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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zur Dardanellenfrage

im Schwarzen Meer und auf die Donau beziehen". Das Resultat der Ver¬
handlungen wurde in dem Vertrage vom 13. März 1871 niedergelegt, dessen
1. Artikel lautet: "Die Artikel 11, 13 und 14 . . . ebenso wie die zwischen
der Hohen Pforte und Rußland abgeschlossene und dem besagten Artikel 14
angefügte besondere Konvention wird aufgehoben. . . ." Zugleich aber durch¬
löcherte man das 1856 noch "unwandelbar festgestellte Prinzip", daß es "zu
allen Zeiten" den fremden Kriegsschiffen, so lange die Türkei in Frieden lebe,
verwehrt sein solle, in die Dardanellen einzulaufen, indem man (Art. 2) dem
Sultan die Machtvollkommenheit gab. die Meerengen der Dardanellen und des
Bosporus "in Friedenszeiten den Kriegsschiffen der befreundeten und alliierten
Mächte zu öffnen, falls die Hohe Pforte das für nötig erachten sollte, um die
Ausführung der Stipulationen des Vertrages vom 13. März 1856 sicher zu
stellen." Es war ein großer diplomatischer Erfolg, den Rußland mit dieser
Regelung erreichte, der um so höher anzuschlagen war, als er zeitlich mit jener
großen panslawistischen Bewegung zusammenfiel, die unter der Devise "Zu¬
sammenfassung aller Slawen unter Leitung Rußlands" die Balkankriege der
siebziger Jahre, insbesondere den Befreiungskrieg Bulgariens (1877/78), zur
Folge hatte.

Der russisch-türkische Krieg um Bulgarien wurde bekanntlich zum Abschluß
gebracht durch den Berliner Kongreß von 1878, auf dem Bismarck als "ehr¬
licher Makler" die orientalische Frage für eine geraume Zeit zu lösen suchte.
Obwohl der Kongreß sich auch mit der Meerengenfrage beschäftigte, hat er doch
davon abgesehen, eine andere als die in den Verträgen von 1856 und 1871
vorgesehene Regelung zu finden. Die Kongreßakte vom 13. Juli 1878 heben
in ihrem wichtigen Akte 63 hervor, daß alle diejenigen Bestimmungen des
Pariser und des Londoner Vertrages aufrecht erhalten bleiben, soweit sie nicht
durch den neuen Vertrag besonders aufgehoben werden. Da das in bezug auf
die Meerengen nicht der Fall ist, so gelten für sie heute -- eine weitere inter¬
nationale Regelung ist nicht erfolgt -- folgende Grundsätze: 1. der Verkehr
durch den Bosporus und die Dardanellen steht den Handelsschiffen grundsätzlich
jederzeit frei; dieser Grundsatz ist allerdings in keinem Vertrage formell aus¬
gesprochen; -- 2. allen nichttürkischen Kriegsschiffen, mit Ausnahme der kleinen
für die Gesandtschaften bestimmten Fahrzeuge, ist die Einfahrt in die Meerengen
und der Aufenthalt im Bosporus, Marmarameer und in den Dardanellen in
Friedenszeiten grundsätzlich verboten; -- 3. der Sultan kann, um den Inhalt
des Vertrages von 1856 sicher zu stellen, Kriegsschiffen befreundeter und alliierter
Mächte die Einfahrt in die Dardanellen gestatten.

Dieses die Rechtslage, soweit sie durch die erwähnten Verträge geschaffen
wurde. Nun hat das Bombardement, welches zwei Dutzend italienischer Kriegs¬
schiffe in der Nacht vom 18. zum 19. April auf die den Eingang der Darda¬
nellen schützenden Forts eröffnete, zur Folge gehabt, daß seitens der Türkei
eine Sperrung dieser Seestraße vorgenommen wurde, die den gesamten Handel


Zur Dardanellenfrage

im Schwarzen Meer und auf die Donau beziehen". Das Resultat der Ver¬
handlungen wurde in dem Vertrage vom 13. März 1871 niedergelegt, dessen
1. Artikel lautet: „Die Artikel 11, 13 und 14 . . . ebenso wie die zwischen
der Hohen Pforte und Rußland abgeschlossene und dem besagten Artikel 14
angefügte besondere Konvention wird aufgehoben. . . ." Zugleich aber durch¬
löcherte man das 1856 noch „unwandelbar festgestellte Prinzip", daß es „zu
allen Zeiten" den fremden Kriegsschiffen, so lange die Türkei in Frieden lebe,
verwehrt sein solle, in die Dardanellen einzulaufen, indem man (Art. 2) dem
Sultan die Machtvollkommenheit gab. die Meerengen der Dardanellen und des
Bosporus „in Friedenszeiten den Kriegsschiffen der befreundeten und alliierten
Mächte zu öffnen, falls die Hohe Pforte das für nötig erachten sollte, um die
Ausführung der Stipulationen des Vertrages vom 13. März 1856 sicher zu
stellen." Es war ein großer diplomatischer Erfolg, den Rußland mit dieser
Regelung erreichte, der um so höher anzuschlagen war, als er zeitlich mit jener
großen panslawistischen Bewegung zusammenfiel, die unter der Devise „Zu¬
sammenfassung aller Slawen unter Leitung Rußlands" die Balkankriege der
siebziger Jahre, insbesondere den Befreiungskrieg Bulgariens (1877/78), zur
Folge hatte.

Der russisch-türkische Krieg um Bulgarien wurde bekanntlich zum Abschluß
gebracht durch den Berliner Kongreß von 1878, auf dem Bismarck als „ehr¬
licher Makler" die orientalische Frage für eine geraume Zeit zu lösen suchte.
Obwohl der Kongreß sich auch mit der Meerengenfrage beschäftigte, hat er doch
davon abgesehen, eine andere als die in den Verträgen von 1856 und 1871
vorgesehene Regelung zu finden. Die Kongreßakte vom 13. Juli 1878 heben
in ihrem wichtigen Akte 63 hervor, daß alle diejenigen Bestimmungen des
Pariser und des Londoner Vertrages aufrecht erhalten bleiben, soweit sie nicht
durch den neuen Vertrag besonders aufgehoben werden. Da das in bezug auf
die Meerengen nicht der Fall ist, so gelten für sie heute — eine weitere inter¬
nationale Regelung ist nicht erfolgt — folgende Grundsätze: 1. der Verkehr
durch den Bosporus und die Dardanellen steht den Handelsschiffen grundsätzlich
jederzeit frei; dieser Grundsatz ist allerdings in keinem Vertrage formell aus¬
gesprochen; — 2. allen nichttürkischen Kriegsschiffen, mit Ausnahme der kleinen
für die Gesandtschaften bestimmten Fahrzeuge, ist die Einfahrt in die Meerengen
und der Aufenthalt im Bosporus, Marmarameer und in den Dardanellen in
Friedenszeiten grundsätzlich verboten; — 3. der Sultan kann, um den Inhalt
des Vertrages von 1856 sicher zu stellen, Kriegsschiffen befreundeter und alliierter
Mächte die Einfahrt in die Dardanellen gestatten.

Dieses die Rechtslage, soweit sie durch die erwähnten Verträge geschaffen
wurde. Nun hat das Bombardement, welches zwei Dutzend italienischer Kriegs¬
schiffe in der Nacht vom 18. zum 19. April auf die den Eingang der Darda¬
nellen schützenden Forts eröffnete, zur Folge gehabt, daß seitens der Türkei
eine Sperrung dieser Seestraße vorgenommen wurde, die den gesamten Handel


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[0430] Zur Dardanellenfrage im Schwarzen Meer und auf die Donau beziehen". Das Resultat der Ver¬ handlungen wurde in dem Vertrage vom 13. März 1871 niedergelegt, dessen 1. Artikel lautet: „Die Artikel 11, 13 und 14 . . . ebenso wie die zwischen der Hohen Pforte und Rußland abgeschlossene und dem besagten Artikel 14 angefügte besondere Konvention wird aufgehoben. . . ." Zugleich aber durch¬ löcherte man das 1856 noch „unwandelbar festgestellte Prinzip", daß es „zu allen Zeiten" den fremden Kriegsschiffen, so lange die Türkei in Frieden lebe, verwehrt sein solle, in die Dardanellen einzulaufen, indem man (Art. 2) dem Sultan die Machtvollkommenheit gab. die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus „in Friedenszeiten den Kriegsschiffen der befreundeten und alliierten Mächte zu öffnen, falls die Hohe Pforte das für nötig erachten sollte, um die Ausführung der Stipulationen des Vertrages vom 13. März 1856 sicher zu stellen." Es war ein großer diplomatischer Erfolg, den Rußland mit dieser Regelung erreichte, der um so höher anzuschlagen war, als er zeitlich mit jener großen panslawistischen Bewegung zusammenfiel, die unter der Devise „Zu¬ sammenfassung aller Slawen unter Leitung Rußlands" die Balkankriege der siebziger Jahre, insbesondere den Befreiungskrieg Bulgariens (1877/78), zur Folge hatte. Der russisch-türkische Krieg um Bulgarien wurde bekanntlich zum Abschluß gebracht durch den Berliner Kongreß von 1878, auf dem Bismarck als „ehr¬ licher Makler" die orientalische Frage für eine geraume Zeit zu lösen suchte. Obwohl der Kongreß sich auch mit der Meerengenfrage beschäftigte, hat er doch davon abgesehen, eine andere als die in den Verträgen von 1856 und 1871 vorgesehene Regelung zu finden. Die Kongreßakte vom 13. Juli 1878 heben in ihrem wichtigen Akte 63 hervor, daß alle diejenigen Bestimmungen des Pariser und des Londoner Vertrages aufrecht erhalten bleiben, soweit sie nicht durch den neuen Vertrag besonders aufgehoben werden. Da das in bezug auf die Meerengen nicht der Fall ist, so gelten für sie heute — eine weitere inter¬ nationale Regelung ist nicht erfolgt — folgende Grundsätze: 1. der Verkehr durch den Bosporus und die Dardanellen steht den Handelsschiffen grundsätzlich jederzeit frei; dieser Grundsatz ist allerdings in keinem Vertrage formell aus¬ gesprochen; — 2. allen nichttürkischen Kriegsschiffen, mit Ausnahme der kleinen für die Gesandtschaften bestimmten Fahrzeuge, ist die Einfahrt in die Meerengen und der Aufenthalt im Bosporus, Marmarameer und in den Dardanellen in Friedenszeiten grundsätzlich verboten; — 3. der Sultan kann, um den Inhalt des Vertrages von 1856 sicher zu stellen, Kriegsschiffen befreundeter und alliierter Mächte die Einfahrt in die Dardanellen gestatten. Dieses die Rechtslage, soweit sie durch die erwähnten Verträge geschaffen wurde. Nun hat das Bombardement, welches zwei Dutzend italienischer Kriegs¬ schiffe in der Nacht vom 18. zum 19. April auf die den Eingang der Darda¬ nellen schützenden Forts eröffnete, zur Folge gehabt, daß seitens der Türkei eine Sperrung dieser Seestraße vorgenommen wurde, die den gesamten Handel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/430>, abgerufen am 23.07.2024.