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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Über die Ziele der Bayerischen Gewerbeschcm

Zu diesen allgemeinen Anschauungen, die das Gedeihen vornehmer, edler
Arbeit erschweren, kommt aber noch eine Reihe besonderer Anschauungen, die
in den Kreisen der Industrie selbst herrschen. Ist es nicht eigentlich eine selbst¬
verständliche Forderung, die jeder an sich stellen muß, der überhaupt in den
eigenen Augen und in den Augen anderer als anständig gelten will: Überall
auch nur anständige Arbeit zu leisten? Und ist das nun wirklich in der Industrie
überall eine Selbstverständlichkeit? Es sollten im Fabrikbureau nicht andere
Grundsätze gelten als in der Gesellschaft oder in der Familie. Ich glaube mich
nicht zu täuschen: Mancher Fabrikherr, der unbedenklich in seiner Fabrik Erzeug¬
nisse herstellt, von denen er sich eingestehen muß: "Wer das Zeug kauft, geht
ein dabei," würde die Zumutung mit Entrüstung von sich weisen, in seiner
Familie ein auf Täuschung berechnetes Wort zu sprechen. Es ist einer kein
naiver, schlechter Geschäftsmann, wenn er mit Schundproduktion Geld nicht
verdienen mag. Aber freilich heute gilt er nur zu oft noch dafür. Die Schuld
wird dann dabei auf das Publikum geschoben, vielfach nicht mit Recht. Das
Publikum will gut, wirklich vorteilhaft einkaufen. Aber allerdings ist es voll¬
ständig irre gemacht durch eine schlechte Industrie, die mit ihrer Ware darauf
hinzielt,^ scheinbar mehr zu bieten, als sür den Preis hergestellt werden kann.
Welche ungeheure Materialwerte werden nicht in der Industrie verarbeitet, und
welche unverantwortliche, durch keinen vernünftigen Grund zu rechtfertigende
Vergeudung liegt in der Schundproduktion und in der unseligen Hetze nach
Nouveautös. Daß solche Worte nicht einfach auf Übertreibung beruhen, das
mag ein kleines Beispiel beweisen. Bei der Geschäftsstelle der Gewerbe¬
schau liegt ein Brief, in dem ein Fabrikant mitteilt: (-- es handelt
sich dabei nicht etwa um Waren, bei denen der Käufer von vornherein
auf Dauerhaftigkeit gar keinen Anspruch erhebt --) "Meine Sachen eignen
sich nicht sür Schauzwecke, da sie auf mehrere Monate Licht und Luft nicht
aushalten." Mit großen Kosten, großem Arbeitsaufwand entsteht eine Unmenge
von neuen Entwürfen, neuen Schablonen, Stanzen, Webkarten usw., nicht etwa
um etwas Schlechtes gegen Besseres auszutauschen, nein, nur um das Neue von
heute an die Stelle des Neuen von gestern zu setzen. Ist's nicht Wahnsinn?
Wie soll's da möglich sein, gute Arbeit zu leisten, sie weiter und weiter hinauf¬
zutreiben, mit Freude und mit Ernst um die Verbesserung sich zu mühen. Bei
vielen ist's ganz in Vergessenheit geraten, welcher Vorteil in solcher Arbeit liegen
würde, und daß, was heute wirklich gut ist, morgen nicht schlecht sein kann,
daß aber, was heute neu ist, morgen schon alt fein muß. Auch die Schuld
wird auf das Publikum geschoben. "Das Publikum verlangt's." Nein,
das ist nicht richtig, meistens nicht richtig. In der Unfähigkeit, Geschmackswerte,
die von Dauer sein werden, mit Sicherheit zu unterscheiden, liegt ein Grund
von entscheidender Wichtigkeit für diese Sucht nach Neuem und für diese Unter¬
ordnung unter die angeblichen Anforderungen des Publikums, die in den meisten
Fällen nur Anforderungen von bildungs- und geschmacklosen Zwischenhändlern


Über die Ziele der Bayerischen Gewerbeschcm

Zu diesen allgemeinen Anschauungen, die das Gedeihen vornehmer, edler
Arbeit erschweren, kommt aber noch eine Reihe besonderer Anschauungen, die
in den Kreisen der Industrie selbst herrschen. Ist es nicht eigentlich eine selbst¬
verständliche Forderung, die jeder an sich stellen muß, der überhaupt in den
eigenen Augen und in den Augen anderer als anständig gelten will: Überall
auch nur anständige Arbeit zu leisten? Und ist das nun wirklich in der Industrie
überall eine Selbstverständlichkeit? Es sollten im Fabrikbureau nicht andere
Grundsätze gelten als in der Gesellschaft oder in der Familie. Ich glaube mich
nicht zu täuschen: Mancher Fabrikherr, der unbedenklich in seiner Fabrik Erzeug¬
nisse herstellt, von denen er sich eingestehen muß: „Wer das Zeug kauft, geht
ein dabei," würde die Zumutung mit Entrüstung von sich weisen, in seiner
Familie ein auf Täuschung berechnetes Wort zu sprechen. Es ist einer kein
naiver, schlechter Geschäftsmann, wenn er mit Schundproduktion Geld nicht
verdienen mag. Aber freilich heute gilt er nur zu oft noch dafür. Die Schuld
wird dann dabei auf das Publikum geschoben, vielfach nicht mit Recht. Das
Publikum will gut, wirklich vorteilhaft einkaufen. Aber allerdings ist es voll¬
ständig irre gemacht durch eine schlechte Industrie, die mit ihrer Ware darauf
hinzielt,^ scheinbar mehr zu bieten, als sür den Preis hergestellt werden kann.
Welche ungeheure Materialwerte werden nicht in der Industrie verarbeitet, und
welche unverantwortliche, durch keinen vernünftigen Grund zu rechtfertigende
Vergeudung liegt in der Schundproduktion und in der unseligen Hetze nach
Nouveautös. Daß solche Worte nicht einfach auf Übertreibung beruhen, das
mag ein kleines Beispiel beweisen. Bei der Geschäftsstelle der Gewerbe¬
schau liegt ein Brief, in dem ein Fabrikant mitteilt: (— es handelt
sich dabei nicht etwa um Waren, bei denen der Käufer von vornherein
auf Dauerhaftigkeit gar keinen Anspruch erhebt —) „Meine Sachen eignen
sich nicht sür Schauzwecke, da sie auf mehrere Monate Licht und Luft nicht
aushalten." Mit großen Kosten, großem Arbeitsaufwand entsteht eine Unmenge
von neuen Entwürfen, neuen Schablonen, Stanzen, Webkarten usw., nicht etwa
um etwas Schlechtes gegen Besseres auszutauschen, nein, nur um das Neue von
heute an die Stelle des Neuen von gestern zu setzen. Ist's nicht Wahnsinn?
Wie soll's da möglich sein, gute Arbeit zu leisten, sie weiter und weiter hinauf¬
zutreiben, mit Freude und mit Ernst um die Verbesserung sich zu mühen. Bei
vielen ist's ganz in Vergessenheit geraten, welcher Vorteil in solcher Arbeit liegen
würde, und daß, was heute wirklich gut ist, morgen nicht schlecht sein kann,
daß aber, was heute neu ist, morgen schon alt fein muß. Auch die Schuld
wird auf das Publikum geschoben. „Das Publikum verlangt's." Nein,
das ist nicht richtig, meistens nicht richtig. In der Unfähigkeit, Geschmackswerte,
die von Dauer sein werden, mit Sicherheit zu unterscheiden, liegt ein Grund
von entscheidender Wichtigkeit für diese Sucht nach Neuem und für diese Unter¬
ordnung unter die angeblichen Anforderungen des Publikums, die in den meisten
Fällen nur Anforderungen von bildungs- und geschmacklosen Zwischenhändlern


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[0478] Über die Ziele der Bayerischen Gewerbeschcm Zu diesen allgemeinen Anschauungen, die das Gedeihen vornehmer, edler Arbeit erschweren, kommt aber noch eine Reihe besonderer Anschauungen, die in den Kreisen der Industrie selbst herrschen. Ist es nicht eigentlich eine selbst¬ verständliche Forderung, die jeder an sich stellen muß, der überhaupt in den eigenen Augen und in den Augen anderer als anständig gelten will: Überall auch nur anständige Arbeit zu leisten? Und ist das nun wirklich in der Industrie überall eine Selbstverständlichkeit? Es sollten im Fabrikbureau nicht andere Grundsätze gelten als in der Gesellschaft oder in der Familie. Ich glaube mich nicht zu täuschen: Mancher Fabrikherr, der unbedenklich in seiner Fabrik Erzeug¬ nisse herstellt, von denen er sich eingestehen muß: „Wer das Zeug kauft, geht ein dabei," würde die Zumutung mit Entrüstung von sich weisen, in seiner Familie ein auf Täuschung berechnetes Wort zu sprechen. Es ist einer kein naiver, schlechter Geschäftsmann, wenn er mit Schundproduktion Geld nicht verdienen mag. Aber freilich heute gilt er nur zu oft noch dafür. Die Schuld wird dann dabei auf das Publikum geschoben, vielfach nicht mit Recht. Das Publikum will gut, wirklich vorteilhaft einkaufen. Aber allerdings ist es voll¬ ständig irre gemacht durch eine schlechte Industrie, die mit ihrer Ware darauf hinzielt,^ scheinbar mehr zu bieten, als sür den Preis hergestellt werden kann. Welche ungeheure Materialwerte werden nicht in der Industrie verarbeitet, und welche unverantwortliche, durch keinen vernünftigen Grund zu rechtfertigende Vergeudung liegt in der Schundproduktion und in der unseligen Hetze nach Nouveautös. Daß solche Worte nicht einfach auf Übertreibung beruhen, das mag ein kleines Beispiel beweisen. Bei der Geschäftsstelle der Gewerbe¬ schau liegt ein Brief, in dem ein Fabrikant mitteilt: (— es handelt sich dabei nicht etwa um Waren, bei denen der Käufer von vornherein auf Dauerhaftigkeit gar keinen Anspruch erhebt —) „Meine Sachen eignen sich nicht sür Schauzwecke, da sie auf mehrere Monate Licht und Luft nicht aushalten." Mit großen Kosten, großem Arbeitsaufwand entsteht eine Unmenge von neuen Entwürfen, neuen Schablonen, Stanzen, Webkarten usw., nicht etwa um etwas Schlechtes gegen Besseres auszutauschen, nein, nur um das Neue von heute an die Stelle des Neuen von gestern zu setzen. Ist's nicht Wahnsinn? Wie soll's da möglich sein, gute Arbeit zu leisten, sie weiter und weiter hinauf¬ zutreiben, mit Freude und mit Ernst um die Verbesserung sich zu mühen. Bei vielen ist's ganz in Vergessenheit geraten, welcher Vorteil in solcher Arbeit liegen würde, und daß, was heute wirklich gut ist, morgen nicht schlecht sein kann, daß aber, was heute neu ist, morgen schon alt fein muß. Auch die Schuld wird auf das Publikum geschoben. „Das Publikum verlangt's." Nein, das ist nicht richtig, meistens nicht richtig. In der Unfähigkeit, Geschmackswerte, die von Dauer sein werden, mit Sicherheit zu unterscheiden, liegt ein Grund von entscheidender Wichtigkeit für diese Sucht nach Neuem und für diese Unter¬ ordnung unter die angeblichen Anforderungen des Publikums, die in den meisten Fällen nur Anforderungen von bildungs- und geschmacklosen Zwischenhändlern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/478>, abgerufen am 26.06.2024.