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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Bank und Geld

Der Stcmtskommissar und die Berliner Börse -- Spekulation am Kassamarkt --
Ursachen der Kursschwankungen der Kassawerte -- Unterschied zwischen Kassahnndel
und Terminmarkt -- Die jüngsten Kurssteigerungen am Kassamnrkt -- Die wirt¬
schaftliche Rolle der Börsenspekulation

Der Staatskommissar an der Berliner Börse hat sich veranlaßt gesehen, in
einem Schreiben den Börsenvorstand auf die Ausschreitungen aufmerksam zu
machen, welche seiner Ansicht nach sich die Spekulation am Kassamarkt der
Industrie werte zu Schulden kommen läßt und der Erwägung anheimzugeben,
ob nicht durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine Abänderung der
jetzt üblichen Notierungsweise, diesen Mißständen abgeholfen werden könne. Dieser
Schritt des Staatskommissars ist ein durchaus ungewöhnlicher und hat mit Recht
das allergrößte Aufsehen hervorgerufen. Was gab den Anlaß zu solch auffälligen
Vorgehen? Herrschen wirklich an unserer Börse so anarchische Zustände, daß ein
Eingreifen von Aufsichtswegen erforderlich ist, um Ordnung zu schaffen und schwere
Schäden abzuwenden? Nichts von alledeml Den äußeren Anlaß zu dem Eingreifen
des Staatskommissars gab der Umstand, daß an der Berliner Börse seit einiger Zeit
eine besonders lebhafte Spekulationstätigkeit am Kassaindustriemarkte zu beobachten
ist. Diese steht indessen in ausgesprochenem Gegensatze zu dem Verhalten der
Ultimomärkte, dem eigentlichen Tätigkeitsfeld der sogenannten Berufsspekulation.
Denn während mit wenigen Ausnahmen die Kurse der hauptsächlichsten Speku¬
lationswerte, insbesondere die Montanpapiere, eine Neigung zur Schwäche zeigen
und erheblich niedriger notieren, als zu Beginn des Jahres, geschweige denn als
zur gleichen Zeit des Vorjahres, sind unter den gegen Kasse gehandelten Werten
eine große Anzahl zu verzeichnen, deren Kurse in wilden Sprüngen nach oben
geeilt sind und in denen täglich die größten Schwankungen stattfinden. Schon
dieses verschiedene Verhalten der beiden Märkte läßt erkennen, daß die Vorgänge
am Kassamarkt nicht aus ein allgemeines Spekulationsfieber zurückgeführt werden
können. Denn wenn die Börse zu Ausschreitungen geneigt ist, so pflegt dies zu¬
nächst und hauptsächlich im Terminmarkt in Erscheinung zu treten. Ganz natürlich-,
denn Ultimopapiere sind die Aktien der größten Banken, der bedeutendsten industriellen
Gesellschaften. Ist die wirtschaftliche Konjunktur derart, daß sie eine aufsteigende
Börsentendenz rechtfertigt, so wird die letztere sich daher zunächst und am ent-
schiedensten in der Bewertung dieser Aktienkategorien geltend machen. Dies um-
somehr, als gerade der Terminhandel der Spekulation eine sehr bequeme Hand¬
habe bietet, die Preisgestaltung der wirtschaftlichen Beurteilung anzupassen, weil
er von der effektiven Ware losgelöst ist. Es können jederzeit ohne weiteres Käufer
eintreten, die nicht Willens sind, die gekaufte Ware effektiv zu beziehen, da sie bis




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Bank und Geld

Der Stcmtskommissar und die Berliner Börse — Spekulation am Kassamarkt —
Ursachen der Kursschwankungen der Kassawerte — Unterschied zwischen Kassahnndel
und Terminmarkt — Die jüngsten Kurssteigerungen am Kassamnrkt — Die wirt¬
schaftliche Rolle der Börsenspekulation

Der Staatskommissar an der Berliner Börse hat sich veranlaßt gesehen, in
einem Schreiben den Börsenvorstand auf die Ausschreitungen aufmerksam zu
machen, welche seiner Ansicht nach sich die Spekulation am Kassamarkt der
Industrie werte zu Schulden kommen läßt und der Erwägung anheimzugeben,
ob nicht durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine Abänderung der
jetzt üblichen Notierungsweise, diesen Mißständen abgeholfen werden könne. Dieser
Schritt des Staatskommissars ist ein durchaus ungewöhnlicher und hat mit Recht
das allergrößte Aufsehen hervorgerufen. Was gab den Anlaß zu solch auffälligen
Vorgehen? Herrschen wirklich an unserer Börse so anarchische Zustände, daß ein
Eingreifen von Aufsichtswegen erforderlich ist, um Ordnung zu schaffen und schwere
Schäden abzuwenden? Nichts von alledeml Den äußeren Anlaß zu dem Eingreifen
des Staatskommissars gab der Umstand, daß an der Berliner Börse seit einiger Zeit
eine besonders lebhafte Spekulationstätigkeit am Kassaindustriemarkte zu beobachten
ist. Diese steht indessen in ausgesprochenem Gegensatze zu dem Verhalten der
Ultimomärkte, dem eigentlichen Tätigkeitsfeld der sogenannten Berufsspekulation.
Denn während mit wenigen Ausnahmen die Kurse der hauptsächlichsten Speku¬
lationswerte, insbesondere die Montanpapiere, eine Neigung zur Schwäche zeigen
und erheblich niedriger notieren, als zu Beginn des Jahres, geschweige denn als
zur gleichen Zeit des Vorjahres, sind unter den gegen Kasse gehandelten Werten
eine große Anzahl zu verzeichnen, deren Kurse in wilden Sprüngen nach oben
geeilt sind und in denen täglich die größten Schwankungen stattfinden. Schon
dieses verschiedene Verhalten der beiden Märkte läßt erkennen, daß die Vorgänge
am Kassamarkt nicht aus ein allgemeines Spekulationsfieber zurückgeführt werden
können. Denn wenn die Börse zu Ausschreitungen geneigt ist, so pflegt dies zu¬
nächst und hauptsächlich im Terminmarkt in Erscheinung zu treten. Ganz natürlich-,
denn Ultimopapiere sind die Aktien der größten Banken, der bedeutendsten industriellen
Gesellschaften. Ist die wirtschaftliche Konjunktur derart, daß sie eine aufsteigende
Börsentendenz rechtfertigt, so wird die letztere sich daher zunächst und am ent-
schiedensten in der Bewertung dieser Aktienkategorien geltend machen. Dies um-
somehr, als gerade der Terminhandel der Spekulation eine sehr bequeme Hand¬
habe bietet, die Preisgestaltung der wirtschaftlichen Beurteilung anzupassen, weil
er von der effektiven Ware losgelöst ist. Es können jederzeit ohne weiteres Käufer
eintreten, die nicht Willens sind, die gekaufte Ware effektiv zu beziehen, da sie bis


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[0461] [Abbildung] Reichsspiegel Bank und Geld Der Stcmtskommissar und die Berliner Börse — Spekulation am Kassamarkt — Ursachen der Kursschwankungen der Kassawerte — Unterschied zwischen Kassahnndel und Terminmarkt — Die jüngsten Kurssteigerungen am Kassamnrkt — Die wirt¬ schaftliche Rolle der Börsenspekulation Der Staatskommissar an der Berliner Börse hat sich veranlaßt gesehen, in einem Schreiben den Börsenvorstand auf die Ausschreitungen aufmerksam zu machen, welche seiner Ansicht nach sich die Spekulation am Kassamarkt der Industrie werte zu Schulden kommen läßt und der Erwägung anheimzugeben, ob nicht durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine Abänderung der jetzt üblichen Notierungsweise, diesen Mißständen abgeholfen werden könne. Dieser Schritt des Staatskommissars ist ein durchaus ungewöhnlicher und hat mit Recht das allergrößte Aufsehen hervorgerufen. Was gab den Anlaß zu solch auffälligen Vorgehen? Herrschen wirklich an unserer Börse so anarchische Zustände, daß ein Eingreifen von Aufsichtswegen erforderlich ist, um Ordnung zu schaffen und schwere Schäden abzuwenden? Nichts von alledeml Den äußeren Anlaß zu dem Eingreifen des Staatskommissars gab der Umstand, daß an der Berliner Börse seit einiger Zeit eine besonders lebhafte Spekulationstätigkeit am Kassaindustriemarkte zu beobachten ist. Diese steht indessen in ausgesprochenem Gegensatze zu dem Verhalten der Ultimomärkte, dem eigentlichen Tätigkeitsfeld der sogenannten Berufsspekulation. Denn während mit wenigen Ausnahmen die Kurse der hauptsächlichsten Speku¬ lationswerte, insbesondere die Montanpapiere, eine Neigung zur Schwäche zeigen und erheblich niedriger notieren, als zu Beginn des Jahres, geschweige denn als zur gleichen Zeit des Vorjahres, sind unter den gegen Kasse gehandelten Werten eine große Anzahl zu verzeichnen, deren Kurse in wilden Sprüngen nach oben geeilt sind und in denen täglich die größten Schwankungen stattfinden. Schon dieses verschiedene Verhalten der beiden Märkte läßt erkennen, daß die Vorgänge am Kassamarkt nicht aus ein allgemeines Spekulationsfieber zurückgeführt werden können. Denn wenn die Börse zu Ausschreitungen geneigt ist, so pflegt dies zu¬ nächst und hauptsächlich im Terminmarkt in Erscheinung zu treten. Ganz natürlich-, denn Ultimopapiere sind die Aktien der größten Banken, der bedeutendsten industriellen Gesellschaften. Ist die wirtschaftliche Konjunktur derart, daß sie eine aufsteigende Börsentendenz rechtfertigt, so wird die letztere sich daher zunächst und am ent- schiedensten in der Bewertung dieser Aktienkategorien geltend machen. Dies um- somehr, als gerade der Terminhandel der Spekulation eine sehr bequeme Hand¬ habe bietet, die Preisgestaltung der wirtschaftlichen Beurteilung anzupassen, weil er von der effektiven Ware losgelöst ist. Es können jederzeit ohne weiteres Käufer eintreten, die nicht Willens sind, die gekaufte Ware effektiv zu beziehen, da sie bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/461>, abgerufen am 26.06.2024.