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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und Schweden

eignisse sich über die Köpfe einer Volksvertretung weg zu vollzieh?" pflegen.
Den besten Beleg dafür bildet jenes seltsame Schauspiel, das sich in den
ersten Monaten dieses Jahres vollzog, daß nämlich das schwedische Volk
innerhalb von zwei Monaten 14 Millionen Kronen zum Bau eines Panzer¬
schiffes sammelte, den der vorletzte Reichstag bewilligt, die gegenwärtige
radikal-liberale Regierung aber vorläufig aufgeschoben hatte, und so sich
gewissermaßen gegen den Willen seiner eigenen Vertretung einer freiwilligen
Wehrsteuer unterwarf. "Der Verteidigungswind, der in diesem Jahre der
Gnade über unsere Gebirge und durch unsere Wälder weht," sagt Sven Hedin
in der deutschen Ausgabe seiner Flugschrift, "hat während der letzten hundert
Jahre nicht seinesgleichen gehabt." Und es ist wohl nicht nur der Wille zu
einer notgedrungenen Verteidigung, der sich so gewaltig äußert, es ist wohl auch
im Grunde -- und die Betrachtung der schwedischen Geschichte legte bereits diese
Vermutung nahe -- das Erwachen einer neuen Tatkraft, einer neuen Gesinnung,
des Wunsches, wieder ein Glied Europas zu sein, von dem etwas abhängt.
Daß aber diese Neubelebung des schwedischen Volkes nicht wieder, wie so oft
schon, an der allzugroßen Übermacht der Gegner nutzlos verblute, das hängt
im wesentlichen von der Stellung ab, die Deutschland zu ihr nimmt. Daß
Schweden mit keiner anderen Großmacht sich verbinden kann, wurde gezeigt.
Daß es anderseits allein stehend trotz alles Opfermutes kaum Aussicht auf
dauernden Erfolg hat, erhellt ebenfalls aus dem Vorhergehenden. Daß es
endlich als Glied des Dreibundes zum mindesten vor der äußersten Gefahr, von
der Landkarte einfach getilgt zu werden, sicher wäre, ist ebenfalls klar; anzu¬
nehmen ist aber doch, daß die Verbündeten fähig sind, aller ihrer Feinde Herr
zu werden, oder daß das Bündnis an sich -- wenigstens für Rußland -- einen
Zwang zum Frieden bedeutet.

Zu bedenken bleibt nun noch, wie sich Deutschlands Lage durch eine Auf¬
nahme Schwedens in den Dreibund umgestalten würde, wenn also -- abweichend
von Professor Fahlbecks Vorschlag -- die Verpflichtung zum bewaffneten Beistand
sich ergäbe, sobald einer der Verbündeten von einer Großmacht angegriffen
wird; selbstverständlich kann nur unter dieser Bedingung das Bündnis für
Deutschland annehmbar werden. -- Die Vorteile nun, die Deutschland durch
dasselbe im Fall eines Krieges mit der Tripleentente gewänne, wären etwa die
solgenden. Erstens: eine sehr fühlbare Lahmlegung Rußlands und damit Ent¬
lastung der Ostgrenze; -- denn sichere Voraussetzung bei einem deutsch-schwedisch¬
russischen Krieg ist ein beispielloser Aufstand zum mindesten Finnlands, das
immer noch mit leidenschaftlicher Sehnsucht der schwedischen Zeit gedenkt. --
Dann: eine mindestens teilweise Entlastung der deutschen Ostseeflotte und damit
Stärkung des Nordseegeschwaders ließe sich erreichen, wenn Schweden durch den
Druck seiner militärischen Übermacht Dänemark zur Einhaltung der Ostsee¬
deklaration von 1908, d. h. zur Sperrung des Sundes und der Belte gegen
anßerbaltische Flotten nötigt; daß sich eine solche Sperrung auch gegen über-


Deutschland und Schweden

eignisse sich über die Köpfe einer Volksvertretung weg zu vollzieh?» pflegen.
Den besten Beleg dafür bildet jenes seltsame Schauspiel, das sich in den
ersten Monaten dieses Jahres vollzog, daß nämlich das schwedische Volk
innerhalb von zwei Monaten 14 Millionen Kronen zum Bau eines Panzer¬
schiffes sammelte, den der vorletzte Reichstag bewilligt, die gegenwärtige
radikal-liberale Regierung aber vorläufig aufgeschoben hatte, und so sich
gewissermaßen gegen den Willen seiner eigenen Vertretung einer freiwilligen
Wehrsteuer unterwarf. „Der Verteidigungswind, der in diesem Jahre der
Gnade über unsere Gebirge und durch unsere Wälder weht," sagt Sven Hedin
in der deutschen Ausgabe seiner Flugschrift, „hat während der letzten hundert
Jahre nicht seinesgleichen gehabt." Und es ist wohl nicht nur der Wille zu
einer notgedrungenen Verteidigung, der sich so gewaltig äußert, es ist wohl auch
im Grunde — und die Betrachtung der schwedischen Geschichte legte bereits diese
Vermutung nahe — das Erwachen einer neuen Tatkraft, einer neuen Gesinnung,
des Wunsches, wieder ein Glied Europas zu sein, von dem etwas abhängt.
Daß aber diese Neubelebung des schwedischen Volkes nicht wieder, wie so oft
schon, an der allzugroßen Übermacht der Gegner nutzlos verblute, das hängt
im wesentlichen von der Stellung ab, die Deutschland zu ihr nimmt. Daß
Schweden mit keiner anderen Großmacht sich verbinden kann, wurde gezeigt.
Daß es anderseits allein stehend trotz alles Opfermutes kaum Aussicht auf
dauernden Erfolg hat, erhellt ebenfalls aus dem Vorhergehenden. Daß es
endlich als Glied des Dreibundes zum mindesten vor der äußersten Gefahr, von
der Landkarte einfach getilgt zu werden, sicher wäre, ist ebenfalls klar; anzu¬
nehmen ist aber doch, daß die Verbündeten fähig sind, aller ihrer Feinde Herr
zu werden, oder daß das Bündnis an sich — wenigstens für Rußland — einen
Zwang zum Frieden bedeutet.

Zu bedenken bleibt nun noch, wie sich Deutschlands Lage durch eine Auf¬
nahme Schwedens in den Dreibund umgestalten würde, wenn also — abweichend
von Professor Fahlbecks Vorschlag — die Verpflichtung zum bewaffneten Beistand
sich ergäbe, sobald einer der Verbündeten von einer Großmacht angegriffen
wird; selbstverständlich kann nur unter dieser Bedingung das Bündnis für
Deutschland annehmbar werden. — Die Vorteile nun, die Deutschland durch
dasselbe im Fall eines Krieges mit der Tripleentente gewänne, wären etwa die
solgenden. Erstens: eine sehr fühlbare Lahmlegung Rußlands und damit Ent¬
lastung der Ostgrenze; — denn sichere Voraussetzung bei einem deutsch-schwedisch¬
russischen Krieg ist ein beispielloser Aufstand zum mindesten Finnlands, das
immer noch mit leidenschaftlicher Sehnsucht der schwedischen Zeit gedenkt. —
Dann: eine mindestens teilweise Entlastung der deutschen Ostseeflotte und damit
Stärkung des Nordseegeschwaders ließe sich erreichen, wenn Schweden durch den
Druck seiner militärischen Übermacht Dänemark zur Einhaltung der Ostsee¬
deklaration von 1908, d. h. zur Sperrung des Sundes und der Belte gegen
anßerbaltische Flotten nötigt; daß sich eine solche Sperrung auch gegen über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/612>, abgerufen am 28.09.2024.