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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

unzutreffendes Bild vom Staate, von seinem Wesen, Wert und Walten machen
und, irregeleitet von utopistischen Zukunftsidealen, dem eigenen Vaterlande fremd,
vielfach feindselig gegenüberstehen. So führt der Umstand, daß das Ver¬
ständnis des Heerwesens sich noch nicht auf die Höhe der allgemeinen Bildung
erhebt und in seinen großen und für Staat und Volk entscheidenden Momenten
noch nicht in das Bewußtsein des Volkes eingeführt ist, dazu, daß Auf¬
fassungen des Vorwärts wie jene über den "strategischen Grund der ins
Ungemessene steigenden Heeresreformen" auch über den Leserkreis dieses
radikalen Blattes hinaus Beachtung finden.

Man kann wohl behaupten, daß einer günstigen Aufnahme der Heeres¬
vorlage recht wenig Boden im Volke bereitet ist. Die Absichten der Reichs¬
regierung zugleich mit den bisherigen allgemeinen Mitteilungen über die nächst¬
liegenden Forderungen großzügig darzulegen, wäre sehr wünschenswert gewesen,
schon um deswillen, weil mit der gegenwärtigen Heeresvorlage die Reform
doch nicht abschließen, sondern erst beginnen kann, weil es sich serner nicht um
Schließung einiger Lücken, um Flickwerk handeln darf, sondern ganze Arbeit
bedeuten muß. Nicht in dem Sinne, daß die finanziellen Anforderungen ge¬
steigert werden müßten. Was jetzt zur Ausführung kommen soll, wird abhängen
von der Lösung der Deckungsfrage. Aber darum muß es. sich handeln, was
und wie an unserem Heerwesen reorganisiert und reformiert werden soll.

Von der Infanterie war schon in Ur. 13, S. 641 die Rede. Bei der Kavallerie
handelt es sich vor allem um die Frage, ob bereits im Frieden Kavallerie-Divisionen
geschaffen werden sollen. Frankreich besitzt solche, und zwar stehen ihrer mehrere
an der Westgrenze, zweifellos mit der Bestimmung, in: Falle eines Krieges
sofort in Deutschland einzufallen und hier durch umfangreiche Zerstörungen an
wichtigen Verkehrslinien unsern: Aufmarsch und unseren Operationen Hemmnisse
zu bereiten, zugleich aber durch leicht errungene Erfolge den kriegerischen Elan
des französischen Volkes zu entflammen. Auch auf deutscher Seite stehen zahl¬
reiche Kavallerieregimenter längs der Grenze. Sie sind aber nicht bereits im
Frieden in selbständige Kavalleriekörper zusammengeschlossen, sondern unterstehen
in Brigadeverbändcn den Armeekorps. Es kann hier nicht auf die fachwissen¬
schaftlich seit langem eingehend erörterte Frage im allgemeinen eingegangen
werden. Die deutsche Heeresleitung vertritt mit dem General der Kavallerie
von Bernhard: die Auffassung, daß die Kavallerie aus Gründen der Ausbildung
für ihre Gesamtausgaben im Frieden zweckmäßiger im Korpsverbande steht.
Die vier Kavallerieinspektionen (Posen, Stettin, Straßburg i. E. und Saar¬
brücken) können als Grundstock von Kavalleriedivisionen gelten, die im Mobil¬
machungsfalle zu formieren sind. Nur fehlt ihnen ein wichtiges Organ, der General¬
stab. Ihnen diese Ergänzung schon im Frieden zu geben, erscheint dringlicher
als die Errichtung einer siebenten Armeeinspektion. Übrigens noch eins: wir
haben bereits eine Kavalleriedivision im Frieden, nämlich beim Gardekorps. Es steht
nicht im Einklang mit den bei Ausbruch eines Krieges für die Heereskavallerie


Reichsspiegel

unzutreffendes Bild vom Staate, von seinem Wesen, Wert und Walten machen
und, irregeleitet von utopistischen Zukunftsidealen, dem eigenen Vaterlande fremd,
vielfach feindselig gegenüberstehen. So führt der Umstand, daß das Ver¬
ständnis des Heerwesens sich noch nicht auf die Höhe der allgemeinen Bildung
erhebt und in seinen großen und für Staat und Volk entscheidenden Momenten
noch nicht in das Bewußtsein des Volkes eingeführt ist, dazu, daß Auf¬
fassungen des Vorwärts wie jene über den „strategischen Grund der ins
Ungemessene steigenden Heeresreformen" auch über den Leserkreis dieses
radikalen Blattes hinaus Beachtung finden.

Man kann wohl behaupten, daß einer günstigen Aufnahme der Heeres¬
vorlage recht wenig Boden im Volke bereitet ist. Die Absichten der Reichs¬
regierung zugleich mit den bisherigen allgemeinen Mitteilungen über die nächst¬
liegenden Forderungen großzügig darzulegen, wäre sehr wünschenswert gewesen,
schon um deswillen, weil mit der gegenwärtigen Heeresvorlage die Reform
doch nicht abschließen, sondern erst beginnen kann, weil es sich serner nicht um
Schließung einiger Lücken, um Flickwerk handeln darf, sondern ganze Arbeit
bedeuten muß. Nicht in dem Sinne, daß die finanziellen Anforderungen ge¬
steigert werden müßten. Was jetzt zur Ausführung kommen soll, wird abhängen
von der Lösung der Deckungsfrage. Aber darum muß es. sich handeln, was
und wie an unserem Heerwesen reorganisiert und reformiert werden soll.

Von der Infanterie war schon in Ur. 13, S. 641 die Rede. Bei der Kavallerie
handelt es sich vor allem um die Frage, ob bereits im Frieden Kavallerie-Divisionen
geschaffen werden sollen. Frankreich besitzt solche, und zwar stehen ihrer mehrere
an der Westgrenze, zweifellos mit der Bestimmung, in: Falle eines Krieges
sofort in Deutschland einzufallen und hier durch umfangreiche Zerstörungen an
wichtigen Verkehrslinien unsern: Aufmarsch und unseren Operationen Hemmnisse
zu bereiten, zugleich aber durch leicht errungene Erfolge den kriegerischen Elan
des französischen Volkes zu entflammen. Auch auf deutscher Seite stehen zahl¬
reiche Kavallerieregimenter längs der Grenze. Sie sind aber nicht bereits im
Frieden in selbständige Kavalleriekörper zusammengeschlossen, sondern unterstehen
in Brigadeverbändcn den Armeekorps. Es kann hier nicht auf die fachwissen¬
schaftlich seit langem eingehend erörterte Frage im allgemeinen eingegangen
werden. Die deutsche Heeresleitung vertritt mit dem General der Kavallerie
von Bernhard: die Auffassung, daß die Kavallerie aus Gründen der Ausbildung
für ihre Gesamtausgaben im Frieden zweckmäßiger im Korpsverbande steht.
Die vier Kavallerieinspektionen (Posen, Stettin, Straßburg i. E. und Saar¬
brücken) können als Grundstock von Kavalleriedivisionen gelten, die im Mobil¬
machungsfalle zu formieren sind. Nur fehlt ihnen ein wichtiges Organ, der General¬
stab. Ihnen diese Ergänzung schon im Frieden zu geben, erscheint dringlicher
als die Errichtung einer siebenten Armeeinspektion. Übrigens noch eins: wir
haben bereits eine Kavalleriedivision im Frieden, nämlich beim Gardekorps. Es steht
nicht im Einklang mit den bei Ausbruch eines Krieges für die Heereskavallerie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/54>, abgerufen am 26.06.2024.