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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Über die Ziele der Bayerischen Gelverbeschau

sind, welche in einem möglichst häufigen Wechsel der Mode ihren Vorteil zu
finden glauben. Die Ängstlichkeit und Unsicherheit in Geschmacksfragen ist es,
die den Geschmack des laufenden Publikums zum Richter erhebt, das in Wirk¬
lichkeit recht froh wäre, wenn es geführt würde, freilich aber von einem Führer,
der nicht selber unsicher auf Irrwegen herumsucht. So lange aber ein großer
Teil der Industrie auf dem Standpunkt steht, daß mit jeder neuen "Saison"
auch andere Formen, andere Farben, kurz das, was die letzte Mode fordert,
die Bezeichnung schön und geschmackvoll verdient, wird das Publikum nicht mit
Unrecht die Folgerung ziehen, daß einer, der alle Jahre einen anderen Geschmack
hat, überhaupt keinen eigenen Geschmack besitzt und also als sicherer Führer auf
schwierigem Gebiet nicht gelten kann. Ich bin überzeugt, es wäre nicht nur
unmöglich, sondern ganz falsch, alle diese Verhältnisse nun plötzlich umstürzen
und überall verbessern und reformieren zu wollen, aber möglich und zu wünschen
ist's, daß zunächst wenigstens neben dem bisher Gebotenen überall ganz gute,
gediegene, einfache, sachliche Arbeit geleistet werden möge und daß das Neue,
was eingeführt wird, zugleich auch immer eine Verbesserung bedeuten möge.
Allerdings wird da ein Glaubenssatz erst fallen müssen, der leider oft noch heilig
gehalten wird. Der heißt: "Die Kauflust des Publikums beweist, daß das
betreffende Ding geschmackvoll und gut ist." Das ist nicht richtig. Die
Kauflust beweist nur, daß das Ding verkäuflich ist, sonst gar nichts. Wollte
jemand vor einer zufällig zusammengeströmten Menge ein Kapitel aus
Wilhelm Meister und dann ein Kapitel etwa aus Buchholzens Reisen oder
einem ähnlichen "humorvollen" Erzeugnis vorlesen und dann aus dem größeren
Beifall, den sicherlich das zweite finden würde, den Schluß ziehen: "Das
ist also das bessere und wertvollere Werk", der würde denselben Fehler
machen, wie der Kaufmann, der mit dem Hinweis auf die Kauflust beweisen
will, daß diese Ware geschmackvoll und gut ist. Eine Schwierigkeit, eine
große Schwierigkeit bleibt, sie muß auch und soll auch bleiben. Die letzte
Entscheidung, ob der Vorschlag zur Ausführung bestimmt oder abgeändert, ob
er ganz abgelehnt werden soll, muß der Fabrikant haben, also mit anderen
Worten, er muß auch über Geschmacksfragen entscheiden, obwohl er den An¬
forderungen, die damit an ihn gestellt werden, meist nicht gewachsen sein kann.
Dieser Schwierigkeit wird aber nur wirksam begegnet werden können, wenn der
Unternehmer in diesem Fall sich des Rates eines auf diesem Gebiet Erfahrenen
richtig zu bedienen weiß und damit die Lücke in seinen Kenntnissen zu schließen
versteht. Er muß, will er das erreichen, anerkennen, daß der Künstler, an den
er sich wendet, ihm auf diesem Gebiet überlegen ist. Ist er's nicht, so hat er
sich eben nicht an den Rechten gewendet. Einer, der praktische und technische
Anforderungen als unwesentlich beiseite schieben will, ist zum Beispiel gewiß
nicht der Rechte. Darin liegt nun wieder eine neue große Schwierigkeit. Wie
soll's dem Fabrikanten gelingen, sich die rechten Mitarbeiter zu gewinnen?
Wir kommen damit zu einem recht unerfreulichen Kapitel.


Über die Ziele der Bayerischen Gelverbeschau

sind, welche in einem möglichst häufigen Wechsel der Mode ihren Vorteil zu
finden glauben. Die Ängstlichkeit und Unsicherheit in Geschmacksfragen ist es,
die den Geschmack des laufenden Publikums zum Richter erhebt, das in Wirk¬
lichkeit recht froh wäre, wenn es geführt würde, freilich aber von einem Führer,
der nicht selber unsicher auf Irrwegen herumsucht. So lange aber ein großer
Teil der Industrie auf dem Standpunkt steht, daß mit jeder neuen „Saison"
auch andere Formen, andere Farben, kurz das, was die letzte Mode fordert,
die Bezeichnung schön und geschmackvoll verdient, wird das Publikum nicht mit
Unrecht die Folgerung ziehen, daß einer, der alle Jahre einen anderen Geschmack
hat, überhaupt keinen eigenen Geschmack besitzt und also als sicherer Führer auf
schwierigem Gebiet nicht gelten kann. Ich bin überzeugt, es wäre nicht nur
unmöglich, sondern ganz falsch, alle diese Verhältnisse nun plötzlich umstürzen
und überall verbessern und reformieren zu wollen, aber möglich und zu wünschen
ist's, daß zunächst wenigstens neben dem bisher Gebotenen überall ganz gute,
gediegene, einfache, sachliche Arbeit geleistet werden möge und daß das Neue,
was eingeführt wird, zugleich auch immer eine Verbesserung bedeuten möge.
Allerdings wird da ein Glaubenssatz erst fallen müssen, der leider oft noch heilig
gehalten wird. Der heißt: „Die Kauflust des Publikums beweist, daß das
betreffende Ding geschmackvoll und gut ist." Das ist nicht richtig. Die
Kauflust beweist nur, daß das Ding verkäuflich ist, sonst gar nichts. Wollte
jemand vor einer zufällig zusammengeströmten Menge ein Kapitel aus
Wilhelm Meister und dann ein Kapitel etwa aus Buchholzens Reisen oder
einem ähnlichen „humorvollen" Erzeugnis vorlesen und dann aus dem größeren
Beifall, den sicherlich das zweite finden würde, den Schluß ziehen: „Das
ist also das bessere und wertvollere Werk", der würde denselben Fehler
machen, wie der Kaufmann, der mit dem Hinweis auf die Kauflust beweisen
will, daß diese Ware geschmackvoll und gut ist. Eine Schwierigkeit, eine
große Schwierigkeit bleibt, sie muß auch und soll auch bleiben. Die letzte
Entscheidung, ob der Vorschlag zur Ausführung bestimmt oder abgeändert, ob
er ganz abgelehnt werden soll, muß der Fabrikant haben, also mit anderen
Worten, er muß auch über Geschmacksfragen entscheiden, obwohl er den An¬
forderungen, die damit an ihn gestellt werden, meist nicht gewachsen sein kann.
Dieser Schwierigkeit wird aber nur wirksam begegnet werden können, wenn der
Unternehmer in diesem Fall sich des Rates eines auf diesem Gebiet Erfahrenen
richtig zu bedienen weiß und damit die Lücke in seinen Kenntnissen zu schließen
versteht. Er muß, will er das erreichen, anerkennen, daß der Künstler, an den
er sich wendet, ihm auf diesem Gebiet überlegen ist. Ist er's nicht, so hat er
sich eben nicht an den Rechten gewendet. Einer, der praktische und technische
Anforderungen als unwesentlich beiseite schieben will, ist zum Beispiel gewiß
nicht der Rechte. Darin liegt nun wieder eine neue große Schwierigkeit. Wie
soll's dem Fabrikanten gelingen, sich die rechten Mitarbeiter zu gewinnen?
Wir kommen damit zu einem recht unerfreulichen Kapitel.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/479>, abgerufen am 26.06.2024.