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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Auch sonst fehlt es nicht an Parallelen zu der letzten Hochkonjnnktur-
periode. Der Vorwurf der Kreditüberspannung, welchen der Reichsbankpräsident
gegen unsere Bankwelt erhoben hat, wird durch einige Aufsehen errregende Vor¬
kommnisse in Helles Licht gerückt. Bei dem Zusammenbruch der Jmmobolien-
firma Mosler u. Wersche zeigt sich, daß fast sämtliche Großbanken mit Millionen¬
krediten beteiligt sind. Selbstverständlich hat keine einzige einen Überblick über
die Gesamtcngagements der Firma bei anderen Banken gehabt, sonst wäre
eine solche Überfütterung mit Kredit gegen eine Unterlage in zweitstelligen
Hypotheken undenkbar. Die gleiche Erscheinung zeigt sich bei dem Fall eines
rheinischen Industriellen, der an verschiedenen Stellen Millionenkredite in An¬
spruch zu nehmen verstanden hat. Vielleicht mag dem letzteren Vorkommnis
eine symptomatische Bedeutung nicht beiwohnen, weil eine Täuschung der Kredit¬
geber mit im Spiel gewesen sein mag. Um so mehr verdient der Fall Mosler u.
Wersche die öffentliche Beachtung, weil er erkennen läßt, in wie hohen: Maße
die Banken die ungesunden Verhältnisse des Berliner Jmmobolienmarktes
mit verschuldet haben. Die Dinge treiben hier ganz offensichtlich einer Krisis
zu. Die an sich lobenswerte Praxis der Krediteinschränkungen, deren Opfer
auch jene Firma geworden ist, wird, wenn zur Unzeit durchgeführt, noch gar
manchen den gleichen Weg gehen lassen.

Solche Befürchtungen sind um so naheliegender, je unbefriedigender die
Lage des Geldmarktes ist, je länger die ganz auffallende Zinsanspannung an¬
dauert. Die Hoffnung auf eine Ermäßigung des Bankdiskonts im zweiten
Quartal muß heute schon beiseite gelegt werden. Die Reichsbank ist weit
davon entfernt, durch eine Politik der Zinsermüßigung der spekulativen
Unternehmungslust auf allen Gebieten neue Nahrung zu geben. Es gilt,
sich auf einen fünfprozentigen Zinsfuß für die Dauer einzurichten. Jeden¬
falls ist es, soweit sich die Situation heute übersehen läßt, sehr unwahr¬
scheinlich, daß die Sommermonate noch eine Zinsermäßigung bringen werden,
die in: Herbst dann schon wieder von einer abermaligen Erhöhung abgelöst
werden müßte. Zweifelsohne ist auch, soweit es die internationalen Geld¬
verhältnisse gestatten, die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zinsfußes richtig
und im wohlverstandenen Interesse der Volkswirtschaft. Nur eine solche --
immer noch in mäßigen Grenzen sich haltende -- Versteuerung des Kredits
kann uns davor schützen, alsbald wieder einer Katastrophe entgegenzutreiben.
Die Inanspruchnahme der Reichsbank am Quartalstermin läßt sich im Augen¬
blick noch nicht übersehen; sie ist aber zweifellos eine recht bedeutende gewesen
und wird wohl eine Nekordzifser ergeben. Der Ultimogeldsatz hat den un¬
gewöhnlich hohen Stand von 7 Prozent erreicht. Dieser verlockende Zinssatz
hat zwar ausländisches Kapital zu uns über die Grenze geführt, doch hindert
die Anspannung am Londoner Geldmarkt, daß diese Zuflüsse größeren Umfang
gewinnen. Der Bergarbeiterstreik in England dauert nun nahezu schon fünf
Wochen; über vierzig Millionen Mark haben die Gewerkschaften bereits an Unter-


Reichsspiegel

Auch sonst fehlt es nicht an Parallelen zu der letzten Hochkonjnnktur-
periode. Der Vorwurf der Kreditüberspannung, welchen der Reichsbankpräsident
gegen unsere Bankwelt erhoben hat, wird durch einige Aufsehen errregende Vor¬
kommnisse in Helles Licht gerückt. Bei dem Zusammenbruch der Jmmobolien-
firma Mosler u. Wersche zeigt sich, daß fast sämtliche Großbanken mit Millionen¬
krediten beteiligt sind. Selbstverständlich hat keine einzige einen Überblick über
die Gesamtcngagements der Firma bei anderen Banken gehabt, sonst wäre
eine solche Überfütterung mit Kredit gegen eine Unterlage in zweitstelligen
Hypotheken undenkbar. Die gleiche Erscheinung zeigt sich bei dem Fall eines
rheinischen Industriellen, der an verschiedenen Stellen Millionenkredite in An¬
spruch zu nehmen verstanden hat. Vielleicht mag dem letzteren Vorkommnis
eine symptomatische Bedeutung nicht beiwohnen, weil eine Täuschung der Kredit¬
geber mit im Spiel gewesen sein mag. Um so mehr verdient der Fall Mosler u.
Wersche die öffentliche Beachtung, weil er erkennen läßt, in wie hohen: Maße
die Banken die ungesunden Verhältnisse des Berliner Jmmobolienmarktes
mit verschuldet haben. Die Dinge treiben hier ganz offensichtlich einer Krisis
zu. Die an sich lobenswerte Praxis der Krediteinschränkungen, deren Opfer
auch jene Firma geworden ist, wird, wenn zur Unzeit durchgeführt, noch gar
manchen den gleichen Weg gehen lassen.

Solche Befürchtungen sind um so naheliegender, je unbefriedigender die
Lage des Geldmarktes ist, je länger die ganz auffallende Zinsanspannung an¬
dauert. Die Hoffnung auf eine Ermäßigung des Bankdiskonts im zweiten
Quartal muß heute schon beiseite gelegt werden. Die Reichsbank ist weit
davon entfernt, durch eine Politik der Zinsermüßigung der spekulativen
Unternehmungslust auf allen Gebieten neue Nahrung zu geben. Es gilt,
sich auf einen fünfprozentigen Zinsfuß für die Dauer einzurichten. Jeden¬
falls ist es, soweit sich die Situation heute übersehen läßt, sehr unwahr¬
scheinlich, daß die Sommermonate noch eine Zinsermäßigung bringen werden,
die in: Herbst dann schon wieder von einer abermaligen Erhöhung abgelöst
werden müßte. Zweifelsohne ist auch, soweit es die internationalen Geld¬
verhältnisse gestatten, die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zinsfußes richtig
und im wohlverstandenen Interesse der Volkswirtschaft. Nur eine solche —
immer noch in mäßigen Grenzen sich haltende — Versteuerung des Kredits
kann uns davor schützen, alsbald wieder einer Katastrophe entgegenzutreiben.
Die Inanspruchnahme der Reichsbank am Quartalstermin läßt sich im Augen¬
blick noch nicht übersehen; sie ist aber zweifellos eine recht bedeutende gewesen
und wird wohl eine Nekordzifser ergeben. Der Ultimogeldsatz hat den un¬
gewöhnlich hohen Stand von 7 Prozent erreicht. Dieser verlockende Zinssatz
hat zwar ausländisches Kapital zu uns über die Grenze geführt, doch hindert
die Anspannung am Londoner Geldmarkt, daß diese Zuflüsse größeren Umfang
gewinnen. Der Bergarbeiterstreik in England dauert nun nahezu schon fünf
Wochen; über vierzig Millionen Mark haben die Gewerkschaften bereits an Unter-


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[0058] Reichsspiegel Auch sonst fehlt es nicht an Parallelen zu der letzten Hochkonjnnktur- periode. Der Vorwurf der Kreditüberspannung, welchen der Reichsbankpräsident gegen unsere Bankwelt erhoben hat, wird durch einige Aufsehen errregende Vor¬ kommnisse in Helles Licht gerückt. Bei dem Zusammenbruch der Jmmobolien- firma Mosler u. Wersche zeigt sich, daß fast sämtliche Großbanken mit Millionen¬ krediten beteiligt sind. Selbstverständlich hat keine einzige einen Überblick über die Gesamtcngagements der Firma bei anderen Banken gehabt, sonst wäre eine solche Überfütterung mit Kredit gegen eine Unterlage in zweitstelligen Hypotheken undenkbar. Die gleiche Erscheinung zeigt sich bei dem Fall eines rheinischen Industriellen, der an verschiedenen Stellen Millionenkredite in An¬ spruch zu nehmen verstanden hat. Vielleicht mag dem letzteren Vorkommnis eine symptomatische Bedeutung nicht beiwohnen, weil eine Täuschung der Kredit¬ geber mit im Spiel gewesen sein mag. Um so mehr verdient der Fall Mosler u. Wersche die öffentliche Beachtung, weil er erkennen läßt, in wie hohen: Maße die Banken die ungesunden Verhältnisse des Berliner Jmmobolienmarktes mit verschuldet haben. Die Dinge treiben hier ganz offensichtlich einer Krisis zu. Die an sich lobenswerte Praxis der Krediteinschränkungen, deren Opfer auch jene Firma geworden ist, wird, wenn zur Unzeit durchgeführt, noch gar manchen den gleichen Weg gehen lassen. Solche Befürchtungen sind um so naheliegender, je unbefriedigender die Lage des Geldmarktes ist, je länger die ganz auffallende Zinsanspannung an¬ dauert. Die Hoffnung auf eine Ermäßigung des Bankdiskonts im zweiten Quartal muß heute schon beiseite gelegt werden. Die Reichsbank ist weit davon entfernt, durch eine Politik der Zinsermüßigung der spekulativen Unternehmungslust auf allen Gebieten neue Nahrung zu geben. Es gilt, sich auf einen fünfprozentigen Zinsfuß für die Dauer einzurichten. Jeden¬ falls ist es, soweit sich die Situation heute übersehen läßt, sehr unwahr¬ scheinlich, daß die Sommermonate noch eine Zinsermäßigung bringen werden, die in: Herbst dann schon wieder von einer abermaligen Erhöhung abgelöst werden müßte. Zweifelsohne ist auch, soweit es die internationalen Geld¬ verhältnisse gestatten, die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zinsfußes richtig und im wohlverstandenen Interesse der Volkswirtschaft. Nur eine solche — immer noch in mäßigen Grenzen sich haltende — Versteuerung des Kredits kann uns davor schützen, alsbald wieder einer Katastrophe entgegenzutreiben. Die Inanspruchnahme der Reichsbank am Quartalstermin läßt sich im Augen¬ blick noch nicht übersehen; sie ist aber zweifellos eine recht bedeutende gewesen und wird wohl eine Nekordzifser ergeben. Der Ultimogeldsatz hat den un¬ gewöhnlich hohen Stand von 7 Prozent erreicht. Dieser verlockende Zinssatz hat zwar ausländisches Kapital zu uns über die Grenze geführt, doch hindert die Anspannung am Londoner Geldmarkt, daß diese Zuflüsse größeren Umfang gewinnen. Der Bergarbeiterstreik in England dauert nun nahezu schon fünf Wochen; über vierzig Millionen Mark haben die Gewerkschaften bereits an Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/58>, abgerufen am 26.06.2024.