Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspicgel

ländischen Wehrmacht, zu einem Gegenstand bitterer und zersetzender Kämpfe.
Man ist in den sogenannten leitenden.Kreisen, die in Politik und Leben den
Ton angeben, nur allzu weit entfernt von dem Gedanken, daß Führen nicht
gleichbedeutend ist mit Kommandierer. Man hat sich in jenen Kreisen trotz
aller Mahnungen ernster und besonnener Männer, trotz aller bedenklichen Zeichen
der Zeit bis heute noch nicht zu der Erkenntnis durchgerungen, daß man Opfer
nur auf Grund tiefwurzelnden Vertrauens erlangen kann. Und Opfer bedeutet
nun einmal unsere Kriegsrüstung. Das leugnen zu wollen, ist stunlos. Wie
soll aber das "Volk" selbstlose Opferwilligkeit besitzen, wenn ihm die nach
Bildung und Besitz zur Führerschaft Berufenen so vielfache Beweise eigener
"Drückebergerei" vor Opfern liefern, die ihnen aus nationaler und sozialer Pflicht
zufallen?

Um Vertrauen zu erzeugen, bedarf es des ragenden Beispiels. Erst
dann kann wirksam werden, was weiterhin bei uns fehlt: die sachliche Be¬
lehrung. Gerade inbezug auf Heeresfragen ist diese von einer nicht zu
unterschätzenden Bedeutung. Der um die Jahresweude erschienene Aufruf des
Deutschen Wehrvereins hat in durchaus zutreffender Weise darauf hingewiesen,
"daß gerade in Deutschland selbst in Kreisen, wo man das für unmöglich halten
sollte, eine erstaunliche Unkenntnis über eigene sowie fremde Wehrangelegenheiten
besteht, die Parlamentskreise nicht ausgenommen." Diese Feststellung muß logischer¬
weise zu der Forderung weitumfassender Aufklärung aller Kreise des Volkes über
Wehrangelegenheiten führen, nämlich über Zweck und Grundlagen des Heeres, über
seine Notwendigkeit im Interesse der Gesamtheit wie jedes einzelnen, über die
Bedingungen des Heerwesens zur Erreichung seiner Aufgaben als Organ der
Staatsmacht, schließlich über seine Beziehungen zum Dasein des gesamten Volkes, in
kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Erst wenn diese Grundlage
durch eine "staatsbürgerliche Heereskunde" gelegt ist, kann Erfolg erwartet
werden von Bestrebungen, wie sie der Deutsche Wehrverein verfolgt. Daß
jene Grundlage heute fehlt, wird kaum von irgend einer Seite bestritten werden.
Die Ursache liegt darin, daß die Schule in dieser Hinsicht bisher völlig passiv
geblieben ist und daß, abgesehen von den Unwürdigen, Untauglichen und aus
sozialen Gründen Befreiten, auch von den Tauglichen ungefähr ein Drittel
nicht zur Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht herangezogen wird und infolge¬
dessen gar kein persönliches Interesse an den Wehrangelegenheiten nimmt.
Wem aber nicht durch staatsbürgerliche Heereskunde das Verständnis sür
Wesen, Zweck und Notwendigkeit einer starken Wehrmacht zu Lande grund¬
legend zu eigen geworden ist, den wird man kaum überzeugen können von "der
zwingenden Notwendigkeit, den Ausbau unseres Heeres nach verschiedenen
Richtungen hin zu beschleunigen, seine innere Tüchtigkeit zu heben und seine
Kriegsbrauchbarkeit auf einen möglichst hohen Stand 'zu bringen".

Die mangelnde staatsbürgerliche Bildung und Erziehung unseres Volkes
hat auf politischen: Gebiete dazu geführt, daß sich Millionen heute ein ganz


Grenzboten II 1912 ö
Reichsspicgel

ländischen Wehrmacht, zu einem Gegenstand bitterer und zersetzender Kämpfe.
Man ist in den sogenannten leitenden.Kreisen, die in Politik und Leben den
Ton angeben, nur allzu weit entfernt von dem Gedanken, daß Führen nicht
gleichbedeutend ist mit Kommandierer. Man hat sich in jenen Kreisen trotz
aller Mahnungen ernster und besonnener Männer, trotz aller bedenklichen Zeichen
der Zeit bis heute noch nicht zu der Erkenntnis durchgerungen, daß man Opfer
nur auf Grund tiefwurzelnden Vertrauens erlangen kann. Und Opfer bedeutet
nun einmal unsere Kriegsrüstung. Das leugnen zu wollen, ist stunlos. Wie
soll aber das „Volk" selbstlose Opferwilligkeit besitzen, wenn ihm die nach
Bildung und Besitz zur Führerschaft Berufenen so vielfache Beweise eigener
„Drückebergerei" vor Opfern liefern, die ihnen aus nationaler und sozialer Pflicht
zufallen?

Um Vertrauen zu erzeugen, bedarf es des ragenden Beispiels. Erst
dann kann wirksam werden, was weiterhin bei uns fehlt: die sachliche Be¬
lehrung. Gerade inbezug auf Heeresfragen ist diese von einer nicht zu
unterschätzenden Bedeutung. Der um die Jahresweude erschienene Aufruf des
Deutschen Wehrvereins hat in durchaus zutreffender Weise darauf hingewiesen,
„daß gerade in Deutschland selbst in Kreisen, wo man das für unmöglich halten
sollte, eine erstaunliche Unkenntnis über eigene sowie fremde Wehrangelegenheiten
besteht, die Parlamentskreise nicht ausgenommen." Diese Feststellung muß logischer¬
weise zu der Forderung weitumfassender Aufklärung aller Kreise des Volkes über
Wehrangelegenheiten führen, nämlich über Zweck und Grundlagen des Heeres, über
seine Notwendigkeit im Interesse der Gesamtheit wie jedes einzelnen, über die
Bedingungen des Heerwesens zur Erreichung seiner Aufgaben als Organ der
Staatsmacht, schließlich über seine Beziehungen zum Dasein des gesamten Volkes, in
kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Erst wenn diese Grundlage
durch eine „staatsbürgerliche Heereskunde" gelegt ist, kann Erfolg erwartet
werden von Bestrebungen, wie sie der Deutsche Wehrverein verfolgt. Daß
jene Grundlage heute fehlt, wird kaum von irgend einer Seite bestritten werden.
Die Ursache liegt darin, daß die Schule in dieser Hinsicht bisher völlig passiv
geblieben ist und daß, abgesehen von den Unwürdigen, Untauglichen und aus
sozialen Gründen Befreiten, auch von den Tauglichen ungefähr ein Drittel
nicht zur Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht herangezogen wird und infolge¬
dessen gar kein persönliches Interesse an den Wehrangelegenheiten nimmt.
Wem aber nicht durch staatsbürgerliche Heereskunde das Verständnis sür
Wesen, Zweck und Notwendigkeit einer starken Wehrmacht zu Lande grund¬
legend zu eigen geworden ist, den wird man kaum überzeugen können von „der
zwingenden Notwendigkeit, den Ausbau unseres Heeres nach verschiedenen
Richtungen hin zu beschleunigen, seine innere Tüchtigkeit zu heben und seine
Kriegsbrauchbarkeit auf einen möglichst hohen Stand 'zu bringen".

Die mangelnde staatsbürgerliche Bildung und Erziehung unseres Volkes
hat auf politischen: Gebiete dazu geführt, daß sich Millionen heute ein ganz


Grenzboten II 1912 ö
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321136"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspicgel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_147" prev="#ID_146"> ländischen Wehrmacht, zu einem Gegenstand bitterer und zersetzender Kämpfe.<lb/>
Man ist in den sogenannten leitenden.Kreisen, die in Politik und Leben den<lb/>
Ton angeben, nur allzu weit entfernt von dem Gedanken, daß Führen nicht<lb/>
gleichbedeutend ist mit Kommandierer. Man hat sich in jenen Kreisen trotz<lb/>
aller Mahnungen ernster und besonnener Männer, trotz aller bedenklichen Zeichen<lb/>
der Zeit bis heute noch nicht zu der Erkenntnis durchgerungen, daß man Opfer<lb/>
nur auf Grund tiefwurzelnden Vertrauens erlangen kann. Und Opfer bedeutet<lb/>
nun einmal unsere Kriegsrüstung. Das leugnen zu wollen, ist stunlos. Wie<lb/>
soll aber das &#x201E;Volk" selbstlose Opferwilligkeit besitzen, wenn ihm die nach<lb/>
Bildung und Besitz zur Führerschaft Berufenen so vielfache Beweise eigener<lb/>
&#x201E;Drückebergerei" vor Opfern liefern, die ihnen aus nationaler und sozialer Pflicht<lb/>
zufallen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_148"> Um Vertrauen zu erzeugen, bedarf es des ragenden Beispiels. Erst<lb/>
dann kann wirksam werden, was weiterhin bei uns fehlt: die sachliche Be¬<lb/>
lehrung. Gerade inbezug auf Heeresfragen ist diese von einer nicht zu<lb/>
unterschätzenden Bedeutung. Der um die Jahresweude erschienene Aufruf des<lb/>
Deutschen Wehrvereins hat in durchaus zutreffender Weise darauf hingewiesen,<lb/>
&#x201E;daß gerade in Deutschland selbst in Kreisen, wo man das für unmöglich halten<lb/>
sollte, eine erstaunliche Unkenntnis über eigene sowie fremde Wehrangelegenheiten<lb/>
besteht, die Parlamentskreise nicht ausgenommen." Diese Feststellung muß logischer¬<lb/>
weise zu der Forderung weitumfassender Aufklärung aller Kreise des Volkes über<lb/>
Wehrangelegenheiten führen, nämlich über Zweck und Grundlagen des Heeres, über<lb/>
seine Notwendigkeit im Interesse der Gesamtheit wie jedes einzelnen, über die<lb/>
Bedingungen des Heerwesens zur Erreichung seiner Aufgaben als Organ der<lb/>
Staatsmacht, schließlich über seine Beziehungen zum Dasein des gesamten Volkes, in<lb/>
kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Erst wenn diese Grundlage<lb/>
durch eine &#x201E;staatsbürgerliche Heereskunde" gelegt ist, kann Erfolg erwartet<lb/>
werden von Bestrebungen, wie sie der Deutsche Wehrverein verfolgt. Daß<lb/>
jene Grundlage heute fehlt, wird kaum von irgend einer Seite bestritten werden.<lb/>
Die Ursache liegt darin, daß die Schule in dieser Hinsicht bisher völlig passiv<lb/>
geblieben ist und daß, abgesehen von den Unwürdigen, Untauglichen und aus<lb/>
sozialen Gründen Befreiten, auch von den Tauglichen ungefähr ein Drittel<lb/>
nicht zur Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht herangezogen wird und infolge¬<lb/>
dessen gar kein persönliches Interesse an den Wehrangelegenheiten nimmt.<lb/>
Wem aber nicht durch staatsbürgerliche Heereskunde das Verständnis sür<lb/>
Wesen, Zweck und Notwendigkeit einer starken Wehrmacht zu Lande grund¬<lb/>
legend zu eigen geworden ist, den wird man kaum überzeugen können von &#x201E;der<lb/>
zwingenden Notwendigkeit, den Ausbau unseres Heeres nach verschiedenen<lb/>
Richtungen hin zu beschleunigen, seine innere Tüchtigkeit zu heben und seine<lb/>
Kriegsbrauchbarkeit auf einen möglichst hohen Stand 'zu bringen".</p><lb/>
            <p xml:id="ID_149" next="#ID_150"> Die mangelnde staatsbürgerliche Bildung und Erziehung unseres Volkes<lb/>
hat auf politischen: Gebiete dazu geführt, daß sich Millionen heute ein ganz</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1912 ö</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0053] Reichsspicgel ländischen Wehrmacht, zu einem Gegenstand bitterer und zersetzender Kämpfe. Man ist in den sogenannten leitenden.Kreisen, die in Politik und Leben den Ton angeben, nur allzu weit entfernt von dem Gedanken, daß Führen nicht gleichbedeutend ist mit Kommandierer. Man hat sich in jenen Kreisen trotz aller Mahnungen ernster und besonnener Männer, trotz aller bedenklichen Zeichen der Zeit bis heute noch nicht zu der Erkenntnis durchgerungen, daß man Opfer nur auf Grund tiefwurzelnden Vertrauens erlangen kann. Und Opfer bedeutet nun einmal unsere Kriegsrüstung. Das leugnen zu wollen, ist stunlos. Wie soll aber das „Volk" selbstlose Opferwilligkeit besitzen, wenn ihm die nach Bildung und Besitz zur Führerschaft Berufenen so vielfache Beweise eigener „Drückebergerei" vor Opfern liefern, die ihnen aus nationaler und sozialer Pflicht zufallen? Um Vertrauen zu erzeugen, bedarf es des ragenden Beispiels. Erst dann kann wirksam werden, was weiterhin bei uns fehlt: die sachliche Be¬ lehrung. Gerade inbezug auf Heeresfragen ist diese von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung. Der um die Jahresweude erschienene Aufruf des Deutschen Wehrvereins hat in durchaus zutreffender Weise darauf hingewiesen, „daß gerade in Deutschland selbst in Kreisen, wo man das für unmöglich halten sollte, eine erstaunliche Unkenntnis über eigene sowie fremde Wehrangelegenheiten besteht, die Parlamentskreise nicht ausgenommen." Diese Feststellung muß logischer¬ weise zu der Forderung weitumfassender Aufklärung aller Kreise des Volkes über Wehrangelegenheiten führen, nämlich über Zweck und Grundlagen des Heeres, über seine Notwendigkeit im Interesse der Gesamtheit wie jedes einzelnen, über die Bedingungen des Heerwesens zur Erreichung seiner Aufgaben als Organ der Staatsmacht, schließlich über seine Beziehungen zum Dasein des gesamten Volkes, in kultureller, sozialer und ökonomischer Hinsicht. Erst wenn diese Grundlage durch eine „staatsbürgerliche Heereskunde" gelegt ist, kann Erfolg erwartet werden von Bestrebungen, wie sie der Deutsche Wehrverein verfolgt. Daß jene Grundlage heute fehlt, wird kaum von irgend einer Seite bestritten werden. Die Ursache liegt darin, daß die Schule in dieser Hinsicht bisher völlig passiv geblieben ist und daß, abgesehen von den Unwürdigen, Untauglichen und aus sozialen Gründen Befreiten, auch von den Tauglichen ungefähr ein Drittel nicht zur Ableistung der gesetzlichen Wehrpflicht herangezogen wird und infolge¬ dessen gar kein persönliches Interesse an den Wehrangelegenheiten nimmt. Wem aber nicht durch staatsbürgerliche Heereskunde das Verständnis sür Wesen, Zweck und Notwendigkeit einer starken Wehrmacht zu Lande grund¬ legend zu eigen geworden ist, den wird man kaum überzeugen können von „der zwingenden Notwendigkeit, den Ausbau unseres Heeres nach verschiedenen Richtungen hin zu beschleunigen, seine innere Tüchtigkeit zu heben und seine Kriegsbrauchbarkeit auf einen möglichst hohen Stand 'zu bringen". Die mangelnde staatsbürgerliche Bildung und Erziehung unseres Volkes hat auf politischen: Gebiete dazu geführt, daß sich Millionen heute ein ganz Grenzboten II 1912 ö

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/53
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/53>, abgerufen am 28.09.2024.