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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

sehr stark, während das Volk unter der Teuerung und der Steuerlast litt.
Nach altchinesischer Weise machte man für alles Unglück die Dynastie verant¬
wortlich. Ihre mandschurische Herkunft hat damit nicht das geringste zu tun;
einer chinesischen Dynastie würde es unter solchen Verhältnissen nicht besser
ergangen sein.

Ende der neunziger Jahre begann wieder im Süden Chinas die revolutionäre
Gärung, die natürlich auf einen Sturz der Dynastie hinzielte. Solche Pläne
wurden bekannt, eine Anzahl südchinesischer Revolutionäre flüchteten nach Japan,
von wo aus eine rege Agitation in China betrieben wurde. Unter den jungen
Chinesen, die in Japan studiert hatten, trat 1903 zuerst das politische Schlag¬
wort der Bewegung auf, der alte chinesische Ausdruck "Ko-ming", d. h. "das
Mandat entziehen" -- also: Beseitigung der Dynastie und Einsetzung einer
neuen. Dieser Ausdruck traf die Sache genau, er entsprach durchaus der chine¬
sischen Auffassung, er wurde das Symbol, um das sich alle unzufriedenen
Elemente leicht sammelten. Dazu kam noch der alte Gegensatz zwischen dem
Süden und Norden. Es erhebt sich die Frage, ob China in ein Südreich und
ein Nordreich auseinanderfallen, was öfter geschehen ist, oder ob der Einheits¬
staat gerettet werden kann. Das ist das Problem des Bürgerkrieges, der China
bedroht.

Auf diese Bewegung sind dann künstlich die aus dem Auslande importierten
"nationalen Ideen" aufgepfropft worden. Das Volk weiß nichts davon. Ein
Volk von dreihundert bis vierhundert Millionen, das in den Jahrtausenden seiner
Geschichte den nationalen Gedanken niemals besessen hat, kann ihn nicht plötzlich
übernehmen. Daß in der chinesischen Revolution auch politische Probleme eine
entscheidende Rolle spielen, ist sicher; es sind zwei Fragen, um die es sich
handelt: die Verfassungsfrage und der Zentralisierungsgedanke. Auf diese
schweren Fragen der inneren Politik Chinas will ich hier nicht eingehen.

Die Revolution hat sehr verschiedene Ursachen und vor allem auch sehr
verschiedene Ziele, sie ist in sich nicht einheitlich. Alle Antriebe zur Revolution
aber laufen auf eines hinaus: auf den Kampf gegen die Dynastie. Die Massen
erheben sich, weil das Land in Verfall geraten und damit das "Mandat" des
Himmels für die Dynastie verloren ist. Die politischen Kreise des Südens
erheben sich gegen die Dynastie, weil sie dem Norden Chinas angehört. Der
hohe Adel der Provinzen ist gegen die Dynastie, weil sie die Idee des zentra¬
lisierten Einheitsstaates vertritt, der den Interessen des nach Selbständigkeit
strebenden Adels widerstrebt. Endlich die von ausländischen Ideen berührten
radikalen Demokraten wollen überhaupt keine Dynastie mehr haben, sondern die
Republik. Gerade diese Kreise, die die chinesische Republik angeblich ins Leben
gerufen haben, sind die schwächsten.

Was wird das Ende der Bewegung sein? Das ist schwer zu sagen; aber
die chinesische Geschichte gibt doch für die Fragen der Gegenwart sehr lehrreiche
Auskunft. Die auseinanderstrebenden Kräfte in der ungeheuren Völkermasse


Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution

sehr stark, während das Volk unter der Teuerung und der Steuerlast litt.
Nach altchinesischer Weise machte man für alles Unglück die Dynastie verant¬
wortlich. Ihre mandschurische Herkunft hat damit nicht das geringste zu tun;
einer chinesischen Dynastie würde es unter solchen Verhältnissen nicht besser
ergangen sein.

Ende der neunziger Jahre begann wieder im Süden Chinas die revolutionäre
Gärung, die natürlich auf einen Sturz der Dynastie hinzielte. Solche Pläne
wurden bekannt, eine Anzahl südchinesischer Revolutionäre flüchteten nach Japan,
von wo aus eine rege Agitation in China betrieben wurde. Unter den jungen
Chinesen, die in Japan studiert hatten, trat 1903 zuerst das politische Schlag¬
wort der Bewegung auf, der alte chinesische Ausdruck „Ko-ming", d. h. „das
Mandat entziehen" — also: Beseitigung der Dynastie und Einsetzung einer
neuen. Dieser Ausdruck traf die Sache genau, er entsprach durchaus der chine¬
sischen Auffassung, er wurde das Symbol, um das sich alle unzufriedenen
Elemente leicht sammelten. Dazu kam noch der alte Gegensatz zwischen dem
Süden und Norden. Es erhebt sich die Frage, ob China in ein Südreich und
ein Nordreich auseinanderfallen, was öfter geschehen ist, oder ob der Einheits¬
staat gerettet werden kann. Das ist das Problem des Bürgerkrieges, der China
bedroht.

Auf diese Bewegung sind dann künstlich die aus dem Auslande importierten
„nationalen Ideen" aufgepfropft worden. Das Volk weiß nichts davon. Ein
Volk von dreihundert bis vierhundert Millionen, das in den Jahrtausenden seiner
Geschichte den nationalen Gedanken niemals besessen hat, kann ihn nicht plötzlich
übernehmen. Daß in der chinesischen Revolution auch politische Probleme eine
entscheidende Rolle spielen, ist sicher; es sind zwei Fragen, um die es sich
handelt: die Verfassungsfrage und der Zentralisierungsgedanke. Auf diese
schweren Fragen der inneren Politik Chinas will ich hier nicht eingehen.

Die Revolution hat sehr verschiedene Ursachen und vor allem auch sehr
verschiedene Ziele, sie ist in sich nicht einheitlich. Alle Antriebe zur Revolution
aber laufen auf eines hinaus: auf den Kampf gegen die Dynastie. Die Massen
erheben sich, weil das Land in Verfall geraten und damit das „Mandat" des
Himmels für die Dynastie verloren ist. Die politischen Kreise des Südens
erheben sich gegen die Dynastie, weil sie dem Norden Chinas angehört. Der
hohe Adel der Provinzen ist gegen die Dynastie, weil sie die Idee des zentra¬
lisierten Einheitsstaates vertritt, der den Interessen des nach Selbständigkeit
strebenden Adels widerstrebt. Endlich die von ausländischen Ideen berührten
radikalen Demokraten wollen überhaupt keine Dynastie mehr haben, sondern die
Republik. Gerade diese Kreise, die die chinesische Republik angeblich ins Leben
gerufen haben, sind die schwächsten.

Was wird das Ende der Bewegung sein? Das ist schwer zu sagen; aber
die chinesische Geschichte gibt doch für die Fragen der Gegenwart sehr lehrreiche
Auskunft. Die auseinanderstrebenden Kräfte in der ungeheuren Völkermasse


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[0638] Geschichtliche Bemerkungen zur chinesischen Revolution sehr stark, während das Volk unter der Teuerung und der Steuerlast litt. Nach altchinesischer Weise machte man für alles Unglück die Dynastie verant¬ wortlich. Ihre mandschurische Herkunft hat damit nicht das geringste zu tun; einer chinesischen Dynastie würde es unter solchen Verhältnissen nicht besser ergangen sein. Ende der neunziger Jahre begann wieder im Süden Chinas die revolutionäre Gärung, die natürlich auf einen Sturz der Dynastie hinzielte. Solche Pläne wurden bekannt, eine Anzahl südchinesischer Revolutionäre flüchteten nach Japan, von wo aus eine rege Agitation in China betrieben wurde. Unter den jungen Chinesen, die in Japan studiert hatten, trat 1903 zuerst das politische Schlag¬ wort der Bewegung auf, der alte chinesische Ausdruck „Ko-ming", d. h. „das Mandat entziehen" — also: Beseitigung der Dynastie und Einsetzung einer neuen. Dieser Ausdruck traf die Sache genau, er entsprach durchaus der chine¬ sischen Auffassung, er wurde das Symbol, um das sich alle unzufriedenen Elemente leicht sammelten. Dazu kam noch der alte Gegensatz zwischen dem Süden und Norden. Es erhebt sich die Frage, ob China in ein Südreich und ein Nordreich auseinanderfallen, was öfter geschehen ist, oder ob der Einheits¬ staat gerettet werden kann. Das ist das Problem des Bürgerkrieges, der China bedroht. Auf diese Bewegung sind dann künstlich die aus dem Auslande importierten „nationalen Ideen" aufgepfropft worden. Das Volk weiß nichts davon. Ein Volk von dreihundert bis vierhundert Millionen, das in den Jahrtausenden seiner Geschichte den nationalen Gedanken niemals besessen hat, kann ihn nicht plötzlich übernehmen. Daß in der chinesischen Revolution auch politische Probleme eine entscheidende Rolle spielen, ist sicher; es sind zwei Fragen, um die es sich handelt: die Verfassungsfrage und der Zentralisierungsgedanke. Auf diese schweren Fragen der inneren Politik Chinas will ich hier nicht eingehen. Die Revolution hat sehr verschiedene Ursachen und vor allem auch sehr verschiedene Ziele, sie ist in sich nicht einheitlich. Alle Antriebe zur Revolution aber laufen auf eines hinaus: auf den Kampf gegen die Dynastie. Die Massen erheben sich, weil das Land in Verfall geraten und damit das „Mandat" des Himmels für die Dynastie verloren ist. Die politischen Kreise des Südens erheben sich gegen die Dynastie, weil sie dem Norden Chinas angehört. Der hohe Adel der Provinzen ist gegen die Dynastie, weil sie die Idee des zentra¬ lisierten Einheitsstaates vertritt, der den Interessen des nach Selbständigkeit strebenden Adels widerstrebt. Endlich die von ausländischen Ideen berührten radikalen Demokraten wollen überhaupt keine Dynastie mehr haben, sondern die Republik. Gerade diese Kreise, die die chinesische Republik angeblich ins Leben gerufen haben, sind die schwächsten. Was wird das Ende der Bewegung sein? Das ist schwer zu sagen; aber die chinesische Geschichte gibt doch für die Fragen der Gegenwart sehr lehrreiche Auskunft. Die auseinanderstrebenden Kräfte in der ungeheuren Völkermasse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/638>, abgerufen am 23.07.2024.