksichtslosen Imperialismus unter
die Rubrik Monroedoktrin — es handelt sich natürlich um die von Grant-
Polk abgeänderte — zu bringen. So gering das wissenschaftliche Interesse an
der Deduktion ist, so groß ist das psychologische und psychiatrische: Monroe
habe es als Aufgabe der Vereinigten Staaten erachtet, jede Verschlechterung der
politischen Lage der Kolonien in Amerika zu verhindern. Eine solche Ver¬
schlechterung sei aber durch das Verhalten Spaniens Kuba gegenüber herbei¬
geführt worden. Somit sei die Monroedoktrin verletzt worden usw.

Es versteht sich von selbst, daß, nachdem dieses Kunststück gelungen war,
sich die Rechtmäßigkeit der Aneignung von Hawai, der Philippinen usw. leicht
und zwanglos in analoger Art nachweisen läßt.

So ergibt sich die Antwort auf die Frage, wie sich die alte Monroe¬
doktrin mit dem Verhalten des modernen Amerikas vereinigt, ganz von selbst:
garnicht. Die alte Monroedoktrin ist tot, und das, was als solche verkündet
wird, ist die planmäßige, bewußte Schaffung moderner imperialistischer Grund¬
sätze durch neu-amerikanische Politiker, mit dem Zweck, der amerikanischen
Eroberungslust ein historisch-wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen.

Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Umgestaltung der Monroe¬
doktrin eine bewußte war und nur zu dem Zweck inszeniert wurde, die Herrsch¬
gelüste der Amerikaner zu erleichtern, dann gibt es keinen Beweis, der so schlüssig
wäre wie die Art, der Monroedoktrin — der alten sowohl wie der neuen —


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[0079] „Amerika den Amerikanern!" zeigen, was man sich unter der Grant-Pott-Doktrin dachte, ergab sich bei dem VenezuelakonM des Jahres 1895. AIs England die Grenzen seiner süd¬ amerikanischen Kolonie Guyana immer weiter gegen Venezuela vorschob, ent¬ standen zwischen beiden Staaten Streitigkeiten. In diese Streitigkeiten griffen die Vereinigten Staaten auf Veranlassung des damaligen Staatssekretärs Olney — natürlich unter Berufung auf die Monroedoktrin — ein und boten ihre Dienste zur Schlichtung des Konfliktes an. Dieser Drohung mit einer Intervention — denn nichts anderes war das Eingreifen der Vereinigten Staaten, — begegneten die Engländer außerordentlich kühl und scharf. In zwei Depeschen gab Lord Salisbury seiner Verwunderung darüber Ausdruck, wie mau sich im vorliegenden Falle auf die Monroedoktrin, jenes so oft desavouierte und unklare Dogma, berufen könnte. Die Antwort erregte in den Vereinigten Staaten lebhafte Erregung und kriegerische Stimmung. Schließlich wurde ein Ausweg gefunden, indem beide Mächte ein europäisches Schiedsgericht anriefen. So wurde die Grundregel der alten Monroedoktrin verletzt, indem die Entscheidung über eine Angelegenheit Amerikas in die Hände Europas gelegt wurde. Aber viel wichtiger ist die Tatsache, daß man die Monroedoktrin nicht wie bisher zur Verteidigung gegen Europa sondern zum Augriff gegen dasselbe benutzte. Nachdem man so sich England als Schiedsrichter hatte aufdrängen wollen, fehlte nur noch ein Schritt, daß man Europa offen angriff. Und dieser Schritt wurde in Kuba getan. Aber es gelang den Sophisten der Vereinigten Staaten, selbst diesen Schritt unverhüllter Willkür und rücksichtslosen Imperialismus unter die Rubrik Monroedoktrin — es handelt sich natürlich um die von Grant- Polk abgeänderte — zu bringen. So gering das wissenschaftliche Interesse an der Deduktion ist, so groß ist das psychologische und psychiatrische: Monroe habe es als Aufgabe der Vereinigten Staaten erachtet, jede Verschlechterung der politischen Lage der Kolonien in Amerika zu verhindern. Eine solche Ver¬ schlechterung sei aber durch das Verhalten Spaniens Kuba gegenüber herbei¬ geführt worden. Somit sei die Monroedoktrin verletzt worden usw. Es versteht sich von selbst, daß, nachdem dieses Kunststück gelungen war, sich die Rechtmäßigkeit der Aneignung von Hawai, der Philippinen usw. leicht und zwanglos in analoger Art nachweisen läßt. So ergibt sich die Antwort auf die Frage, wie sich die alte Monroe¬ doktrin mit dem Verhalten des modernen Amerikas vereinigt, ganz von selbst: garnicht. Die alte Monroedoktrin ist tot, und das, was als solche verkündet wird, ist die planmäßige, bewußte Schaffung moderner imperialistischer Grund¬ sätze durch neu-amerikanische Politiker, mit dem Zweck, der amerikanischen Eroberungslust ein historisch-wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Umgestaltung der Monroe¬ doktrin eine bewußte war und nur zu dem Zweck inszeniert wurde, die Herrsch¬ gelüste der Amerikaner zu erleichtern, dann gibt es keinen Beweis, der so schlüssig wäre wie die Art, der Monroedoktrin — der alten sowohl wie der neuen —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/79>, abgerufen am 03.07.2024.