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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Amerika den Amerikanern!"

Heere böten Bürgschaft für den Frieden und den Fortschritt eines Volkes. Auf
Grund dieser Leitsätze fordert Homer Lea die Schaffung einer Flotte, die
mindestens doppelt so stark sein müsse, wie die irgend einer anderen Macht und
eines großen stehenden Heeres. Die Zeiten hätten sich geändert; Amerika läge
nicht mehr abseits von anderen Weltteilen, sei vielmehr durch die Verbesserungen
der Transportmittel in den Brennpunkt des Weltverkehrs gerückt; und die
Monroedoktrin, die die Vereinigten Staaten vor der näheren Berührung mit
fremden Völkern habe schützen sollen, biete Mein auch keinen Schutz gegen über¬
mächtige Nachbarn. Nur mit einer starken Rüstung könne Amerika die Kriege
bestehen, die die Verletzung der Monroedoktrin durch die nach Osten bezw.
Westen kraft logischer Gesetze sich ausdehnenden Völker Europas und Asiens
zur Folge haben müßten. Nur so könnten die Vereinigten Staaten die Pflichten
erfüllen, die die Monroedoktrin ihnen auferlege: über die Unabhängigkeit des
amerikanischen Kontinents (also einschließlich Südamerika) zu machen und ihre
Interessensphären im Karibischen Meere, im Zentral-Pacific und ihre asiatischen
Besitzungen schützen. Besonders wichtig seien die Inseln im karibischen Meer,
deren strategische Lage in der Nähe des Panama-Kanals solche Bedeutung be¬
sitze, daß die dortigen Besitzungen fremder Mächte eine Bedrohung bedeuteten.
-- Im zweiten Teile des Buches schildert Verfasser deu wahrscheinlichen Verlauf
eines Krieges gegen Japan, wobei er zu dein Schluß kommt, daß Japan bei dem
erbärmlichen Stande der amerikanischen Rüstungen durch einen erfolgreichen Ein¬
bruch in Kalifornien schnell einen glorreichen Sieg erringen müsse; eine Offensive
der Vereinigten Staaten hält er sür ausgeschlossen.

Es gibt viele Behauptungen in Leas Buch, die den europäischen Leser in
Erstannen versetzen, die man aber seiner Nationalität, der rücksichtslosen Phantastik
seiner Landsleute und ihrem völlig mangelnden Verständnis für historische Ent¬
wicklung zugute zu halten bereit ist; so z. B. wenn er von Holland als von
einem binnen kurzem deutschen Staat spricht; wenn er die Anstellung Chinas
als etwas Selbstverständliches annimmt; ferner, wenn er ganz Europa für
übervölkert hält und daraus starke politische Expansionsgelüste nach Amerika
hin folgert. Das Überraschendste an seinen Darlegungen sind aber seine Pläne
über die politische Ausdehnung seines Volkes, über die Beherrschung der einen
Hälfte des Erdballs durch die Vereinigten Staaten, und zwar überrascht weniger
die Tatsache, daß er all dieses fordert, als die Art wie er es fordert. Der
Sinn dafür, daß er etwas Übermäßiges, Unberechtigtes verlangt, scheint ihm
völlig abzugehen. Er begründet die Ansprüche, die er auf die Kolonien fremder
Länder, auf diese selbst erhebt, nicht einmal damit, daß er sagt: Wir müssen
uns heranhalten; die anderen Völker dehnen sich aus, da dürfen wir, obwohl
mit Land und Mineralschätzen für absehbare Zeiten überreichlich versehen, nicht
zurückstehen, sondern wir wollen auch unseren Teil bei der Verteilung der Beute
haben. Es würde uns vielleicht nicht Wunder nehmen, wenn Lea seine Lands¬
leute aufforderte, die Republiken von Südamerika unter die wirtschaftliche und


Amerika den Amerikanern!"

Heere böten Bürgschaft für den Frieden und den Fortschritt eines Volkes. Auf
Grund dieser Leitsätze fordert Homer Lea die Schaffung einer Flotte, die
mindestens doppelt so stark sein müsse, wie die irgend einer anderen Macht und
eines großen stehenden Heeres. Die Zeiten hätten sich geändert; Amerika läge
nicht mehr abseits von anderen Weltteilen, sei vielmehr durch die Verbesserungen
der Transportmittel in den Brennpunkt des Weltverkehrs gerückt; und die
Monroedoktrin, die die Vereinigten Staaten vor der näheren Berührung mit
fremden Völkern habe schützen sollen, biete Mein auch keinen Schutz gegen über¬
mächtige Nachbarn. Nur mit einer starken Rüstung könne Amerika die Kriege
bestehen, die die Verletzung der Monroedoktrin durch die nach Osten bezw.
Westen kraft logischer Gesetze sich ausdehnenden Völker Europas und Asiens
zur Folge haben müßten. Nur so könnten die Vereinigten Staaten die Pflichten
erfüllen, die die Monroedoktrin ihnen auferlege: über die Unabhängigkeit des
amerikanischen Kontinents (also einschließlich Südamerika) zu machen und ihre
Interessensphären im Karibischen Meere, im Zentral-Pacific und ihre asiatischen
Besitzungen schützen. Besonders wichtig seien die Inseln im karibischen Meer,
deren strategische Lage in der Nähe des Panama-Kanals solche Bedeutung be¬
sitze, daß die dortigen Besitzungen fremder Mächte eine Bedrohung bedeuteten.
— Im zweiten Teile des Buches schildert Verfasser deu wahrscheinlichen Verlauf
eines Krieges gegen Japan, wobei er zu dein Schluß kommt, daß Japan bei dem
erbärmlichen Stande der amerikanischen Rüstungen durch einen erfolgreichen Ein¬
bruch in Kalifornien schnell einen glorreichen Sieg erringen müsse; eine Offensive
der Vereinigten Staaten hält er sür ausgeschlossen.

Es gibt viele Behauptungen in Leas Buch, die den europäischen Leser in
Erstannen versetzen, die man aber seiner Nationalität, der rücksichtslosen Phantastik
seiner Landsleute und ihrem völlig mangelnden Verständnis für historische Ent¬
wicklung zugute zu halten bereit ist; so z. B. wenn er von Holland als von
einem binnen kurzem deutschen Staat spricht; wenn er die Anstellung Chinas
als etwas Selbstverständliches annimmt; ferner, wenn er ganz Europa für
übervölkert hält und daraus starke politische Expansionsgelüste nach Amerika
hin folgert. Das Überraschendste an seinen Darlegungen sind aber seine Pläne
über die politische Ausdehnung seines Volkes, über die Beherrschung der einen
Hälfte des Erdballs durch die Vereinigten Staaten, und zwar überrascht weniger
die Tatsache, daß er all dieses fordert, als die Art wie er es fordert. Der
Sinn dafür, daß er etwas Übermäßiges, Unberechtigtes verlangt, scheint ihm
völlig abzugehen. Er begründet die Ansprüche, die er auf die Kolonien fremder
Länder, auf diese selbst erhebt, nicht einmal damit, daß er sagt: Wir müssen
uns heranhalten; die anderen Völker dehnen sich aus, da dürfen wir, obwohl
mit Land und Mineralschätzen für absehbare Zeiten überreichlich versehen, nicht
zurückstehen, sondern wir wollen auch unseren Teil bei der Verteilung der Beute
haben. Es würde uns vielleicht nicht Wunder nehmen, wenn Lea seine Lands¬
leute aufforderte, die Republiken von Südamerika unter die wirtschaftliche und


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[0071] Amerika den Amerikanern!" Heere böten Bürgschaft für den Frieden und den Fortschritt eines Volkes. Auf Grund dieser Leitsätze fordert Homer Lea die Schaffung einer Flotte, die mindestens doppelt so stark sein müsse, wie die irgend einer anderen Macht und eines großen stehenden Heeres. Die Zeiten hätten sich geändert; Amerika läge nicht mehr abseits von anderen Weltteilen, sei vielmehr durch die Verbesserungen der Transportmittel in den Brennpunkt des Weltverkehrs gerückt; und die Monroedoktrin, die die Vereinigten Staaten vor der näheren Berührung mit fremden Völkern habe schützen sollen, biete Mein auch keinen Schutz gegen über¬ mächtige Nachbarn. Nur mit einer starken Rüstung könne Amerika die Kriege bestehen, die die Verletzung der Monroedoktrin durch die nach Osten bezw. Westen kraft logischer Gesetze sich ausdehnenden Völker Europas und Asiens zur Folge haben müßten. Nur so könnten die Vereinigten Staaten die Pflichten erfüllen, die die Monroedoktrin ihnen auferlege: über die Unabhängigkeit des amerikanischen Kontinents (also einschließlich Südamerika) zu machen und ihre Interessensphären im Karibischen Meere, im Zentral-Pacific und ihre asiatischen Besitzungen schützen. Besonders wichtig seien die Inseln im karibischen Meer, deren strategische Lage in der Nähe des Panama-Kanals solche Bedeutung be¬ sitze, daß die dortigen Besitzungen fremder Mächte eine Bedrohung bedeuteten. — Im zweiten Teile des Buches schildert Verfasser deu wahrscheinlichen Verlauf eines Krieges gegen Japan, wobei er zu dein Schluß kommt, daß Japan bei dem erbärmlichen Stande der amerikanischen Rüstungen durch einen erfolgreichen Ein¬ bruch in Kalifornien schnell einen glorreichen Sieg erringen müsse; eine Offensive der Vereinigten Staaten hält er sür ausgeschlossen. Es gibt viele Behauptungen in Leas Buch, die den europäischen Leser in Erstannen versetzen, die man aber seiner Nationalität, der rücksichtslosen Phantastik seiner Landsleute und ihrem völlig mangelnden Verständnis für historische Ent¬ wicklung zugute zu halten bereit ist; so z. B. wenn er von Holland als von einem binnen kurzem deutschen Staat spricht; wenn er die Anstellung Chinas als etwas Selbstverständliches annimmt; ferner, wenn er ganz Europa für übervölkert hält und daraus starke politische Expansionsgelüste nach Amerika hin folgert. Das Überraschendste an seinen Darlegungen sind aber seine Pläne über die politische Ausdehnung seines Volkes, über die Beherrschung der einen Hälfte des Erdballs durch die Vereinigten Staaten, und zwar überrascht weniger die Tatsache, daß er all dieses fordert, als die Art wie er es fordert. Der Sinn dafür, daß er etwas Übermäßiges, Unberechtigtes verlangt, scheint ihm völlig abzugehen. Er begründet die Ansprüche, die er auf die Kolonien fremder Länder, auf diese selbst erhebt, nicht einmal damit, daß er sagt: Wir müssen uns heranhalten; die anderen Völker dehnen sich aus, da dürfen wir, obwohl mit Land und Mineralschätzen für absehbare Zeiten überreichlich versehen, nicht zurückstehen, sondern wir wollen auch unseren Teil bei der Verteilung der Beute haben. Es würde uns vielleicht nicht Wunder nehmen, wenn Lea seine Lands¬ leute aufforderte, die Republiken von Südamerika unter die wirtschaftliche und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/71>, abgerufen am 26.06.2024.