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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Heine

Dieser, der ihn persönlich genau kenne, werde, obwohl sie oft verschiedener Ansicht
gewesen seien, auf Befragen seine Offenheit und Ehrlichkeit bestätigen und daß
"jeder gern mit ihm arbeite".

"Über den 3^°" Reisebilderband," fährt er fort, "den Sie doch haben werden?
schwiegen Sie. Heine wird für diesen Theil -- wie ich es ihm zuvor sagte --
sehr viel aushalten müssen. Das große Publikum ist hier gegen ihn empört,
und er wird zu thun haben, die gute Meinung zu retabliren. So geht es im
deutschen Vaterlande; die deutsche Guthmüthigkeit kann es nicht leiden, daß
jemand zu viele Prügel, wenn auch noch so sehr er sie verdiente, bekömmt. --
Wenn man sich erst mehr mit der Neuheit abgefunden hat, wird es sich wol
zu einem beßern Verständniß bewegen laßen. Der 1^° Reisebilderband ist ver¬
griffen. Die Gedichte, welche darin enthalten sind, sollen wegfallen, da sie im
Buch der Lieder sämtlich sich befinden, folglich von vielen Leuten doppelt bezahlt
werden müssen. Dagegen wird England aufgenommen, wodurch das Buch
eine ganz neue Gestalt enthält u. besonders das Buch der Lieder gehoben
werden wird."

Durch seine maßlose, unvornehme Befehdung Platens in den "Bädern von
Lucca", über die auch der leidenschaftlichste Bewunderer Heines nicht hinweg¬
kann*), hatte sich dieser in der Tat sehr geschadet, und viele von denen,
die früher für ihn eingetreten waren, sich zu Gegnern gemacht**) Daß
Immermann Campe gegenüber sich noch nicht über den dritten Band der Reise¬
bilder geäußert hatte, erscheint begreiflich. Schon der Dankesbrief an Heine
selbst, der lange aufgeschoben wurde, mag ihm schwer genug geworden sein.

Bei aller Bewunderung für das Buch konnte er sich nicht enthalten, dem
Verfasser zu schreiben:

"Manch Einzelnes ist wohl, was man wegwünschte -- das Gehnlassen!
Das Gehnlassen, mein lieber Heine! Doch ich will mir das Behagen an dem
guten Buche nicht verderben. Bei der Replik gegen Platen hätte vielleicht ein
Bischen gespart werden können. Gedichte sind re8 publicas, wenn sich Jemand
in seinen Versen zum Knabenschänder macht, so ist es erlaubt, die Saite zu
berühren, nur dünkt mich, kommt der Vorwurf zu oft." (Düsseldorf, 1. Fe¬
bruar 1830.)***)

Michael Beer gegenüber, den er im Namen Heines um Unterstützung in
der Platenschen Sache bitten sollte, erklärt Immermann im Hinblick auf den
dritten Reisebilderband (2. April 1830): "Seine Replik ist illealitor zwar schwer
zu vertreten, doch verdient er, als eine wahrhaft productive Natur, daß man
seinerseits thue, was man kann, um ihn zu halten. Und zweitens ist zu





*) Nur mildernde Umstände sind ihm zuzubilligen. Rudolf Schloesser wird im zweiten
Bande seiner Platen - Biographie, der demnächst zu erwarten ist, auf einige bisher übersehene
hinweisen.
**) U. a. den langjährigen Freund Moses Moser.
Abgedruckt von G. Kcirpeles a. a. O,, S. 168 ff.
Heinrich Heine

Dieser, der ihn persönlich genau kenne, werde, obwohl sie oft verschiedener Ansicht
gewesen seien, auf Befragen seine Offenheit und Ehrlichkeit bestätigen und daß
„jeder gern mit ihm arbeite".

„Über den 3^°" Reisebilderband," fährt er fort, „den Sie doch haben werden?
schwiegen Sie. Heine wird für diesen Theil — wie ich es ihm zuvor sagte —
sehr viel aushalten müssen. Das große Publikum ist hier gegen ihn empört,
und er wird zu thun haben, die gute Meinung zu retabliren. So geht es im
deutschen Vaterlande; die deutsche Guthmüthigkeit kann es nicht leiden, daß
jemand zu viele Prügel, wenn auch noch so sehr er sie verdiente, bekömmt. —
Wenn man sich erst mehr mit der Neuheit abgefunden hat, wird es sich wol
zu einem beßern Verständniß bewegen laßen. Der 1^° Reisebilderband ist ver¬
griffen. Die Gedichte, welche darin enthalten sind, sollen wegfallen, da sie im
Buch der Lieder sämtlich sich befinden, folglich von vielen Leuten doppelt bezahlt
werden müssen. Dagegen wird England aufgenommen, wodurch das Buch
eine ganz neue Gestalt enthält u. besonders das Buch der Lieder gehoben
werden wird."

Durch seine maßlose, unvornehme Befehdung Platens in den „Bädern von
Lucca", über die auch der leidenschaftlichste Bewunderer Heines nicht hinweg¬
kann*), hatte sich dieser in der Tat sehr geschadet, und viele von denen,
die früher für ihn eingetreten waren, sich zu Gegnern gemacht**) Daß
Immermann Campe gegenüber sich noch nicht über den dritten Band der Reise¬
bilder geäußert hatte, erscheint begreiflich. Schon der Dankesbrief an Heine
selbst, der lange aufgeschoben wurde, mag ihm schwer genug geworden sein.

Bei aller Bewunderung für das Buch konnte er sich nicht enthalten, dem
Verfasser zu schreiben:

„Manch Einzelnes ist wohl, was man wegwünschte — das Gehnlassen!
Das Gehnlassen, mein lieber Heine! Doch ich will mir das Behagen an dem
guten Buche nicht verderben. Bei der Replik gegen Platen hätte vielleicht ein
Bischen gespart werden können. Gedichte sind re8 publicas, wenn sich Jemand
in seinen Versen zum Knabenschänder macht, so ist es erlaubt, die Saite zu
berühren, nur dünkt mich, kommt der Vorwurf zu oft." (Düsseldorf, 1. Fe¬
bruar 1830.)***)

Michael Beer gegenüber, den er im Namen Heines um Unterstützung in
der Platenschen Sache bitten sollte, erklärt Immermann im Hinblick auf den
dritten Reisebilderband (2. April 1830): „Seine Replik ist illealitor zwar schwer
zu vertreten, doch verdient er, als eine wahrhaft productive Natur, daß man
seinerseits thue, was man kann, um ihn zu halten. Und zweitens ist zu





*) Nur mildernde Umstände sind ihm zuzubilligen. Rudolf Schloesser wird im zweiten
Bande seiner Platen - Biographie, der demnächst zu erwarten ist, auf einige bisher übersehene
hinweisen.
**) U. a. den langjährigen Freund Moses Moser.
Abgedruckt von G. Kcirpeles a. a. O,, S. 168 ff.
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[0442] Heinrich Heine Dieser, der ihn persönlich genau kenne, werde, obwohl sie oft verschiedener Ansicht gewesen seien, auf Befragen seine Offenheit und Ehrlichkeit bestätigen und daß „jeder gern mit ihm arbeite". „Über den 3^°" Reisebilderband," fährt er fort, „den Sie doch haben werden? schwiegen Sie. Heine wird für diesen Theil — wie ich es ihm zuvor sagte — sehr viel aushalten müssen. Das große Publikum ist hier gegen ihn empört, und er wird zu thun haben, die gute Meinung zu retabliren. So geht es im deutschen Vaterlande; die deutsche Guthmüthigkeit kann es nicht leiden, daß jemand zu viele Prügel, wenn auch noch so sehr er sie verdiente, bekömmt. — Wenn man sich erst mehr mit der Neuheit abgefunden hat, wird es sich wol zu einem beßern Verständniß bewegen laßen. Der 1^° Reisebilderband ist ver¬ griffen. Die Gedichte, welche darin enthalten sind, sollen wegfallen, da sie im Buch der Lieder sämtlich sich befinden, folglich von vielen Leuten doppelt bezahlt werden müssen. Dagegen wird England aufgenommen, wodurch das Buch eine ganz neue Gestalt enthält u. besonders das Buch der Lieder gehoben werden wird." Durch seine maßlose, unvornehme Befehdung Platens in den „Bädern von Lucca", über die auch der leidenschaftlichste Bewunderer Heines nicht hinweg¬ kann*), hatte sich dieser in der Tat sehr geschadet, und viele von denen, die früher für ihn eingetreten waren, sich zu Gegnern gemacht**) Daß Immermann Campe gegenüber sich noch nicht über den dritten Band der Reise¬ bilder geäußert hatte, erscheint begreiflich. Schon der Dankesbrief an Heine selbst, der lange aufgeschoben wurde, mag ihm schwer genug geworden sein. Bei aller Bewunderung für das Buch konnte er sich nicht enthalten, dem Verfasser zu schreiben: „Manch Einzelnes ist wohl, was man wegwünschte — das Gehnlassen! Das Gehnlassen, mein lieber Heine! Doch ich will mir das Behagen an dem guten Buche nicht verderben. Bei der Replik gegen Platen hätte vielleicht ein Bischen gespart werden können. Gedichte sind re8 publicas, wenn sich Jemand in seinen Versen zum Knabenschänder macht, so ist es erlaubt, die Saite zu berühren, nur dünkt mich, kommt der Vorwurf zu oft." (Düsseldorf, 1. Fe¬ bruar 1830.)***) Michael Beer gegenüber, den er im Namen Heines um Unterstützung in der Platenschen Sache bitten sollte, erklärt Immermann im Hinblick auf den dritten Reisebilderband (2. April 1830): „Seine Replik ist illealitor zwar schwer zu vertreten, doch verdient er, als eine wahrhaft productive Natur, daß man seinerseits thue, was man kann, um ihn zu halten. Und zweitens ist zu *) Nur mildernde Umstände sind ihm zuzubilligen. Rudolf Schloesser wird im zweiten Bande seiner Platen - Biographie, der demnächst zu erwarten ist, auf einige bisher übersehene hinweisen. **) U. a. den langjährigen Freund Moses Moser. Abgedruckt von G. Kcirpeles a. a. O,, S. 168 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/442>, abgerufen am 23.07.2024.