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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Titu Maiorescu

Des jungen Gelehrten geistige Regsamkeit, sein Verständnis für das deutsche
kulturelle Leben, seine Freude an wissenschaftlicher Forschung, wohl auch sein
gewinnendes Wesen hatten die Aufmerksamkeit der Berliner Universitätskreise auf
ihn gelenkt, so daß man ihm nahe legte, dauernd in Berlin zu bleiben und sich
der Gelehrtenlaufbahn zu widmen. Aber auch ihn trieb es, wie andere seiner
auf deutschen Hochschulen ausgebildeten Landsleute, so Demeter Sturdza und
P. Carp -- um nur zwei tönende Namen zu nennen -- nach der Heimat, um
sich in ihren Dienst zu stellen. In treuer Dankbarkeit jedoch bewahrte er
Deutschland wie dessen wissenschaftlichen Methoden und Geistesschätzen seine
anhängliche Liebe, und diese Liebe hat er bis heutigen Tags behalten, so oft sie
ihm auch verdacht worden sein mag.

Anfangs der sechziger Jahre finden wir den Heim gekehrten erst als Universitäts¬
professor in Bukarest, dann als solchen in Jassv, philosophische und geschicht¬
liche Vorlesungen haltend. Zugleich begann er in Wort und Schrift für eine
völlige Umänderung und Neugestaltung des Volks- und Mittelschulunterrichts,
sowie für eine weit stärkere Heranziehung des Lateinischen in den Gymnasien
energisch und planmäßig einzutreten. Er stieß zunächst fast überall auf taube
Ohren und fand für seine wichtigen Pläne nur ein geringes Verständnis; man
hatte, obwohl Fürst Kusa, unter dem die Moldau und Walachei ihre Vereinigung
erfahren, ein neues Unterrichtsgesetz erlassen, anderes zu tun, als sich -- nach der
Meinung Vieler -- um derartige nebensächliche Dinge zu kümmern. Denn in
dein mit Not und Mühe zusammengekitteten jungen Staat sah es arg aus; die
Politik beherischte alle Gemüter, die stets drückender werdende Sorge um die
Zukunft des Landes ängstigte die Besten. Fürst Kusa hatte, trotzdem er einzelne
wichtige Reformen eingeführt, die Hoffnungen der Patrioten mehr und mehr ent¬
täuscht; überall war Schlendrian eingerissen, das Protektionswesen blühte, man
dachte am Fürstenhöfe bloß noch an das Heute und kümmerte sich nicht um das
Morgen, die allgemeine Mißwirtschaft in den Regierungskreisen führte zur völligen
Leerung der staatlichen Kassen, ein Ministerium löste das andere ab, alles geriet
in Schwanken und Wanken. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß unter diesen
Verhältnissen der öffentliche Unterricht besonders litt, und trostlos lautete denn
auch der Bericht, den C. A. Rosetti, der als Kultusminister dem ersten, vom
jungen Hohenzollernfürsten gleich nach seinem am 20. Mai 1866 erfolgten Ein¬
treffen gebildeten Ministerium angehörte, dem Fürsten Karl erstattet: die Lyceen
und Schulen standen auf niedrigster Stufe, die Räume, in denen sie sich befanden,
bedeuteten Ansteckung und Tod; von über dreitausend Dorfgemeinden besaßen
kaum dreizehnhundert Schulen, und diese, abgesehen von dem fragwürdigen
Unterricht, waren in Baracken untergebracht, meist ohne Licht und Luft,
ungehindert drangen Schnee und Regen ein!

Auch die beiden aus Fachkursen hervorgegangenen Universitäten, von denen
die Jafsyer 1860, die Bukarester 1863 begründet ward, ließen vieles zu wünschen
übrig. Hauptsächlich aus Mangel an Mitteln mußte man, wie es seitens


Grenzboten II 1912 72
Titu Maiorescu

Des jungen Gelehrten geistige Regsamkeit, sein Verständnis für das deutsche
kulturelle Leben, seine Freude an wissenschaftlicher Forschung, wohl auch sein
gewinnendes Wesen hatten die Aufmerksamkeit der Berliner Universitätskreise auf
ihn gelenkt, so daß man ihm nahe legte, dauernd in Berlin zu bleiben und sich
der Gelehrtenlaufbahn zu widmen. Aber auch ihn trieb es, wie andere seiner
auf deutschen Hochschulen ausgebildeten Landsleute, so Demeter Sturdza und
P. Carp — um nur zwei tönende Namen zu nennen — nach der Heimat, um
sich in ihren Dienst zu stellen. In treuer Dankbarkeit jedoch bewahrte er
Deutschland wie dessen wissenschaftlichen Methoden und Geistesschätzen seine
anhängliche Liebe, und diese Liebe hat er bis heutigen Tags behalten, so oft sie
ihm auch verdacht worden sein mag.

Anfangs der sechziger Jahre finden wir den Heim gekehrten erst als Universitäts¬
professor in Bukarest, dann als solchen in Jassv, philosophische und geschicht¬
liche Vorlesungen haltend. Zugleich begann er in Wort und Schrift für eine
völlige Umänderung und Neugestaltung des Volks- und Mittelschulunterrichts,
sowie für eine weit stärkere Heranziehung des Lateinischen in den Gymnasien
energisch und planmäßig einzutreten. Er stieß zunächst fast überall auf taube
Ohren und fand für seine wichtigen Pläne nur ein geringes Verständnis; man
hatte, obwohl Fürst Kusa, unter dem die Moldau und Walachei ihre Vereinigung
erfahren, ein neues Unterrichtsgesetz erlassen, anderes zu tun, als sich — nach der
Meinung Vieler — um derartige nebensächliche Dinge zu kümmern. Denn in
dein mit Not und Mühe zusammengekitteten jungen Staat sah es arg aus; die
Politik beherischte alle Gemüter, die stets drückender werdende Sorge um die
Zukunft des Landes ängstigte die Besten. Fürst Kusa hatte, trotzdem er einzelne
wichtige Reformen eingeführt, die Hoffnungen der Patrioten mehr und mehr ent¬
täuscht; überall war Schlendrian eingerissen, das Protektionswesen blühte, man
dachte am Fürstenhöfe bloß noch an das Heute und kümmerte sich nicht um das
Morgen, die allgemeine Mißwirtschaft in den Regierungskreisen führte zur völligen
Leerung der staatlichen Kassen, ein Ministerium löste das andere ab, alles geriet
in Schwanken und Wanken. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß unter diesen
Verhältnissen der öffentliche Unterricht besonders litt, und trostlos lautete denn
auch der Bericht, den C. A. Rosetti, der als Kultusminister dem ersten, vom
jungen Hohenzollernfürsten gleich nach seinem am 20. Mai 1866 erfolgten Ein¬
treffen gebildeten Ministerium angehörte, dem Fürsten Karl erstattet: die Lyceen
und Schulen standen auf niedrigster Stufe, die Räume, in denen sie sich befanden,
bedeuteten Ansteckung und Tod; von über dreitausend Dorfgemeinden besaßen
kaum dreizehnhundert Schulen, und diese, abgesehen von dem fragwürdigen
Unterricht, waren in Baracken untergebracht, meist ohne Licht und Luft,
ungehindert drangen Schnee und Regen ein!

Auch die beiden aus Fachkursen hervorgegangenen Universitäten, von denen
die Jafsyer 1860, die Bukarester 1863 begründet ward, ließen vieles zu wünschen
übrig. Hauptsächlich aus Mangel an Mitteln mußte man, wie es seitens


Grenzboten II 1912 72
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[0577] Titu Maiorescu Des jungen Gelehrten geistige Regsamkeit, sein Verständnis für das deutsche kulturelle Leben, seine Freude an wissenschaftlicher Forschung, wohl auch sein gewinnendes Wesen hatten die Aufmerksamkeit der Berliner Universitätskreise auf ihn gelenkt, so daß man ihm nahe legte, dauernd in Berlin zu bleiben und sich der Gelehrtenlaufbahn zu widmen. Aber auch ihn trieb es, wie andere seiner auf deutschen Hochschulen ausgebildeten Landsleute, so Demeter Sturdza und P. Carp — um nur zwei tönende Namen zu nennen — nach der Heimat, um sich in ihren Dienst zu stellen. In treuer Dankbarkeit jedoch bewahrte er Deutschland wie dessen wissenschaftlichen Methoden und Geistesschätzen seine anhängliche Liebe, und diese Liebe hat er bis heutigen Tags behalten, so oft sie ihm auch verdacht worden sein mag. Anfangs der sechziger Jahre finden wir den Heim gekehrten erst als Universitäts¬ professor in Bukarest, dann als solchen in Jassv, philosophische und geschicht¬ liche Vorlesungen haltend. Zugleich begann er in Wort und Schrift für eine völlige Umänderung und Neugestaltung des Volks- und Mittelschulunterrichts, sowie für eine weit stärkere Heranziehung des Lateinischen in den Gymnasien energisch und planmäßig einzutreten. Er stieß zunächst fast überall auf taube Ohren und fand für seine wichtigen Pläne nur ein geringes Verständnis; man hatte, obwohl Fürst Kusa, unter dem die Moldau und Walachei ihre Vereinigung erfahren, ein neues Unterrichtsgesetz erlassen, anderes zu tun, als sich — nach der Meinung Vieler — um derartige nebensächliche Dinge zu kümmern. Denn in dein mit Not und Mühe zusammengekitteten jungen Staat sah es arg aus; die Politik beherischte alle Gemüter, die stets drückender werdende Sorge um die Zukunft des Landes ängstigte die Besten. Fürst Kusa hatte, trotzdem er einzelne wichtige Reformen eingeführt, die Hoffnungen der Patrioten mehr und mehr ent¬ täuscht; überall war Schlendrian eingerissen, das Protektionswesen blühte, man dachte am Fürstenhöfe bloß noch an das Heute und kümmerte sich nicht um das Morgen, die allgemeine Mißwirtschaft in den Regierungskreisen führte zur völligen Leerung der staatlichen Kassen, ein Ministerium löste das andere ab, alles geriet in Schwanken und Wanken. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß unter diesen Verhältnissen der öffentliche Unterricht besonders litt, und trostlos lautete denn auch der Bericht, den C. A. Rosetti, der als Kultusminister dem ersten, vom jungen Hohenzollernfürsten gleich nach seinem am 20. Mai 1866 erfolgten Ein¬ treffen gebildeten Ministerium angehörte, dem Fürsten Karl erstattet: die Lyceen und Schulen standen auf niedrigster Stufe, die Räume, in denen sie sich befanden, bedeuteten Ansteckung und Tod; von über dreitausend Dorfgemeinden besaßen kaum dreizehnhundert Schulen, und diese, abgesehen von dem fragwürdigen Unterricht, waren in Baracken untergebracht, meist ohne Licht und Luft, ungehindert drangen Schnee und Regen ein! Auch die beiden aus Fachkursen hervorgegangenen Universitäten, von denen die Jafsyer 1860, die Bukarester 1863 begründet ward, ließen vieles zu wünschen übrig. Hauptsächlich aus Mangel an Mitteln mußte man, wie es seitens Grenzboten II 1912 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/577>, abgerufen am 23.07.2024.