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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung

nicht ohne Not die Volkswirtschaft zerrütten und im Kampfe mit dem festgefügten
Unternehmertum die Kassen der Organisation und ihre Reputation als Gewerk¬
schaft aufs Spiel setzen. Die Redner dieser Gruppe im Reichstage, die Ab¬
geordneten Schiffer und Behrens, erklärten während der Verhandlungen am
14. und 15. März 1912, daß sie nur einen gerechten und aussichtsvollen Kampf
wollen, nachdem alle friedlichen Mittel erschöpft sind. Sie vertrauten auf die
Versicherungen der Grubenbesitzer, daß der Konjunktur entsprechend Lohn¬
erhöhungen eintreten, und hoffen darauf, daß andere Konzessionen in friedlicher
Verständigung gewährt werden würden. Die Sozialdemokratie hat darauf
durch ihre Redner Sachse und Dr. Erdmann erwidert, daß die Christlichen sich
den gelben Gewerkschaften genähert hätten, daß sie beherrscht würden von
politischen Motiven, die sich aus der Interessengemeinschaft Zentrum, Konser¬
vative und Regierung ergäben, denen in der Streikangelegenheit der Dreibund
Sozialdemokratie, Freisinn und Polentum gegenübersteht.

Es läßt sich nicht übersehen, wie die beiden Gruppen ihr Konto abschließen
werden, ob mehr die Ernüchterung oder mehr die Erbitterung die Gemüter
erfassen und je nachdem die Reihen der Unorganisierten oder der verschiedenen
Organisationen stärken würde. Jedenfalls haben diese taktischen Verbandsinteressen
keine untergeordnete Rolle in den jüngsten Streitigkeiten gespielt. In der öffent¬
lichen Meinung haben die christlichen Organisationen Sympathien erworben,
sie werden vermutlich ihren Verhandlungen mit dem Zechenverbcmde zu gute
kommen.

Viel ist die Rede gewesen von der Jnternationalität der Bergarbeiter¬
bewegung. Sie wird von der Sozialdemokratie in Friedenszeiten laut betont,
im Kriegsfalle, wie im vorliegenden, auf das schärfste bestritten. Nun mag ein
Unterschied bestehen zwischen der Jnternationalität allgemeiner sozialer Ideen
und der der unmittelbaren Arbeiteraktionen. Aber liegt es nicht nahe, daß die
sozialistischen Führer der deutschen, englischen, belgischen, französischen, öster¬
reichischen Bergarbeiter eine Verständigung untereinander anstreben, einmal um
dem Streik die mächtigste Wirkung zu sichern und anderseits um das Kapital
international zu treffen und keiner kapitalistischen Gruppe durch einen Streik in
einem Lande einen besonderen Vorsprung auf dem Weltmarkt zu verschaffen?
Die Kohle ist Weltmarktsartikel, und ist irgendwo z. B. die englische Kohle
durch die deutsche verdrängt, so kann sie sich nur schwer den Markt zurückerobern.
Neben diesen -- sagen wir -- sachlichen Beweggründen erheben sich auch die
der Sympathie oder der gleichartigen Stimmungen, wie es etwa die Anfangs¬
worte eines Leitartikels des Vorwärts vom 12. März 1912: "Der Riesenkampf
der Bergknappen" besagen:

Sie haben sich überall erhoben. Die eben noch fleißige Arveiter waren, sind trotzige
Kämpfer geworden. Zu den mehr als eine Million Bergknappen, die in England aus den
finsteren Gruben an das Tageslicht gekrochen kamen, um in der Sonne den Körper kühn zu
recken, kommen an die Zweihunderttausend, die im Ruhrrevier aufstehen. Und schon regt es
sich in Sachsen, regt es sich Im Schlesien, in Osterreich, in Frankreich, im Luxemburgischen.


Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung

nicht ohne Not die Volkswirtschaft zerrütten und im Kampfe mit dem festgefügten
Unternehmertum die Kassen der Organisation und ihre Reputation als Gewerk¬
schaft aufs Spiel setzen. Die Redner dieser Gruppe im Reichstage, die Ab¬
geordneten Schiffer und Behrens, erklärten während der Verhandlungen am
14. und 15. März 1912, daß sie nur einen gerechten und aussichtsvollen Kampf
wollen, nachdem alle friedlichen Mittel erschöpft sind. Sie vertrauten auf die
Versicherungen der Grubenbesitzer, daß der Konjunktur entsprechend Lohn¬
erhöhungen eintreten, und hoffen darauf, daß andere Konzessionen in friedlicher
Verständigung gewährt werden würden. Die Sozialdemokratie hat darauf
durch ihre Redner Sachse und Dr. Erdmann erwidert, daß die Christlichen sich
den gelben Gewerkschaften genähert hätten, daß sie beherrscht würden von
politischen Motiven, die sich aus der Interessengemeinschaft Zentrum, Konser¬
vative und Regierung ergäben, denen in der Streikangelegenheit der Dreibund
Sozialdemokratie, Freisinn und Polentum gegenübersteht.

Es läßt sich nicht übersehen, wie die beiden Gruppen ihr Konto abschließen
werden, ob mehr die Ernüchterung oder mehr die Erbitterung die Gemüter
erfassen und je nachdem die Reihen der Unorganisierten oder der verschiedenen
Organisationen stärken würde. Jedenfalls haben diese taktischen Verbandsinteressen
keine untergeordnete Rolle in den jüngsten Streitigkeiten gespielt. In der öffent¬
lichen Meinung haben die christlichen Organisationen Sympathien erworben,
sie werden vermutlich ihren Verhandlungen mit dem Zechenverbcmde zu gute
kommen.

Viel ist die Rede gewesen von der Jnternationalität der Bergarbeiter¬
bewegung. Sie wird von der Sozialdemokratie in Friedenszeiten laut betont,
im Kriegsfalle, wie im vorliegenden, auf das schärfste bestritten. Nun mag ein
Unterschied bestehen zwischen der Jnternationalität allgemeiner sozialer Ideen
und der der unmittelbaren Arbeiteraktionen. Aber liegt es nicht nahe, daß die
sozialistischen Führer der deutschen, englischen, belgischen, französischen, öster¬
reichischen Bergarbeiter eine Verständigung untereinander anstreben, einmal um
dem Streik die mächtigste Wirkung zu sichern und anderseits um das Kapital
international zu treffen und keiner kapitalistischen Gruppe durch einen Streik in
einem Lande einen besonderen Vorsprung auf dem Weltmarkt zu verschaffen?
Die Kohle ist Weltmarktsartikel, und ist irgendwo z. B. die englische Kohle
durch die deutsche verdrängt, so kann sie sich nur schwer den Markt zurückerobern.
Neben diesen — sagen wir — sachlichen Beweggründen erheben sich auch die
der Sympathie oder der gleichartigen Stimmungen, wie es etwa die Anfangs¬
worte eines Leitartikels des Vorwärts vom 12. März 1912: „Der Riesenkampf
der Bergknappen" besagen:

Sie haben sich überall erhoben. Die eben noch fleißige Arveiter waren, sind trotzige
Kämpfer geworden. Zu den mehr als eine Million Bergknappen, die in England aus den
finsteren Gruben an das Tageslicht gekrochen kamen, um in der Sonne den Körper kühn zu
recken, kommen an die Zweihunderttausend, die im Ruhrrevier aufstehen. Und schon regt es
sich in Sachsen, regt es sich Im Schlesien, in Osterreich, in Frankreich, im Luxemburgischen.


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[0065] Aus der deutschen Bergarbeiterbewegung nicht ohne Not die Volkswirtschaft zerrütten und im Kampfe mit dem festgefügten Unternehmertum die Kassen der Organisation und ihre Reputation als Gewerk¬ schaft aufs Spiel setzen. Die Redner dieser Gruppe im Reichstage, die Ab¬ geordneten Schiffer und Behrens, erklärten während der Verhandlungen am 14. und 15. März 1912, daß sie nur einen gerechten und aussichtsvollen Kampf wollen, nachdem alle friedlichen Mittel erschöpft sind. Sie vertrauten auf die Versicherungen der Grubenbesitzer, daß der Konjunktur entsprechend Lohn¬ erhöhungen eintreten, und hoffen darauf, daß andere Konzessionen in friedlicher Verständigung gewährt werden würden. Die Sozialdemokratie hat darauf durch ihre Redner Sachse und Dr. Erdmann erwidert, daß die Christlichen sich den gelben Gewerkschaften genähert hätten, daß sie beherrscht würden von politischen Motiven, die sich aus der Interessengemeinschaft Zentrum, Konser¬ vative und Regierung ergäben, denen in der Streikangelegenheit der Dreibund Sozialdemokratie, Freisinn und Polentum gegenübersteht. Es läßt sich nicht übersehen, wie die beiden Gruppen ihr Konto abschließen werden, ob mehr die Ernüchterung oder mehr die Erbitterung die Gemüter erfassen und je nachdem die Reihen der Unorganisierten oder der verschiedenen Organisationen stärken würde. Jedenfalls haben diese taktischen Verbandsinteressen keine untergeordnete Rolle in den jüngsten Streitigkeiten gespielt. In der öffent¬ lichen Meinung haben die christlichen Organisationen Sympathien erworben, sie werden vermutlich ihren Verhandlungen mit dem Zechenverbcmde zu gute kommen. Viel ist die Rede gewesen von der Jnternationalität der Bergarbeiter¬ bewegung. Sie wird von der Sozialdemokratie in Friedenszeiten laut betont, im Kriegsfalle, wie im vorliegenden, auf das schärfste bestritten. Nun mag ein Unterschied bestehen zwischen der Jnternationalität allgemeiner sozialer Ideen und der der unmittelbaren Arbeiteraktionen. Aber liegt es nicht nahe, daß die sozialistischen Führer der deutschen, englischen, belgischen, französischen, öster¬ reichischen Bergarbeiter eine Verständigung untereinander anstreben, einmal um dem Streik die mächtigste Wirkung zu sichern und anderseits um das Kapital international zu treffen und keiner kapitalistischen Gruppe durch einen Streik in einem Lande einen besonderen Vorsprung auf dem Weltmarkt zu verschaffen? Die Kohle ist Weltmarktsartikel, und ist irgendwo z. B. die englische Kohle durch die deutsche verdrängt, so kann sie sich nur schwer den Markt zurückerobern. Neben diesen — sagen wir — sachlichen Beweggründen erheben sich auch die der Sympathie oder der gleichartigen Stimmungen, wie es etwa die Anfangs¬ worte eines Leitartikels des Vorwärts vom 12. März 1912: „Der Riesenkampf der Bergknappen" besagen: Sie haben sich überall erhoben. Die eben noch fleißige Arveiter waren, sind trotzige Kämpfer geworden. Zu den mehr als eine Million Bergknappen, die in England aus den finsteren Gruben an das Tageslicht gekrochen kamen, um in der Sonne den Körper kühn zu recken, kommen an die Zweihunderttausend, die im Ruhrrevier aufstehen. Und schon regt es sich in Sachsen, regt es sich Im Schlesien, in Osterreich, in Frankreich, im Luxemburgischen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/65>, abgerufen am 01.07.2024.