Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Reichsspiegel dafür, daß die Reichsbank den Zinsfuß im Laufe der kommenden Woche um ein Reichsspiegel dafür, daß die Reichsbank den Zinsfuß im Laufe der kommenden Woche um ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321449"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1567" prev="#ID_1566" next="#ID_1568"> dafür, daß die Reichsbank den Zinsfuß im Laufe der kommenden Woche um ein<lb/> halbes Prozent herabsetzen wird. Leicht wird indessen der Bankleitung der Ent¬<lb/> schluß nicht werden. Denn die Maßregel droht, die energischen Bestrebungen aus<lb/> Beschränkung der Kredite und Eindämmung der Börsenspekulation, die sich der<lb/> Reichsbankpräsident bisher hat angelegen sein lassen, zu durchkreuzen. Die<lb/> Börsenspekulation hat im Laufe des letzten Monats wieder einen außer¬<lb/> gewöhnlichen Umfang erreicht. Die günstigen Konjunkturberichte haben nach dem<lb/> Erlöschen des Bergarbeiterstreiks in England und Deutschland den Optimismus<lb/> üppig ins Kraut schießen lassen. Die Kurse sind infolgedessen auf eine Höhe<lb/> getrieben worden, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nur schlecht in Einklang<lb/> steht. Daher machen sich denn auch deutliche Zeichen einer Überspannung geltend;<lb/> die Aufmärtsbewegung ist ins Stocken geraten, die Lebhaftigkeit der Umsätze ist<lb/> geschwunden und es bedarf eines neuen kräftigen Anreizes, um die drohende<lb/> Lethargie zu überwinden. Einen solchen erhofft die Börse von der Ermäßigung<lb/> des Bankdiskonts. Es wäre indessen recht unerwünscht, wenn das wohlfeile<lb/> Geld nur deu Erfolg hätte, das Spekulationssieber von neuem anzufachen. Die<lb/> gesamte wirtschaftliche Lage ist nicht danach angetan, einer Börsenhausfe als Folie zu<lb/> dienen. Schon die Entwicklung, welche sich in der Montanindustrie anbahnt,<lb/> ist geeignet lebhafte Bedenken über die fernere Dauer der Konjunktur wachzurufen.<lb/> Kritiklos, wie immer, hat die Börse die Verlängerung des Stahlwerk¬<lb/> verbandes mit Begeisterung begrüßt. Und doch ist diese Verlängerung, welche<lb/> sich daremf beschränkt, die Syndizierung der sogenannten Produkte in der<lb/> bisherigen Form festzulegen, dagegen die Kontingentierung der 1Z Produkte frei¬<lb/> zugeben, in Wahrheit fast ein Aufgeben des Syndikatgedankens. Denn alle<lb/> Schwierigkeiten, welche durch die Konkurrenz der verschiedenen Werke entstanden<lb/> waren und fortdauernd neu entstehen, liegen auf dem Gebiet der weiter verarbeitenden<lb/> Industrien, also auf dem dieser sogenannten L-Produkte. Hier zeigte sich der<lb/> Gegensatz der Interessen zwischen den großen gemischten Betrieben und den<lb/> sogenannten reinen Walzwerken auf das Deutlichste. Es ist nicht gelungen ihn<lb/> zu überbrücken. Die Freigabe der Erzeugung und des Verkaufs von K-Produkten<lb/> besiegelt die Überlegenheit der großen montanindustriellen Gebilde. Wenn ein<lb/> jedes Kartell den Zweck verfolgte, die Schwächeren zu schützen und durch<lb/> Organisation von Produktion und Verkauf lebensfähig zu erhalten, so ist<lb/> offenbar, daß dieser Gedanke in der Stahlwerksindustrie nicht mehr aufrecht<lb/> zu erhalten war. Die Niesenunternehmungen, wie Phönix, Gelsenkirchen, Luxem¬<lb/> burg, Thyssen haben kein Interesse mehr, durch eine Fesselung ihrer eigenen<lb/> Kräfte schwächeren Konkurrenten beizustehen. Bei der Gründung und der<lb/> ersten Verlängerung des Stahlwerksverbandes betrachtete man es in den Kreisen<lb/> der Industrie als eine Hauptaufgabe des Verbandes, eine völlige Syndizierung,<lb/> also eine Regelung nicht nur der Erzeugung, sondern auch des Verkaufs der<lb/> Produkte anzustreben. Wie haben sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit ver¬<lb/> schoben! Die gemischten Werke sind mittlerweile durch Fusionen und Neuanlagen<lb/> größten Stiles zu einer solchen Entwicklung gelangt, daß ein jeder glaubt, den<lb/> Konkurrenzkampf mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen zu können. Man kann auch<lb/> nicht leugnen, daß in der Ausgestaltung dieser gemischten Betriebe, welche alle<lb/> Stadien der Produktion, von der Kohlenförderung bis zur letzten Weiter-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
Reichsspiegel
dafür, daß die Reichsbank den Zinsfuß im Laufe der kommenden Woche um ein
halbes Prozent herabsetzen wird. Leicht wird indessen der Bankleitung der Ent¬
schluß nicht werden. Denn die Maßregel droht, die energischen Bestrebungen aus
Beschränkung der Kredite und Eindämmung der Börsenspekulation, die sich der
Reichsbankpräsident bisher hat angelegen sein lassen, zu durchkreuzen. Die
Börsenspekulation hat im Laufe des letzten Monats wieder einen außer¬
gewöhnlichen Umfang erreicht. Die günstigen Konjunkturberichte haben nach dem
Erlöschen des Bergarbeiterstreiks in England und Deutschland den Optimismus
üppig ins Kraut schießen lassen. Die Kurse sind infolgedessen auf eine Höhe
getrieben worden, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nur schlecht in Einklang
steht. Daher machen sich denn auch deutliche Zeichen einer Überspannung geltend;
die Aufmärtsbewegung ist ins Stocken geraten, die Lebhaftigkeit der Umsätze ist
geschwunden und es bedarf eines neuen kräftigen Anreizes, um die drohende
Lethargie zu überwinden. Einen solchen erhofft die Börse von der Ermäßigung
des Bankdiskonts. Es wäre indessen recht unerwünscht, wenn das wohlfeile
Geld nur deu Erfolg hätte, das Spekulationssieber von neuem anzufachen. Die
gesamte wirtschaftliche Lage ist nicht danach angetan, einer Börsenhausfe als Folie zu
dienen. Schon die Entwicklung, welche sich in der Montanindustrie anbahnt,
ist geeignet lebhafte Bedenken über die fernere Dauer der Konjunktur wachzurufen.
Kritiklos, wie immer, hat die Börse die Verlängerung des Stahlwerk¬
verbandes mit Begeisterung begrüßt. Und doch ist diese Verlängerung, welche
sich daremf beschränkt, die Syndizierung der sogenannten Produkte in der
bisherigen Form festzulegen, dagegen die Kontingentierung der 1Z Produkte frei¬
zugeben, in Wahrheit fast ein Aufgeben des Syndikatgedankens. Denn alle
Schwierigkeiten, welche durch die Konkurrenz der verschiedenen Werke entstanden
waren und fortdauernd neu entstehen, liegen auf dem Gebiet der weiter verarbeitenden
Industrien, also auf dem dieser sogenannten L-Produkte. Hier zeigte sich der
Gegensatz der Interessen zwischen den großen gemischten Betrieben und den
sogenannten reinen Walzwerken auf das Deutlichste. Es ist nicht gelungen ihn
zu überbrücken. Die Freigabe der Erzeugung und des Verkaufs von K-Produkten
besiegelt die Überlegenheit der großen montanindustriellen Gebilde. Wenn ein
jedes Kartell den Zweck verfolgte, die Schwächeren zu schützen und durch
Organisation von Produktion und Verkauf lebensfähig zu erhalten, so ist
offenbar, daß dieser Gedanke in der Stahlwerksindustrie nicht mehr aufrecht
zu erhalten war. Die Niesenunternehmungen, wie Phönix, Gelsenkirchen, Luxem¬
burg, Thyssen haben kein Interesse mehr, durch eine Fesselung ihrer eigenen
Kräfte schwächeren Konkurrenten beizustehen. Bei der Gründung und der
ersten Verlängerung des Stahlwerksverbandes betrachtete man es in den Kreisen
der Industrie als eine Hauptaufgabe des Verbandes, eine völlige Syndizierung,
also eine Regelung nicht nur der Erzeugung, sondern auch des Verkaufs der
Produkte anzustreben. Wie haben sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit ver¬
schoben! Die gemischten Werke sind mittlerweile durch Fusionen und Neuanlagen
größten Stiles zu einer solchen Entwicklung gelangt, daß ein jeder glaubt, den
Konkurrenzkampf mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen zu können. Man kann auch
nicht leugnen, daß in der Ausgestaltung dieser gemischten Betriebe, welche alle
Stadien der Produktion, von der Kohlenförderung bis zur letzten Weiter-
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