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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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China, Rußland und Lnropa

sie für die Besitzer ganz bedeutende Einnahmequellen und für die Vereinigten
Staaten die Basis ihrer weltwirtschaftlichen Macht dar. Zieht man in Betrach
daß der Güteraustausch zwischen Rußland und China gegenwärtig nur deshalb
so geringfügig ist, weil die Verkehrsmittel zu primitiv geblieben, erinnert man
sich daran, daß jeder Kilometer Eisenbahn wenigstens hundert Bauernfamilien
neue Arbeits- und Siedlungsmöglichleiten, also auch neue Produktions- und
Konsumtionsmöglichkeiten eröffnet, so kann die Rentabilität der Strecke anch ohne
Angabe von Einzelzahlen nicht in Frage gestellt werden und somit ist auch die
Durchführbarkeit des Unternehmens, das beiläufig achthundert Millionen Rubel
kosten würde, als möglich erwiesen und wir können uns wieder den politischen
Konsequenzen des Planes zuwenden.




China, das heute nach einer Neugestaltung seiner Staatseinrichtungen
strebt und das zu seiner Modernisierung sich manches Pfropfreis aus Westeuropa
geholt hat, käme durch die ungeheure Steigerung des Personenverkehrs zwischen
Ost und West mit den führenden Geistern Europas in nähere Berührung, wo¬
durch ihm zweifellos eine große Beschleunigung seiner Reform ermöglicht würde.
Man denke allein an die neuen Möglichkeiten für die Führung mündlicher
Verhandlungen, die sich aus einer verkürzten Reisedauer ergeben. Wie heute
Amerikaner und Europäer regelmäßig den Atlantischen Ozean durchqueren, um
ihre Geschäfte hüben wie drüben abzuwickeln, so werden Westeuropäer und
Chinesen den verkürzten Weg durch die Mongolei gern benutzen, um in den
Handelszentren Westeuropas, Rußlands und Chinas mit den Geschäftsfreunden
persönlich Fühlung zu nehmen.

Der Einschluß Chinas in den Riesenweg der Weltwirtschaft, der von
Australien zu den britischen Inseln führt, muß aber auch Wirkungen rein welt¬
politischer Art nach sich ziehen, die wir heute vielleicht ahnen, die wir aber in
ihren letzten Konsequenzen nur spekulativ zu übersehen vermögen.

Schließlich aber dürfte der Bahnbau Moskau--Peking, sowohl für Nußland,
wie für die europäischen Weststaaten gewisse Folgen einer Eisenbahnpolitik
mildern, die sich in China durchsetzen muß. Die neue chinesische Regierung
wird, um die Staatsgewalt bis in die entlegensten Winkel des Reiches wirken
lassen zu können und um die Macht der Vizegouverneure und einzelner Fürsten
zu brechen, darauf angewiesen sein, gewaltige Magistralbahnen zu bauen, die
Peking und Harlan mit den einzelnen Provinzialhauptstädten verbinden. Diese
Magistralbahnen werden zum großen Teil durch hochkultivierte und dichtbevölkerte
Gegenden laufen, und sie durch Vermittlung der bisherigen von Europäern
gebauten Eisenbahnen mit dem Meere also auch mit dem Weltmarkt verbinden.
Diese in erster Linie als Einfalltore für den fremden Handel gedachten Bahnen,
werden dadurch zu Ausfallstraßen für die chinesischen Erzeugnisse. Es erscheint
uns selbstverständlich, daß diejenigen Nationen, die sich der Einfalltore bisher


China, Rußland und Lnropa

sie für die Besitzer ganz bedeutende Einnahmequellen und für die Vereinigten
Staaten die Basis ihrer weltwirtschaftlichen Macht dar. Zieht man in Betrach
daß der Güteraustausch zwischen Rußland und China gegenwärtig nur deshalb
so geringfügig ist, weil die Verkehrsmittel zu primitiv geblieben, erinnert man
sich daran, daß jeder Kilometer Eisenbahn wenigstens hundert Bauernfamilien
neue Arbeits- und Siedlungsmöglichleiten, also auch neue Produktions- und
Konsumtionsmöglichkeiten eröffnet, so kann die Rentabilität der Strecke anch ohne
Angabe von Einzelzahlen nicht in Frage gestellt werden und somit ist auch die
Durchführbarkeit des Unternehmens, das beiläufig achthundert Millionen Rubel
kosten würde, als möglich erwiesen und wir können uns wieder den politischen
Konsequenzen des Planes zuwenden.




China, das heute nach einer Neugestaltung seiner Staatseinrichtungen
strebt und das zu seiner Modernisierung sich manches Pfropfreis aus Westeuropa
geholt hat, käme durch die ungeheure Steigerung des Personenverkehrs zwischen
Ost und West mit den führenden Geistern Europas in nähere Berührung, wo¬
durch ihm zweifellos eine große Beschleunigung seiner Reform ermöglicht würde.
Man denke allein an die neuen Möglichkeiten für die Führung mündlicher
Verhandlungen, die sich aus einer verkürzten Reisedauer ergeben. Wie heute
Amerikaner und Europäer regelmäßig den Atlantischen Ozean durchqueren, um
ihre Geschäfte hüben wie drüben abzuwickeln, so werden Westeuropäer und
Chinesen den verkürzten Weg durch die Mongolei gern benutzen, um in den
Handelszentren Westeuropas, Rußlands und Chinas mit den Geschäftsfreunden
persönlich Fühlung zu nehmen.

Der Einschluß Chinas in den Riesenweg der Weltwirtschaft, der von
Australien zu den britischen Inseln führt, muß aber auch Wirkungen rein welt¬
politischer Art nach sich ziehen, die wir heute vielleicht ahnen, die wir aber in
ihren letzten Konsequenzen nur spekulativ zu übersehen vermögen.

Schließlich aber dürfte der Bahnbau Moskau—Peking, sowohl für Nußland,
wie für die europäischen Weststaaten gewisse Folgen einer Eisenbahnpolitik
mildern, die sich in China durchsetzen muß. Die neue chinesische Regierung
wird, um die Staatsgewalt bis in die entlegensten Winkel des Reiches wirken
lassen zu können und um die Macht der Vizegouverneure und einzelner Fürsten
zu brechen, darauf angewiesen sein, gewaltige Magistralbahnen zu bauen, die
Peking und Harlan mit den einzelnen Provinzialhauptstädten verbinden. Diese
Magistralbahnen werden zum großen Teil durch hochkultivierte und dichtbevölkerte
Gegenden laufen, und sie durch Vermittlung der bisherigen von Europäern
gebauten Eisenbahnen mit dem Meere also auch mit dem Weltmarkt verbinden.
Diese in erster Linie als Einfalltore für den fremden Handel gedachten Bahnen,
werden dadurch zu Ausfallstraßen für die chinesischen Erzeugnisse. Es erscheint
uns selbstverständlich, daß diejenigen Nationen, die sich der Einfalltore bisher


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[0474] China, Rußland und Lnropa sie für die Besitzer ganz bedeutende Einnahmequellen und für die Vereinigten Staaten die Basis ihrer weltwirtschaftlichen Macht dar. Zieht man in Betrach daß der Güteraustausch zwischen Rußland und China gegenwärtig nur deshalb so geringfügig ist, weil die Verkehrsmittel zu primitiv geblieben, erinnert man sich daran, daß jeder Kilometer Eisenbahn wenigstens hundert Bauernfamilien neue Arbeits- und Siedlungsmöglichleiten, also auch neue Produktions- und Konsumtionsmöglichkeiten eröffnet, so kann die Rentabilität der Strecke anch ohne Angabe von Einzelzahlen nicht in Frage gestellt werden und somit ist auch die Durchführbarkeit des Unternehmens, das beiläufig achthundert Millionen Rubel kosten würde, als möglich erwiesen und wir können uns wieder den politischen Konsequenzen des Planes zuwenden. China, das heute nach einer Neugestaltung seiner Staatseinrichtungen strebt und das zu seiner Modernisierung sich manches Pfropfreis aus Westeuropa geholt hat, käme durch die ungeheure Steigerung des Personenverkehrs zwischen Ost und West mit den führenden Geistern Europas in nähere Berührung, wo¬ durch ihm zweifellos eine große Beschleunigung seiner Reform ermöglicht würde. Man denke allein an die neuen Möglichkeiten für die Führung mündlicher Verhandlungen, die sich aus einer verkürzten Reisedauer ergeben. Wie heute Amerikaner und Europäer regelmäßig den Atlantischen Ozean durchqueren, um ihre Geschäfte hüben wie drüben abzuwickeln, so werden Westeuropäer und Chinesen den verkürzten Weg durch die Mongolei gern benutzen, um in den Handelszentren Westeuropas, Rußlands und Chinas mit den Geschäftsfreunden persönlich Fühlung zu nehmen. Der Einschluß Chinas in den Riesenweg der Weltwirtschaft, der von Australien zu den britischen Inseln führt, muß aber auch Wirkungen rein welt¬ politischer Art nach sich ziehen, die wir heute vielleicht ahnen, die wir aber in ihren letzten Konsequenzen nur spekulativ zu übersehen vermögen. Schließlich aber dürfte der Bahnbau Moskau—Peking, sowohl für Nußland, wie für die europäischen Weststaaten gewisse Folgen einer Eisenbahnpolitik mildern, die sich in China durchsetzen muß. Die neue chinesische Regierung wird, um die Staatsgewalt bis in die entlegensten Winkel des Reiches wirken lassen zu können und um die Macht der Vizegouverneure und einzelner Fürsten zu brechen, darauf angewiesen sein, gewaltige Magistralbahnen zu bauen, die Peking und Harlan mit den einzelnen Provinzialhauptstädten verbinden. Diese Magistralbahnen werden zum großen Teil durch hochkultivierte und dichtbevölkerte Gegenden laufen, und sie durch Vermittlung der bisherigen von Europäern gebauten Eisenbahnen mit dem Meere also auch mit dem Weltmarkt verbinden. Diese in erster Linie als Einfalltore für den fremden Handel gedachten Bahnen, werden dadurch zu Ausfallstraßen für die chinesischen Erzeugnisse. Es erscheint uns selbstverständlich, daß diejenigen Nationen, die sich der Einfalltore bisher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/474>, abgerufen am 26.06.2024.