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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Beweis dafür, daß unsere internen Geldverhältnisse in Deutschland nicht, oder
doch nur zum geringsten Teil an dem Kursstand unserer Anleihen Schuld
tragen. Denn es könnte sich sonst unmöglich die gleiche Erscheinung in Frank¬
reich zeigen, das von einer Geldklemme nur ganz vorübergehend heimgesucht
wurde und in dem der Zinsfuß im allgemeinen sich dauernd auf einem sehr
niedrigen Niveau bewegt. Es läßt sich angesichts der Gemeinsamkeit dieser
Erscheinung nicht daran zweifeln, daß sich hier ein Vorgang vollzieht, den man mit
einer Flucht des Kapitals vor den Rentenanleihen -- und zwar vor
den niedrig verzinslichen -- bezeichnen kann. Der innere Grund liegt offenbar
in dem Zwang, eine höhere Rente für das Kapital zu erzielen. Ein Zwang,
eine schmerzlich empfundene Notwendigkeit muß zweifelsohne vorliegen, wenn
so alte und eingewurzelte Anlagesitten wie die des französischen Volkes eine
Umwälzung erfahren. Diese Notwendigkeit ist mit der ebenfalls in allen Kultur¬
ländern gleichmäßig auftretenden Verteuerung aller Lebensverhältnisse
gegeben, wie diese Teuerung ja auch die Gehaltserhöhungen der Beamten und
die ständigen Lohnbewegungen der Arbeiter hervorgerufen hat. Ob beide
Erscheinungen aber noch eine tiefer liegende Wurzel haben, ob, wie Dernburg
es jüngst ausgesprochen hat, der wahre Grund für diese unser Wirtschaftsleben
umwälzenden Verschiebungen in einer Entwertung des Goldes zu suchen
ist, die mit der so außerordentlich stark gestiegenen Jahresproduktion des gelben
Metalls (gegenwärtig ca. 1800 Millionen jährlich) zusammenhängt, das zu
entscheiden ist auf Grund eines so unzureichenden Tatsachenmaterials nicht
möglich. Denkbar ist es immerhin und wäre die Vermutung richtig, so müßte
sich die Kulturwelt auf einen Umwertungsprozeß einrichten, der größere Um¬
wälzungen und Zerstörungen verursachen dürfte als ein Weltkrieg. Und gegen ein
solches wirtschaftliches Unglück gäbe es nicht einmal ein Heilmittel. Sxecwwr




Verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg, -- Mamlslriptscndungen und Buche werden
erbeten unter der Adresse: An den Hcrunsgebcr der Grcnzbotrn in Frieden"" bei Berlin, Hedwinstr. 1".
Fernsprecher der Schristleitung- Amt Pfalzburg K71S, des Verlags! Amt Lützow MIO,
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV. 11.
Druck! "Der Reichsbote" G, in, S. H, in Berlin SV. 11. Dessauer Striche ZS/N,


Reichsspiegel

Beweis dafür, daß unsere internen Geldverhältnisse in Deutschland nicht, oder
doch nur zum geringsten Teil an dem Kursstand unserer Anleihen Schuld
tragen. Denn es könnte sich sonst unmöglich die gleiche Erscheinung in Frank¬
reich zeigen, das von einer Geldklemme nur ganz vorübergehend heimgesucht
wurde und in dem der Zinsfuß im allgemeinen sich dauernd auf einem sehr
niedrigen Niveau bewegt. Es läßt sich angesichts der Gemeinsamkeit dieser
Erscheinung nicht daran zweifeln, daß sich hier ein Vorgang vollzieht, den man mit
einer Flucht des Kapitals vor den Rentenanleihen — und zwar vor
den niedrig verzinslichen — bezeichnen kann. Der innere Grund liegt offenbar
in dem Zwang, eine höhere Rente für das Kapital zu erzielen. Ein Zwang,
eine schmerzlich empfundene Notwendigkeit muß zweifelsohne vorliegen, wenn
so alte und eingewurzelte Anlagesitten wie die des französischen Volkes eine
Umwälzung erfahren. Diese Notwendigkeit ist mit der ebenfalls in allen Kultur¬
ländern gleichmäßig auftretenden Verteuerung aller Lebensverhältnisse
gegeben, wie diese Teuerung ja auch die Gehaltserhöhungen der Beamten und
die ständigen Lohnbewegungen der Arbeiter hervorgerufen hat. Ob beide
Erscheinungen aber noch eine tiefer liegende Wurzel haben, ob, wie Dernburg
es jüngst ausgesprochen hat, der wahre Grund für diese unser Wirtschaftsleben
umwälzenden Verschiebungen in einer Entwertung des Goldes zu suchen
ist, die mit der so außerordentlich stark gestiegenen Jahresproduktion des gelben
Metalls (gegenwärtig ca. 1800 Millionen jährlich) zusammenhängt, das zu
entscheiden ist auf Grund eines so unzureichenden Tatsachenmaterials nicht
möglich. Denkbar ist es immerhin und wäre die Vermutung richtig, so müßte
sich die Kulturwelt auf einen Umwertungsprozeß einrichten, der größere Um¬
wälzungen und Zerstörungen verursachen dürfte als ein Weltkrieg. Und gegen ein
solches wirtschaftliches Unglück gäbe es nicht einmal ein Heilmittel. Sxecwwr




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erbeten unter der Adresse: An den Hcrunsgebcr der Grcnzbotrn in Frieden«« bei Berlin, Hedwinstr. 1».
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[0656] Reichsspiegel Beweis dafür, daß unsere internen Geldverhältnisse in Deutschland nicht, oder doch nur zum geringsten Teil an dem Kursstand unserer Anleihen Schuld tragen. Denn es könnte sich sonst unmöglich die gleiche Erscheinung in Frank¬ reich zeigen, das von einer Geldklemme nur ganz vorübergehend heimgesucht wurde und in dem der Zinsfuß im allgemeinen sich dauernd auf einem sehr niedrigen Niveau bewegt. Es läßt sich angesichts der Gemeinsamkeit dieser Erscheinung nicht daran zweifeln, daß sich hier ein Vorgang vollzieht, den man mit einer Flucht des Kapitals vor den Rentenanleihen — und zwar vor den niedrig verzinslichen — bezeichnen kann. Der innere Grund liegt offenbar in dem Zwang, eine höhere Rente für das Kapital zu erzielen. Ein Zwang, eine schmerzlich empfundene Notwendigkeit muß zweifelsohne vorliegen, wenn so alte und eingewurzelte Anlagesitten wie die des französischen Volkes eine Umwälzung erfahren. Diese Notwendigkeit ist mit der ebenfalls in allen Kultur¬ ländern gleichmäßig auftretenden Verteuerung aller Lebensverhältnisse gegeben, wie diese Teuerung ja auch die Gehaltserhöhungen der Beamten und die ständigen Lohnbewegungen der Arbeiter hervorgerufen hat. Ob beide Erscheinungen aber noch eine tiefer liegende Wurzel haben, ob, wie Dernburg es jüngst ausgesprochen hat, der wahre Grund für diese unser Wirtschaftsleben umwälzenden Verschiebungen in einer Entwertung des Goldes zu suchen ist, die mit der so außerordentlich stark gestiegenen Jahresproduktion des gelben Metalls (gegenwärtig ca. 1800 Millionen jährlich) zusammenhängt, das zu entscheiden ist auf Grund eines so unzureichenden Tatsachenmaterials nicht möglich. Denkbar ist es immerhin und wäre die Vermutung richtig, so müßte sich die Kulturwelt auf einen Umwertungsprozeß einrichten, der größere Um¬ wälzungen und Zerstörungen verursachen dürfte als ein Weltkrieg. Und gegen ein solches wirtschaftliches Unglück gäbe es nicht einmal ein Heilmittel. Sxecwwr Verantwortlich: der Herausgeber George Cleinow in Schöneberg, — Mamlslriptscndungen und Buche werden erbeten unter der Adresse: An den Hcrunsgebcr der Grcnzbotrn in Frieden«« bei Berlin, Hedwinstr. 1». Fernsprecher der Schristleitung- Amt Pfalzburg K71S, des Verlags! Amt Lützow MIO, Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Druck! „Der Reichsbote" G, in, S. H, in Berlin SV. 11. Dessauer Striche ZS/N,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/656>, abgerufen am 23.07.2024.