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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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venezianische Nacht

die uns aus der Galleggiante zurauschten, die blauen Augen Nellas, alles
zusammen verwob sich zu einem Bilde, das die Seele gefangen hielt. Eine
Kanonade schreckte mich aus den Träumen auf. Blitzende Raketen schössen
unter Donnerknall zum Sternenhimmel empor. Das Feuerwerk hatte begonnen.

Eine halbe Stunde lang knallte und sprühte es in wechselndem Farben-
glanze. Der dunkelrote Lichtschein der Papierlaternen erblaßte in der Glut
der künstlichen Lichtquelle. Rauschend wälzten sich die zischenden Garben, spieen
den Feuergischt nach allen Seiten aus und spritzten dann plötzlich in feuriger
Lohe zum Himmel empor, um in prächtiger Wölbung niederzusinken. Dazwischen
donnerte es fürchterlich, als ob die Panzerkanonen der Kriegsschiffe abgefeuert
würden. Die sausenden Geschosse zerstoben in tausend funkelnde Kristalle und
aufglühende Goldflocken, die herabrieselnd im Wasser verglommen. Jetzt aber
kam Leben in die Gesellschaft. "Quant' ö faiuosa! Brcwi! draoi!" schallte es
aus tausend Kehlen, und als im Schlußbild das Evviva l'Italia in riesigen
Lettern aus dem Feuermeer aufflammte, kannte die Begeisterung keine
Grenzen mehr.

Da geschah etwas, das mich in starren Schrecken versetzte.

Lautes Stimmengewirr drang auf einmal von der Giudecca her. Die
Menge drängte nach einen Punkt hin und verdichtete sich dort zu einem Knäuel.
Die Gondeln flogen Möven gleich derselben Stelle zu, wir mit, so daß die
eingepreßten Fahrzeuge ächzten und knarrten, als ob sie aus den Fugen gingen.
Was war geschehen?

Noch konnte es niemand sagen. "Es wird eben einer ins Wasser gefallen
sein", meinte der Gondeliere gleichmütig. "Das wird nicht der Letzte sein, der
hineinpurzelt". Ein weiteres Vordringen war nicht möglich. Wir warteten,
bis der Knäuel sich wieder löste, dann erfuhr ich, daß eine Dame verunglückt
sei, eine vornehme aus einem Herrenschiff. Man habe sie nicht mehr gefunden,
der rettenden Arme seien zu viele gewesen. Auch sei sie sofort in der Tiefe
verschwunden. Mir fuhr es eiskalt durch die Glieder. Die häßliche Gestalt
des Wüstlings stand vor mir. Ich sah - den lüsternen Blick, den er in der
Büvette auf das Mädchen geworfen und konnte den Gedanken nicht mehr los¬
werden: das war nella und sie ist tot! Die Mutter hat ihr Kind der rohen
Gewalt des Marchese ausgeliefert.

Sobald es Raum gab, fuhr ich zu der Unglücksstätte heran, wo noch
eifrig mit Stangen gefischt wurde, die aber den Meeresgrund nicht erreichten.
Nähere Auskunft erhielt ich keine.

Von der Galleggiante ertönten die Klänge eines Militärmarsches, die Gondeln
setzten ihre Spazierfahrt weiter fort und das Fest nahm seinen Fortgang.
Neapolitanische Volkslieder erschallten, Mandolinen- und Gitarrengezirpe summte
durch die Lust, oft übertönt von schallendem Gelächter.

Ich konnte meine schreckliche Ahnung nicht mehr niederkämpfen und befahl,
den Kiel zu wenden. Leise glitt die Gondel an hundert anderen vorüber der


venezianische Nacht

die uns aus der Galleggiante zurauschten, die blauen Augen Nellas, alles
zusammen verwob sich zu einem Bilde, das die Seele gefangen hielt. Eine
Kanonade schreckte mich aus den Träumen auf. Blitzende Raketen schössen
unter Donnerknall zum Sternenhimmel empor. Das Feuerwerk hatte begonnen.

Eine halbe Stunde lang knallte und sprühte es in wechselndem Farben-
glanze. Der dunkelrote Lichtschein der Papierlaternen erblaßte in der Glut
der künstlichen Lichtquelle. Rauschend wälzten sich die zischenden Garben, spieen
den Feuergischt nach allen Seiten aus und spritzten dann plötzlich in feuriger
Lohe zum Himmel empor, um in prächtiger Wölbung niederzusinken. Dazwischen
donnerte es fürchterlich, als ob die Panzerkanonen der Kriegsschiffe abgefeuert
würden. Die sausenden Geschosse zerstoben in tausend funkelnde Kristalle und
aufglühende Goldflocken, die herabrieselnd im Wasser verglommen. Jetzt aber
kam Leben in die Gesellschaft. „Quant' ö faiuosa! Brcwi! draoi!" schallte es
aus tausend Kehlen, und als im Schlußbild das Evviva l'Italia in riesigen
Lettern aus dem Feuermeer aufflammte, kannte die Begeisterung keine
Grenzen mehr.

Da geschah etwas, das mich in starren Schrecken versetzte.

Lautes Stimmengewirr drang auf einmal von der Giudecca her. Die
Menge drängte nach einen Punkt hin und verdichtete sich dort zu einem Knäuel.
Die Gondeln flogen Möven gleich derselben Stelle zu, wir mit, so daß die
eingepreßten Fahrzeuge ächzten und knarrten, als ob sie aus den Fugen gingen.
Was war geschehen?

Noch konnte es niemand sagen. „Es wird eben einer ins Wasser gefallen
sein", meinte der Gondeliere gleichmütig. „Das wird nicht der Letzte sein, der
hineinpurzelt". Ein weiteres Vordringen war nicht möglich. Wir warteten,
bis der Knäuel sich wieder löste, dann erfuhr ich, daß eine Dame verunglückt
sei, eine vornehme aus einem Herrenschiff. Man habe sie nicht mehr gefunden,
der rettenden Arme seien zu viele gewesen. Auch sei sie sofort in der Tiefe
verschwunden. Mir fuhr es eiskalt durch die Glieder. Die häßliche Gestalt
des Wüstlings stand vor mir. Ich sah - den lüsternen Blick, den er in der
Büvette auf das Mädchen geworfen und konnte den Gedanken nicht mehr los¬
werden: das war nella und sie ist tot! Die Mutter hat ihr Kind der rohen
Gewalt des Marchese ausgeliefert.

Sobald es Raum gab, fuhr ich zu der Unglücksstätte heran, wo noch
eifrig mit Stangen gefischt wurde, die aber den Meeresgrund nicht erreichten.
Nähere Auskunft erhielt ich keine.

Von der Galleggiante ertönten die Klänge eines Militärmarsches, die Gondeln
setzten ihre Spazierfahrt weiter fort und das Fest nahm seinen Fortgang.
Neapolitanische Volkslieder erschallten, Mandolinen- und Gitarrengezirpe summte
durch die Lust, oft übertönt von schallendem Gelächter.

Ich konnte meine schreckliche Ahnung nicht mehr niederkämpfen und befahl,
den Kiel zu wenden. Leise glitt die Gondel an hundert anderen vorüber der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/590>, abgerufen am 26.06.2024.