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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Ferdinand Hodler und sein Werk

Volk und Person, übersetzt Hodler in primäre, ornamentale Form. Die sich
ergänzende Zweiheit von Mann und Weib, Tag und Nacht, Ebbe und Flut
der allwaltenden Natur tritt als klarer Wille, als Weltanschauung und Kunst¬
absicht aus dem Marignanobild unmittelbar ins Bewußtsein des Schauenden.
Durch ein paralleles Gelb rechts und links, durch das einheitlich durchgehende
Stahlblau ist Getrenntes kraftvoll geschieden und im Kosmos des Bildes dennoch
verbunden, ornamentale Absichtlichkeit mit der überzeugenden Unmittelbarkeit
jeder Stellung und jeder Gebärde versöhnt.

Eines der gewichtigsten Probleme Hodlerschen Schaffens ist, den nackten
Menschen, neuerdings auch den schaffenden (Holzhauer, Mäher), in die Natur
hineinzustellen, ihn in Wechselbeziehung zur Landschaft zu bringen. Das Bild
"vialoZue intime" von 1887 ist daher von programmatischer Bedeutung und
enthält im Keim Aufgabe und späte Lösung. In einer recht wenig faßlichen,
konventionellen Landschaft geht ein nackter Jüngling einen rythmisch geschlungenen
Pfad. Die Profilstellung des Körpers, die beredte Armhaltung, das Zwie¬
gespräch mit Blumen und Vögeln ist von der rührenden Unbeholfenheit eines
Franziskus von Assise. Allein als Malerei ist die Landschaft müd, die Profil¬
stellung des Körpers nicht ganz folgerichtig durchgeführt, die Verkürzung der
Arme nicht überzeugend, der Akt weich. Von dieser Stufe ausgehend durchdringt
Hodler um 1900 Akt und Landschaft teils vereint, teils getrennt. Sein steiler
Weg führt ihn zuletzt zur vollkommenen Überwindung aller landschaftlichen
Realität, sie wird zur Einheit mit dem beseelten Menschen. Doch auch dies war
nur noch eine Durchgangsstufe für Hoblers landschaftliche Darstellung. Der
Hintergrund hat sich selbständig etabliert, bedarf des Figuralen nicht länger,
wird selber zum Motiv, behält aber die frühere ideelle unreale Subjektivität.
Die Landschaft bleibt, wie übrigens jeder Hodler, was er auch darstellen mag,
der bewußte, beabsichtigte, klar formulierbare Ausdruck eines menschlichen
Seelenzustandes. Weder bei der Schnnigen Platte, noch beim Genfer See,
noch bei der Stockhornkette oder beim Niesen ist betreffs der näheren Beschaffen¬
heit des landschaftlich symbolisierten Seelenzustandes eine Unsicherheit oder
Zweideutigkeit denkbar. Überall ist derselbe Hodlerismus ausgesprochen, dieselbe
klare Gegenüberstellung von Innerlichkeit und Oberflächlichkeit (will sagen:
Anschauung der Oberfläche), Auseinanderstreben von Erdmassen und Zusammen¬
halten durch eine Wolkenklammer oder eine Wolkenkette, dasselbe gegenseitige
Stützen von Leichte und Schwere, immer derselbe Dualismus, in den die Natur
selbst das All in Ruhe und Bewegung rhythmisch verteilt. Hodler, einer ihrer
eingeborenen Söhne, hat ihren monotonen Zweischritt, ihr endlos summendes
Kinderlied im Zweitakt ausgesprochen uns zur Ergebung ins schwierigste, zum
Wagnis des Unmöglichen, gewährend und versagend zugleich, wie die Natur,
wie die Liebe.




Ferdinand Hodler und sein Werk

Volk und Person, übersetzt Hodler in primäre, ornamentale Form. Die sich
ergänzende Zweiheit von Mann und Weib, Tag und Nacht, Ebbe und Flut
der allwaltenden Natur tritt als klarer Wille, als Weltanschauung und Kunst¬
absicht aus dem Marignanobild unmittelbar ins Bewußtsein des Schauenden.
Durch ein paralleles Gelb rechts und links, durch das einheitlich durchgehende
Stahlblau ist Getrenntes kraftvoll geschieden und im Kosmos des Bildes dennoch
verbunden, ornamentale Absichtlichkeit mit der überzeugenden Unmittelbarkeit
jeder Stellung und jeder Gebärde versöhnt.

Eines der gewichtigsten Probleme Hodlerschen Schaffens ist, den nackten
Menschen, neuerdings auch den schaffenden (Holzhauer, Mäher), in die Natur
hineinzustellen, ihn in Wechselbeziehung zur Landschaft zu bringen. Das Bild
„vialoZue intime" von 1887 ist daher von programmatischer Bedeutung und
enthält im Keim Aufgabe und späte Lösung. In einer recht wenig faßlichen,
konventionellen Landschaft geht ein nackter Jüngling einen rythmisch geschlungenen
Pfad. Die Profilstellung des Körpers, die beredte Armhaltung, das Zwie¬
gespräch mit Blumen und Vögeln ist von der rührenden Unbeholfenheit eines
Franziskus von Assise. Allein als Malerei ist die Landschaft müd, die Profil¬
stellung des Körpers nicht ganz folgerichtig durchgeführt, die Verkürzung der
Arme nicht überzeugend, der Akt weich. Von dieser Stufe ausgehend durchdringt
Hodler um 1900 Akt und Landschaft teils vereint, teils getrennt. Sein steiler
Weg führt ihn zuletzt zur vollkommenen Überwindung aller landschaftlichen
Realität, sie wird zur Einheit mit dem beseelten Menschen. Doch auch dies war
nur noch eine Durchgangsstufe für Hoblers landschaftliche Darstellung. Der
Hintergrund hat sich selbständig etabliert, bedarf des Figuralen nicht länger,
wird selber zum Motiv, behält aber die frühere ideelle unreale Subjektivität.
Die Landschaft bleibt, wie übrigens jeder Hodler, was er auch darstellen mag,
der bewußte, beabsichtigte, klar formulierbare Ausdruck eines menschlichen
Seelenzustandes. Weder bei der Schnnigen Platte, noch beim Genfer See,
noch bei der Stockhornkette oder beim Niesen ist betreffs der näheren Beschaffen¬
heit des landschaftlich symbolisierten Seelenzustandes eine Unsicherheit oder
Zweideutigkeit denkbar. Überall ist derselbe Hodlerismus ausgesprochen, dieselbe
klare Gegenüberstellung von Innerlichkeit und Oberflächlichkeit (will sagen:
Anschauung der Oberfläche), Auseinanderstreben von Erdmassen und Zusammen¬
halten durch eine Wolkenklammer oder eine Wolkenkette, dasselbe gegenseitige
Stützen von Leichte und Schwere, immer derselbe Dualismus, in den die Natur
selbst das All in Ruhe und Bewegung rhythmisch verteilt. Hodler, einer ihrer
eingeborenen Söhne, hat ihren monotonen Zweischritt, ihr endlos summendes
Kinderlied im Zweitakt ausgesprochen uns zur Ergebung ins schwierigste, zum
Wagnis des Unmöglichen, gewährend und versagend zugleich, wie die Natur,
wie die Liebe.




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[0453] Ferdinand Hodler und sein Werk Volk und Person, übersetzt Hodler in primäre, ornamentale Form. Die sich ergänzende Zweiheit von Mann und Weib, Tag und Nacht, Ebbe und Flut der allwaltenden Natur tritt als klarer Wille, als Weltanschauung und Kunst¬ absicht aus dem Marignanobild unmittelbar ins Bewußtsein des Schauenden. Durch ein paralleles Gelb rechts und links, durch das einheitlich durchgehende Stahlblau ist Getrenntes kraftvoll geschieden und im Kosmos des Bildes dennoch verbunden, ornamentale Absichtlichkeit mit der überzeugenden Unmittelbarkeit jeder Stellung und jeder Gebärde versöhnt. Eines der gewichtigsten Probleme Hodlerschen Schaffens ist, den nackten Menschen, neuerdings auch den schaffenden (Holzhauer, Mäher), in die Natur hineinzustellen, ihn in Wechselbeziehung zur Landschaft zu bringen. Das Bild „vialoZue intime" von 1887 ist daher von programmatischer Bedeutung und enthält im Keim Aufgabe und späte Lösung. In einer recht wenig faßlichen, konventionellen Landschaft geht ein nackter Jüngling einen rythmisch geschlungenen Pfad. Die Profilstellung des Körpers, die beredte Armhaltung, das Zwie¬ gespräch mit Blumen und Vögeln ist von der rührenden Unbeholfenheit eines Franziskus von Assise. Allein als Malerei ist die Landschaft müd, die Profil¬ stellung des Körpers nicht ganz folgerichtig durchgeführt, die Verkürzung der Arme nicht überzeugend, der Akt weich. Von dieser Stufe ausgehend durchdringt Hodler um 1900 Akt und Landschaft teils vereint, teils getrennt. Sein steiler Weg führt ihn zuletzt zur vollkommenen Überwindung aller landschaftlichen Realität, sie wird zur Einheit mit dem beseelten Menschen. Doch auch dies war nur noch eine Durchgangsstufe für Hoblers landschaftliche Darstellung. Der Hintergrund hat sich selbständig etabliert, bedarf des Figuralen nicht länger, wird selber zum Motiv, behält aber die frühere ideelle unreale Subjektivität. Die Landschaft bleibt, wie übrigens jeder Hodler, was er auch darstellen mag, der bewußte, beabsichtigte, klar formulierbare Ausdruck eines menschlichen Seelenzustandes. Weder bei der Schnnigen Platte, noch beim Genfer See, noch bei der Stockhornkette oder beim Niesen ist betreffs der näheren Beschaffen¬ heit des landschaftlich symbolisierten Seelenzustandes eine Unsicherheit oder Zweideutigkeit denkbar. Überall ist derselbe Hodlerismus ausgesprochen, dieselbe klare Gegenüberstellung von Innerlichkeit und Oberflächlichkeit (will sagen: Anschauung der Oberfläche), Auseinanderstreben von Erdmassen und Zusammen¬ halten durch eine Wolkenklammer oder eine Wolkenkette, dasselbe gegenseitige Stützen von Leichte und Schwere, immer derselbe Dualismus, in den die Natur selbst das All in Ruhe und Bewegung rhythmisch verteilt. Hodler, einer ihrer eingeborenen Söhne, hat ihren monotonen Zweischritt, ihr endlos summendes Kinderlied im Zweitakt ausgesprochen uns zur Ergebung ins schwierigste, zum Wagnis des Unmöglichen, gewährend und versagend zugleich, wie die Natur, wie die Liebe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/453>, abgerufen am 23.07.2024.