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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft

Unter ihnen ist die Flucht des deutschen Landvolkes zweifellos das wichtigste
Moment. Aber, wie wirtschaftliche Erscheinungen oft in Wechselwirkung miteinander
stehen, so auch hier. Während die Industrie den deutschen Arbeiter vom Lande
zieht, tut die ausländische Einwanderung auch das ihrige, die Anziehungskraft
der Industrie zu verstärken, den deutschen Arbeiter geradezu aus dem Lande zu
drängen und hinauszuschwemmen.

Nach den Gesetzen der Wirtschaft kann es auch kaum anders sein, weil die
ausländischen Arbeiter sich unter dem Preise der einheimischen anbieten können.
Die Unkultur ihrer Heimat und ihre persönliche Unkultur verlangt nicht die¬
jenigen Opfer, die die Aufzucht und Erziehung deutscher Kinder heute kostet,
wenn anders sie ihres deutschen Namens würdig und fähig sein sollen, an der
Kultur ihrer Heimat teilzunehmen. Das ist doch der ganze Sinn unserer
Volkskultur, unseres Schulzwanges, der Unentgeltlichkeit der Volksschule und
aller religiösen, sozialpolitischen und hygienischen Volkspflege, die Fürsten,
Kirchen und Parlamente seit Jahrhunderten aufgewendet haben, daß wir meinen,
es sei nötig auch die untersten Schichten des Volkes in den Stand zu setzen,
teilzunehmen gerade am besten, geistigsten, höchsten unserer Kultur und auch an
deren wirtschaftlichen Erfolgen. Was ist das nun für eine Politik, daß wir dies
mit soviel Kulturopfern erzogene und gepflegte Volk selber unterbieten durch den
Import roher, kulturarmer ausländischer Arbeiter?

Die paar Groschen Lohndifferenz sind indessen nicht das Schlimmste. Mehr
noch jagt den deutschen Arbeiter aus dem Lande die ästhetische und ethische
Unkultur der ausländischen Arbeiter. Die Söhne der sarmatischen Tiefebene
bringen Gewohnheiten des Essens, Schlafens, Redens mit sich, die es dem
Deutschen recht schwer machen, mit ihnen an einem Tisch zu essen und Arbeit
und Freude zu teilen. Das untere Volk ist gegen solche Kulturunterschicde
mindestens ebenso empfindlich wie die oberen Stände, aber wehrloser. So kommt
es. daß der unterste Stand auf dem Lande, nämlich der des besitzlosen Arbeiters
für den Deutschen geradezu minderwertig geworden ist. Das wirkt gewaltiger
noch als der Lohndruck. Denn es hat schwere Folgen für die nächstobere Schicht
im Landvolk, den Kleinbauernstand.

Der Kleinbauernstand muß neben sich einen geachteten Stand besitzloser
Landarbeiter haben, wenn er eine produktive Kulturschicht bleiben soll.
Fehlt diese Unterschicht, so fängt auch er an zu wanken. Ein Teil der
Kinder von Kleinbauern muß untertauchen können im Arbeiterstand, z. B. als
Knecht beim Nachbar oder auf dem Gute, ohne daß sie dadurch gesellschaftlich
sinken. Und wiederum muß sich der Kleinbauernstand durch Heirat von unten
her ergänzen können. Beide Stände, der Kleinbauernstand und der besitzlose Arbeiter-
stand, müssen Blutsbrüder, einer Sitte, einer Sprache, einer Rasse sein. Man
denkt sich wohl heute einen Kleinbauernstand aus, der die Arbeitskraft der
ganzen Familie auf dem eigenen Acker verbraucht. Aber das ist eben nur ein
ausgemachter Bauernstand. Jede Familie gerät in der Regel innerhalb eines


Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft

Unter ihnen ist die Flucht des deutschen Landvolkes zweifellos das wichtigste
Moment. Aber, wie wirtschaftliche Erscheinungen oft in Wechselwirkung miteinander
stehen, so auch hier. Während die Industrie den deutschen Arbeiter vom Lande
zieht, tut die ausländische Einwanderung auch das ihrige, die Anziehungskraft
der Industrie zu verstärken, den deutschen Arbeiter geradezu aus dem Lande zu
drängen und hinauszuschwemmen.

Nach den Gesetzen der Wirtschaft kann es auch kaum anders sein, weil die
ausländischen Arbeiter sich unter dem Preise der einheimischen anbieten können.
Die Unkultur ihrer Heimat und ihre persönliche Unkultur verlangt nicht die¬
jenigen Opfer, die die Aufzucht und Erziehung deutscher Kinder heute kostet,
wenn anders sie ihres deutschen Namens würdig und fähig sein sollen, an der
Kultur ihrer Heimat teilzunehmen. Das ist doch der ganze Sinn unserer
Volkskultur, unseres Schulzwanges, der Unentgeltlichkeit der Volksschule und
aller religiösen, sozialpolitischen und hygienischen Volkspflege, die Fürsten,
Kirchen und Parlamente seit Jahrhunderten aufgewendet haben, daß wir meinen,
es sei nötig auch die untersten Schichten des Volkes in den Stand zu setzen,
teilzunehmen gerade am besten, geistigsten, höchsten unserer Kultur und auch an
deren wirtschaftlichen Erfolgen. Was ist das nun für eine Politik, daß wir dies
mit soviel Kulturopfern erzogene und gepflegte Volk selber unterbieten durch den
Import roher, kulturarmer ausländischer Arbeiter?

Die paar Groschen Lohndifferenz sind indessen nicht das Schlimmste. Mehr
noch jagt den deutschen Arbeiter aus dem Lande die ästhetische und ethische
Unkultur der ausländischen Arbeiter. Die Söhne der sarmatischen Tiefebene
bringen Gewohnheiten des Essens, Schlafens, Redens mit sich, die es dem
Deutschen recht schwer machen, mit ihnen an einem Tisch zu essen und Arbeit
und Freude zu teilen. Das untere Volk ist gegen solche Kulturunterschicde
mindestens ebenso empfindlich wie die oberen Stände, aber wehrloser. So kommt
es. daß der unterste Stand auf dem Lande, nämlich der des besitzlosen Arbeiters
für den Deutschen geradezu minderwertig geworden ist. Das wirkt gewaltiger
noch als der Lohndruck. Denn es hat schwere Folgen für die nächstobere Schicht
im Landvolk, den Kleinbauernstand.

Der Kleinbauernstand muß neben sich einen geachteten Stand besitzloser
Landarbeiter haben, wenn er eine produktive Kulturschicht bleiben soll.
Fehlt diese Unterschicht, so fängt auch er an zu wanken. Ein Teil der
Kinder von Kleinbauern muß untertauchen können im Arbeiterstand, z. B. als
Knecht beim Nachbar oder auf dem Gute, ohne daß sie dadurch gesellschaftlich
sinken. Und wiederum muß sich der Kleinbauernstand durch Heirat von unten
her ergänzen können. Beide Stände, der Kleinbauernstand und der besitzlose Arbeiter-
stand, müssen Blutsbrüder, einer Sitte, einer Sprache, einer Rasse sein. Man
denkt sich wohl heute einen Kleinbauernstand aus, der die Arbeitskraft der
ganzen Familie auf dem eigenen Acker verbraucht. Aber das ist eben nur ein
ausgemachter Bauernstand. Jede Familie gerät in der Regel innerhalb eines


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[0419] Die Schicksalsstunde der deutschen Landwirtschaft Unter ihnen ist die Flucht des deutschen Landvolkes zweifellos das wichtigste Moment. Aber, wie wirtschaftliche Erscheinungen oft in Wechselwirkung miteinander stehen, so auch hier. Während die Industrie den deutschen Arbeiter vom Lande zieht, tut die ausländische Einwanderung auch das ihrige, die Anziehungskraft der Industrie zu verstärken, den deutschen Arbeiter geradezu aus dem Lande zu drängen und hinauszuschwemmen. Nach den Gesetzen der Wirtschaft kann es auch kaum anders sein, weil die ausländischen Arbeiter sich unter dem Preise der einheimischen anbieten können. Die Unkultur ihrer Heimat und ihre persönliche Unkultur verlangt nicht die¬ jenigen Opfer, die die Aufzucht und Erziehung deutscher Kinder heute kostet, wenn anders sie ihres deutschen Namens würdig und fähig sein sollen, an der Kultur ihrer Heimat teilzunehmen. Das ist doch der ganze Sinn unserer Volkskultur, unseres Schulzwanges, der Unentgeltlichkeit der Volksschule und aller religiösen, sozialpolitischen und hygienischen Volkspflege, die Fürsten, Kirchen und Parlamente seit Jahrhunderten aufgewendet haben, daß wir meinen, es sei nötig auch die untersten Schichten des Volkes in den Stand zu setzen, teilzunehmen gerade am besten, geistigsten, höchsten unserer Kultur und auch an deren wirtschaftlichen Erfolgen. Was ist das nun für eine Politik, daß wir dies mit soviel Kulturopfern erzogene und gepflegte Volk selber unterbieten durch den Import roher, kulturarmer ausländischer Arbeiter? Die paar Groschen Lohndifferenz sind indessen nicht das Schlimmste. Mehr noch jagt den deutschen Arbeiter aus dem Lande die ästhetische und ethische Unkultur der ausländischen Arbeiter. Die Söhne der sarmatischen Tiefebene bringen Gewohnheiten des Essens, Schlafens, Redens mit sich, die es dem Deutschen recht schwer machen, mit ihnen an einem Tisch zu essen und Arbeit und Freude zu teilen. Das untere Volk ist gegen solche Kulturunterschicde mindestens ebenso empfindlich wie die oberen Stände, aber wehrloser. So kommt es. daß der unterste Stand auf dem Lande, nämlich der des besitzlosen Arbeiters für den Deutschen geradezu minderwertig geworden ist. Das wirkt gewaltiger noch als der Lohndruck. Denn es hat schwere Folgen für die nächstobere Schicht im Landvolk, den Kleinbauernstand. Der Kleinbauernstand muß neben sich einen geachteten Stand besitzloser Landarbeiter haben, wenn er eine produktive Kulturschicht bleiben soll. Fehlt diese Unterschicht, so fängt auch er an zu wanken. Ein Teil der Kinder von Kleinbauern muß untertauchen können im Arbeiterstand, z. B. als Knecht beim Nachbar oder auf dem Gute, ohne daß sie dadurch gesellschaftlich sinken. Und wiederum muß sich der Kleinbauernstand durch Heirat von unten her ergänzen können. Beide Stände, der Kleinbauernstand und der besitzlose Arbeiter- stand, müssen Blutsbrüder, einer Sitte, einer Sprache, einer Rasse sein. Man denkt sich wohl heute einen Kleinbauernstand aus, der die Arbeitskraft der ganzen Familie auf dem eigenen Acker verbraucht. Aber das ist eben nur ein ausgemachter Bauernstand. Jede Familie gerät in der Regel innerhalb eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/419>, abgerufen am 26.06.2024.