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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Titu Maiorcscu

Würde und Mäßigung mahnende Stimme des Gereiften, sich auch bei den
Gegnern Gehör erzwang. Gleich den literarischen Aufsätzen Maiorescus, der durch
seine umfassende geistige Tätigkeit einen tiefen Einfluß auf die ganze moderne
rumänische Literatur und Kultur ausübte, und als erster positive Ideen zur
Reorganisation heimatlichen Dichtkunst, die völlig dem Deklamatorischen verfallen
war, in die Tat umsetzte, sind diese parlamentarischen Reden in mehreren
Bänden gesammelt erschienen und bilden, ganz abgesehen von ihrer vollendeten
Form und ihrem geistigen Gehalt, einen wichtigen Beitrag zur neuesten geschicht¬
lichen Entwicklung Rumäniens.

Der siebzigjährige, der sich in erstaunlicher Weise jugendliche Frische in
geistiger wie körperlicher Beziehung und die echte, rechte Lebensfreudigkeit bewahrt
hatte, wurde bei der im Januar 1911 erfolgten Berufung der unter der Leitung
Carps stehenden, jung-konservativen Negierung mit dem Ministerium des Äußeren
betraut. Auch diesen verantwortlichen Posten wußte er umsichtig auszufüllen,
indem er gute Beziehungen zu allen Staaten, insbesondere zu jenen des Drei¬
bundes -- bereits anfangs 1831 war Maiorescu in einer vielbeachteten deutschen
Veröffentlichung für die Annäherung Rumäniens an Österreich-Deutschland ein¬
getreten -- unterhielt und geschickt Konflikte vermied, zu denen es im nahen
Ungarn sowie in anderer Nachbarschaft nicht an Stoff fehlte.

Auch jetzt als Ministerpräsident hat Maiorescu die auswärtigen Angelegen¬
heiten in seiner Hand behalten. Gelingt es ihm, die durch die letzten inneren
Kämpfe bis zur Siedehitze erregten Gemüter zu besänftigen, so wird seine Führung
der Regierung eine ersprießliche sein, zumal der glänzende Stand des Staats¬
budgets, das für das neue Geschäftsjahr mit einem Überschuß von etwa 70
Millionen Franken sicher rechnet, die Durchführung wichtiger Reformen ermöglicht
und auch für fernere militärische Rüstungen erhebliche Mittel erübrigt. Sollte,
was von einzelnen Stellen befürchtet wird, die nahe Zukunft ernstere Wirren am
Balkan bringen, so steht der neue Ministerpräsident unter einem kundigen, ent¬
schlossenen Kapitän, seinem Könige Karl dem Ersten.




Titu Maiorcscu

Würde und Mäßigung mahnende Stimme des Gereiften, sich auch bei den
Gegnern Gehör erzwang. Gleich den literarischen Aufsätzen Maiorescus, der durch
seine umfassende geistige Tätigkeit einen tiefen Einfluß auf die ganze moderne
rumänische Literatur und Kultur ausübte, und als erster positive Ideen zur
Reorganisation heimatlichen Dichtkunst, die völlig dem Deklamatorischen verfallen
war, in die Tat umsetzte, sind diese parlamentarischen Reden in mehreren
Bänden gesammelt erschienen und bilden, ganz abgesehen von ihrer vollendeten
Form und ihrem geistigen Gehalt, einen wichtigen Beitrag zur neuesten geschicht¬
lichen Entwicklung Rumäniens.

Der siebzigjährige, der sich in erstaunlicher Weise jugendliche Frische in
geistiger wie körperlicher Beziehung und die echte, rechte Lebensfreudigkeit bewahrt
hatte, wurde bei der im Januar 1911 erfolgten Berufung der unter der Leitung
Carps stehenden, jung-konservativen Negierung mit dem Ministerium des Äußeren
betraut. Auch diesen verantwortlichen Posten wußte er umsichtig auszufüllen,
indem er gute Beziehungen zu allen Staaten, insbesondere zu jenen des Drei¬
bundes — bereits anfangs 1831 war Maiorescu in einer vielbeachteten deutschen
Veröffentlichung für die Annäherung Rumäniens an Österreich-Deutschland ein¬
getreten — unterhielt und geschickt Konflikte vermied, zu denen es im nahen
Ungarn sowie in anderer Nachbarschaft nicht an Stoff fehlte.

Auch jetzt als Ministerpräsident hat Maiorescu die auswärtigen Angelegen¬
heiten in seiner Hand behalten. Gelingt es ihm, die durch die letzten inneren
Kämpfe bis zur Siedehitze erregten Gemüter zu besänftigen, so wird seine Führung
der Regierung eine ersprießliche sein, zumal der glänzende Stand des Staats¬
budgets, das für das neue Geschäftsjahr mit einem Überschuß von etwa 70
Millionen Franken sicher rechnet, die Durchführung wichtiger Reformen ermöglicht
und auch für fernere militärische Rüstungen erhebliche Mittel erübrigt. Sollte,
was von einzelnen Stellen befürchtet wird, die nahe Zukunft ernstere Wirren am
Balkan bringen, so steht der neue Ministerpräsident unter einem kundigen, ent¬
schlossenen Kapitän, seinem Könige Karl dem Ersten.




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[0580] Titu Maiorcscu Würde und Mäßigung mahnende Stimme des Gereiften, sich auch bei den Gegnern Gehör erzwang. Gleich den literarischen Aufsätzen Maiorescus, der durch seine umfassende geistige Tätigkeit einen tiefen Einfluß auf die ganze moderne rumänische Literatur und Kultur ausübte, und als erster positive Ideen zur Reorganisation heimatlichen Dichtkunst, die völlig dem Deklamatorischen verfallen war, in die Tat umsetzte, sind diese parlamentarischen Reden in mehreren Bänden gesammelt erschienen und bilden, ganz abgesehen von ihrer vollendeten Form und ihrem geistigen Gehalt, einen wichtigen Beitrag zur neuesten geschicht¬ lichen Entwicklung Rumäniens. Der siebzigjährige, der sich in erstaunlicher Weise jugendliche Frische in geistiger wie körperlicher Beziehung und die echte, rechte Lebensfreudigkeit bewahrt hatte, wurde bei der im Januar 1911 erfolgten Berufung der unter der Leitung Carps stehenden, jung-konservativen Negierung mit dem Ministerium des Äußeren betraut. Auch diesen verantwortlichen Posten wußte er umsichtig auszufüllen, indem er gute Beziehungen zu allen Staaten, insbesondere zu jenen des Drei¬ bundes — bereits anfangs 1831 war Maiorescu in einer vielbeachteten deutschen Veröffentlichung für die Annäherung Rumäniens an Österreich-Deutschland ein¬ getreten — unterhielt und geschickt Konflikte vermied, zu denen es im nahen Ungarn sowie in anderer Nachbarschaft nicht an Stoff fehlte. Auch jetzt als Ministerpräsident hat Maiorescu die auswärtigen Angelegen¬ heiten in seiner Hand behalten. Gelingt es ihm, die durch die letzten inneren Kämpfe bis zur Siedehitze erregten Gemüter zu besänftigen, so wird seine Führung der Regierung eine ersprießliche sein, zumal der glänzende Stand des Staats¬ budgets, das für das neue Geschäftsjahr mit einem Überschuß von etwa 70 Millionen Franken sicher rechnet, die Durchführung wichtiger Reformen ermöglicht und auch für fernere militärische Rüstungen erhebliche Mittel erübrigt. Sollte, was von einzelnen Stellen befürchtet wird, die nahe Zukunft ernstere Wirren am Balkan bringen, so steht der neue Ministerpräsident unter einem kundigen, ent¬ schlossenen Kapitän, seinem Könige Karl dem Ersten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/580>, abgerufen am 22.07.2024.