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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland und Schweden

Im Januar 1912 aber veröffentlichte der Forschungsreisende Sven Hedin eine
Flugschrift "Ete Varningsord",*) dem im April eine zweite "Svensk och
Nordisk Utrikespolitik"^) von Professor Pontus Fahlbeck in Lund folgte.
Beide Verfasser versuchten darzulegen, daß die so gut wie vollendete Rufsifizierung
Finnlands ziemlich sinnlos wäre, wenn sie nicht vor allem dem Zwecke diente,
eine russische Operationsbasis gegen Schweden zu gewinnen, und daß nunmehr
Rußland militärische Vorbereitungen treffe, durch die sich Schweden aufs schwerste
bedroht fühlen müsse.

In der Tat ist die Lage ja klar genug: was könnte im Fall eines Krieges
zwischen Deutschland und England Rußland hindern, Schweden und Norwegen
zu überfallen? An wen könnte Schweden sich anschließen? -- Sein Verhältnis
zu den beiden anderen skandinavischen Reichen hat durch die hartnäckigen, von
Dänemark geschützten Trennungsbestrebungen Norwegens fortgesetzt an Innigkeit
verloren; überdies könnte wohl auch ein Bündnis der drei Staaten Rußland
gegenüber nur schwerlich auf kriegerischen Erfolg rechnen. Weiterhin hat die
nahe Verbindung Norwegens und Dänemarks mit England eine Anlehnung an
diese Großmacht für Schwedens Stolz unmöglich gemacht. Die traditionelle
Freundschaft mit Frankreich endlich war bei der räumlichen Entfernung beider
Länder stets schon zu einer mehr oder weniger platonischen Rolle verurteilt,
und hat nun durch die engen politischen und finanziellen Bande zwischen der
Republik und Nußland für Schweden an Wert beträchtlich eingebüßt. Wenn
man also in Allianzen das Heil des Reiches sieht, so erscheint keine andere
möglich, als die mit Deutschland; und eine solche in der Tat empfiehlt Professor
Fahlbeck. -- Die zweite Waffe, die Schweden in der Hand hat, seine eigene
Wehrmacht, ist zwar nach sachverständigen! deutschen Urteil in bestem Stande,
die Festung Boden in Norrland, auf die ein russischer Angriff zunächst stoßen
muß, ist eine der gewaltigsten der Welt, zu deren Belagerung allein eine Truppen¬
menge von 50000 Mann erforderlich wäre. Dennoch erscheinen das schwedische
Heer mit seinen 35 000 Mann aktiven Mannschaften, 165000 Mann Landsturm
und seine 91 Fahrzeuge umfassende Flotte zu klein, als daß sie einer mit
russischer Zähigkeit durchgeführten Eroberung auf die Dauer Widerstand leisten
könnten. Daß endlich das sozialistische Allheilmittel, eine Neutralitätserklärung,
im Ernstfalle reine Einfalt wäre und nur den bindet, der sie abgibt, beginnt
man glücklicher Weise noch zur rechten Zeit zu begreifen.

Überhaupt werden, wenn nicht alles täuscht, die Hemmungen, die sich aus
der Volksstimmung heraus gegen eine großzügig vorgehende äußere Politik ergeben
könnten, immer geringer; des in Schweden allerdings auch übermäßig aus¬
gebildeten Parlamentarismus scheint man allmählich müde zu werden, und die
erfrischende Erkenntnis scheint aufzudämmern, daß wirklich maßgebende Er-




*) Deutsche Übersetzung unter dem Titel "Ein Warnungsruf". Leipzig, F. A, Brock¬
haus, 1912.
*'*) "Schwedische und nordische äußere Politik". Stockholm, Albert Bonner, 1912.
Deutschland und Schweden

Im Januar 1912 aber veröffentlichte der Forschungsreisende Sven Hedin eine
Flugschrift „Ete Varningsord",*) dem im April eine zweite „Svensk och
Nordisk Utrikespolitik"^) von Professor Pontus Fahlbeck in Lund folgte.
Beide Verfasser versuchten darzulegen, daß die so gut wie vollendete Rufsifizierung
Finnlands ziemlich sinnlos wäre, wenn sie nicht vor allem dem Zwecke diente,
eine russische Operationsbasis gegen Schweden zu gewinnen, und daß nunmehr
Rußland militärische Vorbereitungen treffe, durch die sich Schweden aufs schwerste
bedroht fühlen müsse.

In der Tat ist die Lage ja klar genug: was könnte im Fall eines Krieges
zwischen Deutschland und England Rußland hindern, Schweden und Norwegen
zu überfallen? An wen könnte Schweden sich anschließen? — Sein Verhältnis
zu den beiden anderen skandinavischen Reichen hat durch die hartnäckigen, von
Dänemark geschützten Trennungsbestrebungen Norwegens fortgesetzt an Innigkeit
verloren; überdies könnte wohl auch ein Bündnis der drei Staaten Rußland
gegenüber nur schwerlich auf kriegerischen Erfolg rechnen. Weiterhin hat die
nahe Verbindung Norwegens und Dänemarks mit England eine Anlehnung an
diese Großmacht für Schwedens Stolz unmöglich gemacht. Die traditionelle
Freundschaft mit Frankreich endlich war bei der räumlichen Entfernung beider
Länder stets schon zu einer mehr oder weniger platonischen Rolle verurteilt,
und hat nun durch die engen politischen und finanziellen Bande zwischen der
Republik und Nußland für Schweden an Wert beträchtlich eingebüßt. Wenn
man also in Allianzen das Heil des Reiches sieht, so erscheint keine andere
möglich, als die mit Deutschland; und eine solche in der Tat empfiehlt Professor
Fahlbeck. — Die zweite Waffe, die Schweden in der Hand hat, seine eigene
Wehrmacht, ist zwar nach sachverständigen! deutschen Urteil in bestem Stande,
die Festung Boden in Norrland, auf die ein russischer Angriff zunächst stoßen
muß, ist eine der gewaltigsten der Welt, zu deren Belagerung allein eine Truppen¬
menge von 50000 Mann erforderlich wäre. Dennoch erscheinen das schwedische
Heer mit seinen 35 000 Mann aktiven Mannschaften, 165000 Mann Landsturm
und seine 91 Fahrzeuge umfassende Flotte zu klein, als daß sie einer mit
russischer Zähigkeit durchgeführten Eroberung auf die Dauer Widerstand leisten
könnten. Daß endlich das sozialistische Allheilmittel, eine Neutralitätserklärung,
im Ernstfalle reine Einfalt wäre und nur den bindet, der sie abgibt, beginnt
man glücklicher Weise noch zur rechten Zeit zu begreifen.

Überhaupt werden, wenn nicht alles täuscht, die Hemmungen, die sich aus
der Volksstimmung heraus gegen eine großzügig vorgehende äußere Politik ergeben
könnten, immer geringer; des in Schweden allerdings auch übermäßig aus¬
gebildeten Parlamentarismus scheint man allmählich müde zu werden, und die
erfrischende Erkenntnis scheint aufzudämmern, daß wirklich maßgebende Er-




*) Deutsche Übersetzung unter dem Titel „Ein Warnungsruf". Leipzig, F. A, Brock¬
haus, 1912.
*'*) „Schwedische und nordische äußere Politik". Stockholm, Albert Bonner, 1912.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/611>, abgerufen am 26.06.2024.