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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zusammenhänge zwischen Österreich und Deutschland

z.B. der Charlottenburger Hochschulprofessor Riedler ist ein Deutsch-Österreicher.
Und so gesellten sich Deutsche aus Österreich und der Schweiz zu Ihren Meyer,
Grashof, Zeuner, Reuleaux u. a.

Die moderne Großindustrie setzte in Österreich, der Schweiz und Deutsch¬
land in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich gleichzeitig
ein; wohl hat sie sich in Deutschland selbst rascher und mächtiger entwickelt,
aber die Zusammenhänge sind unverkennbar und werden dadurch nicht gestört,
daß in Deutschland die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Elektro¬
technik vorangingen, in Österreich das Bergwesen und der Gebirgseisenbahn-
wagenbau. Es findet ein fortwährender Import und Export von Kapazitäten und
Potenzen über die Landesgrenzen statt und der große Vorzug dieses Verkehrs
ist, daß die Handelsbilanz auf dem Marktplatze der Intelligenz immer aktiv ist
und bleibt. Da wird ein Vorschuß gegeben, der dann mit Zinseszinsen zurück¬
erstattet wird. Lieferten wir z. B. die ersten Eisenbahnbauer, so bezogen wir
später von Ihnen hervorragende Organisatoren und Verwaltungsbeamte, wie
Max Maria von Weber aus Sachsen und die Schwaben Nördling und Etzel.
Im Wasserbau wurden Sie unsere Vordermänner, dafür erbauten wir die
größte Trinkwasserleitung vom Semmering nach Wien.

Der wichtigste neuzeitliche Behelf für die technische Forschung und Praxis
ist das technische Versuchswescn, das mit der Materialprüfung erfolgreich einsetzte
und sich von da aus auf alle Gebiete technischen Wissens und des Jngenieur-
wesens ausbreitete. Von den Anfängen der Experimentalforschung abgesehen,
kann man das technische Versuchswesen als eme Errungenschaft der deutschen
Techniker bezeichnen und es sei gestattet, einige Namen von unvergänglichen
Werte anzuführen. Bauschinger (München). Tetmajer (Zürich und Wien),
Mariens, Helmholtz, Siemers (Berlin), Bach (Stuttgart) usw. Deutschland im
engeren Sinne des Wortes hat in diesem modernen Fortschritte gegenüber allen
anderen Staaten einen beträchtlichen, wohl von keiner Seite mehr einzuholenden
Vorsprung gewonnen. Wir in Österreich machen die größten Anstrengungen,
wenn auch durch innerpolitische Verhältnisse arg behindert, nachzufolgen.

Besonders interessant und wirtschaftlich wichtig ist der Wettstreit, oder
richtiger Wetteifer, im gewerblichen Unterrichts- und Musealwesen, das ebenso
sehr der technischen Tüchtigkeit des Handwerks und der Kleinindustrie wie dem
künstlerischen Einschlag im gesamten Gewerbe zu dienen berufen ist. Dabei geht
die Kulturgeschichte nicht leer aus. In den Jahren 1861 und 1862 begann in
Bayern die Reformbewegung im gewerblichen Bildungswesen; wir in Österreich
überholten diese Anstrengungen in den siebziger Jahren. Während wir uns
der Organisatoren Eitelberger und Dumreicher berühmen, überließen wir Ihnen
für das Germanische Museum unseren Essenwein, der neben Steinbeiß, Lessing,
Hefner-Alteneck eine verdienstliche Rolle spielte, und bezogen später für das
Kunstindustriemuseum in Wien Jakob Falke und Bruno Bucher aus Deutschland.
Sie fanden in jüngster Zeit Kerschensteiner, der Lüders nachstrebt usw. Die


Zusammenhänge zwischen Österreich und Deutschland

z.B. der Charlottenburger Hochschulprofessor Riedler ist ein Deutsch-Österreicher.
Und so gesellten sich Deutsche aus Österreich und der Schweiz zu Ihren Meyer,
Grashof, Zeuner, Reuleaux u. a.

Die moderne Großindustrie setzte in Österreich, der Schweiz und Deutsch¬
land in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich gleichzeitig
ein; wohl hat sie sich in Deutschland selbst rascher und mächtiger entwickelt,
aber die Zusammenhänge sind unverkennbar und werden dadurch nicht gestört,
daß in Deutschland die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Elektro¬
technik vorangingen, in Österreich das Bergwesen und der Gebirgseisenbahn-
wagenbau. Es findet ein fortwährender Import und Export von Kapazitäten und
Potenzen über die Landesgrenzen statt und der große Vorzug dieses Verkehrs
ist, daß die Handelsbilanz auf dem Marktplatze der Intelligenz immer aktiv ist
und bleibt. Da wird ein Vorschuß gegeben, der dann mit Zinseszinsen zurück¬
erstattet wird. Lieferten wir z. B. die ersten Eisenbahnbauer, so bezogen wir
später von Ihnen hervorragende Organisatoren und Verwaltungsbeamte, wie
Max Maria von Weber aus Sachsen und die Schwaben Nördling und Etzel.
Im Wasserbau wurden Sie unsere Vordermänner, dafür erbauten wir die
größte Trinkwasserleitung vom Semmering nach Wien.

Der wichtigste neuzeitliche Behelf für die technische Forschung und Praxis
ist das technische Versuchswescn, das mit der Materialprüfung erfolgreich einsetzte
und sich von da aus auf alle Gebiete technischen Wissens und des Jngenieur-
wesens ausbreitete. Von den Anfängen der Experimentalforschung abgesehen,
kann man das technische Versuchswesen als eme Errungenschaft der deutschen
Techniker bezeichnen und es sei gestattet, einige Namen von unvergänglichen
Werte anzuführen. Bauschinger (München). Tetmajer (Zürich und Wien),
Mariens, Helmholtz, Siemers (Berlin), Bach (Stuttgart) usw. Deutschland im
engeren Sinne des Wortes hat in diesem modernen Fortschritte gegenüber allen
anderen Staaten einen beträchtlichen, wohl von keiner Seite mehr einzuholenden
Vorsprung gewonnen. Wir in Österreich machen die größten Anstrengungen,
wenn auch durch innerpolitische Verhältnisse arg behindert, nachzufolgen.

Besonders interessant und wirtschaftlich wichtig ist der Wettstreit, oder
richtiger Wetteifer, im gewerblichen Unterrichts- und Musealwesen, das ebenso
sehr der technischen Tüchtigkeit des Handwerks und der Kleinindustrie wie dem
künstlerischen Einschlag im gesamten Gewerbe zu dienen berufen ist. Dabei geht
die Kulturgeschichte nicht leer aus. In den Jahren 1861 und 1862 begann in
Bayern die Reformbewegung im gewerblichen Bildungswesen; wir in Österreich
überholten diese Anstrengungen in den siebziger Jahren. Während wir uns
der Organisatoren Eitelberger und Dumreicher berühmen, überließen wir Ihnen
für das Germanische Museum unseren Essenwein, der neben Steinbeiß, Lessing,
Hefner-Alteneck eine verdienstliche Rolle spielte, und bezogen später für das
Kunstindustriemuseum in Wien Jakob Falke und Bruno Bucher aus Deutschland.
Sie fanden in jüngster Zeit Kerschensteiner, der Lüders nachstrebt usw. Die


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[0627] Zusammenhänge zwischen Österreich und Deutschland z.B. der Charlottenburger Hochschulprofessor Riedler ist ein Deutsch-Österreicher. Und so gesellten sich Deutsche aus Österreich und der Schweiz zu Ihren Meyer, Grashof, Zeuner, Reuleaux u. a. Die moderne Großindustrie setzte in Österreich, der Schweiz und Deutsch¬ land in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ziemlich gleichzeitig ein; wohl hat sie sich in Deutschland selbst rascher und mächtiger entwickelt, aber die Zusammenhänge sind unverkennbar und werden dadurch nicht gestört, daß in Deutschland die chemische Industrie, der Maschinenbau und die Elektro¬ technik vorangingen, in Österreich das Bergwesen und der Gebirgseisenbahn- wagenbau. Es findet ein fortwährender Import und Export von Kapazitäten und Potenzen über die Landesgrenzen statt und der große Vorzug dieses Verkehrs ist, daß die Handelsbilanz auf dem Marktplatze der Intelligenz immer aktiv ist und bleibt. Da wird ein Vorschuß gegeben, der dann mit Zinseszinsen zurück¬ erstattet wird. Lieferten wir z. B. die ersten Eisenbahnbauer, so bezogen wir später von Ihnen hervorragende Organisatoren und Verwaltungsbeamte, wie Max Maria von Weber aus Sachsen und die Schwaben Nördling und Etzel. Im Wasserbau wurden Sie unsere Vordermänner, dafür erbauten wir die größte Trinkwasserleitung vom Semmering nach Wien. Der wichtigste neuzeitliche Behelf für die technische Forschung und Praxis ist das technische Versuchswescn, das mit der Materialprüfung erfolgreich einsetzte und sich von da aus auf alle Gebiete technischen Wissens und des Jngenieur- wesens ausbreitete. Von den Anfängen der Experimentalforschung abgesehen, kann man das technische Versuchswesen als eme Errungenschaft der deutschen Techniker bezeichnen und es sei gestattet, einige Namen von unvergänglichen Werte anzuführen. Bauschinger (München). Tetmajer (Zürich und Wien), Mariens, Helmholtz, Siemers (Berlin), Bach (Stuttgart) usw. Deutschland im engeren Sinne des Wortes hat in diesem modernen Fortschritte gegenüber allen anderen Staaten einen beträchtlichen, wohl von keiner Seite mehr einzuholenden Vorsprung gewonnen. Wir in Österreich machen die größten Anstrengungen, wenn auch durch innerpolitische Verhältnisse arg behindert, nachzufolgen. Besonders interessant und wirtschaftlich wichtig ist der Wettstreit, oder richtiger Wetteifer, im gewerblichen Unterrichts- und Musealwesen, das ebenso sehr der technischen Tüchtigkeit des Handwerks und der Kleinindustrie wie dem künstlerischen Einschlag im gesamten Gewerbe zu dienen berufen ist. Dabei geht die Kulturgeschichte nicht leer aus. In den Jahren 1861 und 1862 begann in Bayern die Reformbewegung im gewerblichen Bildungswesen; wir in Österreich überholten diese Anstrengungen in den siebziger Jahren. Während wir uns der Organisatoren Eitelberger und Dumreicher berühmen, überließen wir Ihnen für das Germanische Museum unseren Essenwein, der neben Steinbeiß, Lessing, Hefner-Alteneck eine verdienstliche Rolle spielte, und bezogen später für das Kunstindustriemuseum in Wien Jakob Falke und Bruno Bucher aus Deutschland. Sie fanden in jüngster Zeit Kerschensteiner, der Lüders nachstrebt usw. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/627>, abgerufen am 26.06.2024.