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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Türkische Richtlinien

Wir können es dem Kavallerieoffizier glauben, der aus einer albanischen Gar¬
nison mir schreibt, daß seine tapferen Dragoner vor Schmerz weinen, nicht Aug
in Aug dem Feind gegenüber treten zu dürfen.

Die militärische Rüstung der neuen Türkei ist es auch, die den Balkan¬
frieden verbürgt und sichert. Auch dieser Erfolg der deutschen Ausbildung wäre
unter dem alten Sultan unmöglich gewesen, der selbst die deutschen Reformer
an einer fruchtbaren Arbeit gehindert hat. Der bulgarische Zar und der serbische
König haben sich in Konstantinopel mit eigenen Augen davon überzeugen können,
was die junge Türkei in drei Jahren vorangeschafft hat; und dem König von
Montenegro wäre eine gleiche äemon8tlÄtic> ack van>08 zu wünschen. Die
türkische Armee ist heute allen vier Balkannebenbuhlern, Bulgarien und Serbien,
Montenegro und Griechenland, zusammen quantitativ und qualitativ überlegen").
Die Türkei hat heute das durch nachbarliche Propaganda immer wieder durch¬
wühlte "Mazedonien" durch die neue Militürorganisation sich gesichert; sie hat
auch ein ethnisches und kulturelles Recht darauf. Gegenüber all den vielerlei
Märchen des antitürkischen Balkankomitees sei in diesem Zusammenhang nur an
die Feststellung erinnert, die selbst ein bulgarischer Abgeordneter, der Christ
Pantschedoreff von Monastir, im türkischen Parlament vorgetragen hat: er rechnete
sür Mazedonien 30 Prozent Bulgaren, 23 Prozent Griechen und 47 Prozent
Mohammedaner und schloß: "Mazedonien gehört also weder den Bulgaren,
noch den Griechen, sondern den Osmanen, vor allem den Türken." Auch die
"albanische Frage" wird in Europa in ihrer politischen Bedeutung überschätzt:
auch für das hinterwäldlerische Albanien mit seinem Brigantaggio ist die türkische
Politik -- so wie die Dinge liegen -- der Zivilisation bringende und Kultur
schaffende Faktor. Der Einwand, daß Albanien "vertürkt" würde und dies nicht
ertragen könnte, gleicht etwa dem Vorwurf, daß Deutschlands Politik im alten
Polen, in der neuen Ostmark "verpreuszend" wirke. Dieses Beispiel ist geeignet,
Licht und Schatten gerecht zu verteilen. Die türkische Hegemonie innerhalb
der Türkei läßt sich auch allen anderen Nationalitäten, sowie allen möglichen
Gruppierungen gegenüber numerisch wie dynamisch nachweisen und begründen.

Solcher militärischen und administrativen Zusammenschließung der türkischen
Gebiete dienen auch die neuen Bahnbauten, an erster Stelle in Kleinasien.
"Die Bagdadbahn ist das Rückgrat der Türkei" -- so sagte mir einmal der
Kriegsminister gleichwie der Finanzminister. Die Bagdadbahn stützt gerade den
Rücken des türkischen Reiches, entlang der türkisch-arabischen Sprachscheide, und
sie wird, wenn sie in Aleppo in die Hedschasbahn übergeht, den ehedem
"kranken Mann" auch auf zwei tragfähige Beine stellen, daß er wachsen und
sich wehren kann. An fünf Stellen zugleich baut jungtürkische Energie und
Weitsicht zurzeit an der Bagdadbahn nach deutschen Plänen und mit deutschen
Ingenieuren, und in vier bis fünf Jahren sollen Konstantinopel und Bagdad



*) Vgl. die genauen Ziffern und Nachweise in meinem Buch: "Im türkischen Kriegs¬
lager durch Albanien." Verlag E, Salzer in Heilbronn.
Türkische Richtlinien

Wir können es dem Kavallerieoffizier glauben, der aus einer albanischen Gar¬
nison mir schreibt, daß seine tapferen Dragoner vor Schmerz weinen, nicht Aug
in Aug dem Feind gegenüber treten zu dürfen.

Die militärische Rüstung der neuen Türkei ist es auch, die den Balkan¬
frieden verbürgt und sichert. Auch dieser Erfolg der deutschen Ausbildung wäre
unter dem alten Sultan unmöglich gewesen, der selbst die deutschen Reformer
an einer fruchtbaren Arbeit gehindert hat. Der bulgarische Zar und der serbische
König haben sich in Konstantinopel mit eigenen Augen davon überzeugen können,
was die junge Türkei in drei Jahren vorangeschafft hat; und dem König von
Montenegro wäre eine gleiche äemon8tlÄtic> ack van>08 zu wünschen. Die
türkische Armee ist heute allen vier Balkannebenbuhlern, Bulgarien und Serbien,
Montenegro und Griechenland, zusammen quantitativ und qualitativ überlegen").
Die Türkei hat heute das durch nachbarliche Propaganda immer wieder durch¬
wühlte „Mazedonien" durch die neue Militürorganisation sich gesichert; sie hat
auch ein ethnisches und kulturelles Recht darauf. Gegenüber all den vielerlei
Märchen des antitürkischen Balkankomitees sei in diesem Zusammenhang nur an
die Feststellung erinnert, die selbst ein bulgarischer Abgeordneter, der Christ
Pantschedoreff von Monastir, im türkischen Parlament vorgetragen hat: er rechnete
sür Mazedonien 30 Prozent Bulgaren, 23 Prozent Griechen und 47 Prozent
Mohammedaner und schloß: „Mazedonien gehört also weder den Bulgaren,
noch den Griechen, sondern den Osmanen, vor allem den Türken." Auch die
„albanische Frage" wird in Europa in ihrer politischen Bedeutung überschätzt:
auch für das hinterwäldlerische Albanien mit seinem Brigantaggio ist die türkische
Politik — so wie die Dinge liegen — der Zivilisation bringende und Kultur
schaffende Faktor. Der Einwand, daß Albanien „vertürkt" würde und dies nicht
ertragen könnte, gleicht etwa dem Vorwurf, daß Deutschlands Politik im alten
Polen, in der neuen Ostmark „verpreuszend" wirke. Dieses Beispiel ist geeignet,
Licht und Schatten gerecht zu verteilen. Die türkische Hegemonie innerhalb
der Türkei läßt sich auch allen anderen Nationalitäten, sowie allen möglichen
Gruppierungen gegenüber numerisch wie dynamisch nachweisen und begründen.

Solcher militärischen und administrativen Zusammenschließung der türkischen
Gebiete dienen auch die neuen Bahnbauten, an erster Stelle in Kleinasien.
„Die Bagdadbahn ist das Rückgrat der Türkei" — so sagte mir einmal der
Kriegsminister gleichwie der Finanzminister. Die Bagdadbahn stützt gerade den
Rücken des türkischen Reiches, entlang der türkisch-arabischen Sprachscheide, und
sie wird, wenn sie in Aleppo in die Hedschasbahn übergeht, den ehedem
„kranken Mann" auch auf zwei tragfähige Beine stellen, daß er wachsen und
sich wehren kann. An fünf Stellen zugleich baut jungtürkische Energie und
Weitsicht zurzeit an der Bagdadbahn nach deutschen Plänen und mit deutschen
Ingenieuren, und in vier bis fünf Jahren sollen Konstantinopel und Bagdad



*) Vgl. die genauen Ziffern und Nachweise in meinem Buch: „Im türkischen Kriegs¬
lager durch Albanien." Verlag E, Salzer in Heilbronn.
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[0516] Türkische Richtlinien Wir können es dem Kavallerieoffizier glauben, der aus einer albanischen Gar¬ nison mir schreibt, daß seine tapferen Dragoner vor Schmerz weinen, nicht Aug in Aug dem Feind gegenüber treten zu dürfen. Die militärische Rüstung der neuen Türkei ist es auch, die den Balkan¬ frieden verbürgt und sichert. Auch dieser Erfolg der deutschen Ausbildung wäre unter dem alten Sultan unmöglich gewesen, der selbst die deutschen Reformer an einer fruchtbaren Arbeit gehindert hat. Der bulgarische Zar und der serbische König haben sich in Konstantinopel mit eigenen Augen davon überzeugen können, was die junge Türkei in drei Jahren vorangeschafft hat; und dem König von Montenegro wäre eine gleiche äemon8tlÄtic> ack van>08 zu wünschen. Die türkische Armee ist heute allen vier Balkannebenbuhlern, Bulgarien und Serbien, Montenegro und Griechenland, zusammen quantitativ und qualitativ überlegen"). Die Türkei hat heute das durch nachbarliche Propaganda immer wieder durch¬ wühlte „Mazedonien" durch die neue Militürorganisation sich gesichert; sie hat auch ein ethnisches und kulturelles Recht darauf. Gegenüber all den vielerlei Märchen des antitürkischen Balkankomitees sei in diesem Zusammenhang nur an die Feststellung erinnert, die selbst ein bulgarischer Abgeordneter, der Christ Pantschedoreff von Monastir, im türkischen Parlament vorgetragen hat: er rechnete sür Mazedonien 30 Prozent Bulgaren, 23 Prozent Griechen und 47 Prozent Mohammedaner und schloß: „Mazedonien gehört also weder den Bulgaren, noch den Griechen, sondern den Osmanen, vor allem den Türken." Auch die „albanische Frage" wird in Europa in ihrer politischen Bedeutung überschätzt: auch für das hinterwäldlerische Albanien mit seinem Brigantaggio ist die türkische Politik — so wie die Dinge liegen — der Zivilisation bringende und Kultur schaffende Faktor. Der Einwand, daß Albanien „vertürkt" würde und dies nicht ertragen könnte, gleicht etwa dem Vorwurf, daß Deutschlands Politik im alten Polen, in der neuen Ostmark „verpreuszend" wirke. Dieses Beispiel ist geeignet, Licht und Schatten gerecht zu verteilen. Die türkische Hegemonie innerhalb der Türkei läßt sich auch allen anderen Nationalitäten, sowie allen möglichen Gruppierungen gegenüber numerisch wie dynamisch nachweisen und begründen. Solcher militärischen und administrativen Zusammenschließung der türkischen Gebiete dienen auch die neuen Bahnbauten, an erster Stelle in Kleinasien. „Die Bagdadbahn ist das Rückgrat der Türkei" — so sagte mir einmal der Kriegsminister gleichwie der Finanzminister. Die Bagdadbahn stützt gerade den Rücken des türkischen Reiches, entlang der türkisch-arabischen Sprachscheide, und sie wird, wenn sie in Aleppo in die Hedschasbahn übergeht, den ehedem „kranken Mann" auch auf zwei tragfähige Beine stellen, daß er wachsen und sich wehren kann. An fünf Stellen zugleich baut jungtürkische Energie und Weitsicht zurzeit an der Bagdadbahn nach deutschen Plänen und mit deutschen Ingenieuren, und in vier bis fünf Jahren sollen Konstantinopel und Bagdad *) Vgl. die genauen Ziffern und Nachweise in meinem Buch: „Im türkischen Kriegs¬ lager durch Albanien." Verlag E, Salzer in Heilbronn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/516>, abgerufen am 25.08.2024.