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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Miesenzaml

tiefverborgensten Fühlens war dieser Traum gewesen/ und nun brannten ihr
die Wangen in pochender Scham, da sie seiner gedachte.

Sie hatte gemeint/ sie sei dem Meister in all der Glorie ihrer Himmels¬
lieblichkeit erschienen, wie das Bild, das sie besaß, sie zeigte: Maria, von vielen
Engeln verehrt. Der Meister aber stand in lächelnder Güte vor ihr, und aufs
neue vernahm sie seine stillen Worte, die sich unvertilgbar in ihr Herz gegraben:
"So weibesmild und seliger Sanftmut voll wie du, Felicitas, mag auch die
Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!"

Nun aber -- mochte es demütige Erkenntnis ihrer himmlischen Unwürdigkeit
oder vermessener dunkelwuchernder Erdentrotz sein --- sie sagte plötzlich und
wußte kaum, was sie eigentlich sprach: "Laß mich bei dir, o Meister, auf Erden
sein als dienende Magd und nimm den Himmelsglanz von mir, der mich
erdrückt! Laß mich auf Erden sein, wozu mich Gott erschuf! Und nimm dies
Wort nicht allzu kühn: es wird nicht wenig sein, was ich zu sein vermag!"

Und siehe, als sollte ihrem vermessenen Wunsch sofort Gewährung werden --
der himmlische Jubel, der sie bisher umgab, verstummte plötzlich, der krönende
Glanz um ihr Haupt erlosch, das Jesuskindlein war unmerklich ihrem Arm ent¬
flohen, und da stand sie nun, all ihrer Göttlichkeit entblößt, als arme Erden¬
magd im grauen Tag dem tiefbetroffenen Meister gegenüber und wußte nicht,
wie ihr geschah. Dem aber leuchtete mit einemmal ein frohverstehendes Lächeln
über das Antlitz, und er ging gelassen auf sie zu und legte ihr beide Hände
sanft auf die Schultern.

Und da geschah das Unerhörte -- es lösten sich die Spangen ihres Kleides
wie von ungefähr, und ihr Gewand glitt still an ihr herab, wesenlos wie ein
Blatt vom Baum und so stand sie, von ihrer Schönheit wunderbar verschleiert,
hoch und stolz vor ihm, und ihre Seele war so ganz dem Unabänderlichen
hingegeben, daß keinerlei Verzagtheit oder mädchenhafte Scham ihr Sein zu
zerstören vermochte. Sie wußte und atmete nur das eine: So hat mich Gott
geschaffen, daß ich sei, und so den Meister, daß er mich erkenne.

Er aber hatte bereits in Hast den Silberstift ergriffen und begann nun
mit glühenden Wangen zu zeichnen, als ein seliger Herr ihrer Schönheit, Linie
für Linie voll unerhörter Kraft und doch in wundersanft gebändigter Klarheit.

Da schwellte ihr Herz unsäglicher Stolz, und plötzlich überkam es sie im
Rauschen ihres Blutes, als brause ein seliges Schöpfungslied aus uralten
Werdetagen in ihr, das singe von Weibesschönheit und ihrer Unvergänglichkeit,
die stets den Schöpfer gepriesen im süßbewußten Atmen marmornen Leibes von
Lenz zu Lenz, von Anbeginn zu Anbeginn. Und ihre Seele sagte schlicht und
kühn: Wozu mich krönen, Meister, mit Marias Lieblichkeit und himmlischer
Zier? Wozu erborgten Glanz, da ich doch selbst Vollendung bin?

Sofort aber stach die flammende Scham ins Herz ob solcher Vermessenheit,
und der süße Himmelsglaube an Maria schlug wie ein brennender Rosenbusch
mit Glut und Duft und scharfen Reuedornen wieder über ihr zusammen.


Der Miesenzaml

tiefverborgensten Fühlens war dieser Traum gewesen/ und nun brannten ihr
die Wangen in pochender Scham, da sie seiner gedachte.

Sie hatte gemeint/ sie sei dem Meister in all der Glorie ihrer Himmels¬
lieblichkeit erschienen, wie das Bild, das sie besaß, sie zeigte: Maria, von vielen
Engeln verehrt. Der Meister aber stand in lächelnder Güte vor ihr, und aufs
neue vernahm sie seine stillen Worte, die sich unvertilgbar in ihr Herz gegraben:
„So weibesmild und seliger Sanftmut voll wie du, Felicitas, mag auch die
Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!"

Nun aber — mochte es demütige Erkenntnis ihrer himmlischen Unwürdigkeit
oder vermessener dunkelwuchernder Erdentrotz sein —- sie sagte plötzlich und
wußte kaum, was sie eigentlich sprach: „Laß mich bei dir, o Meister, auf Erden
sein als dienende Magd und nimm den Himmelsglanz von mir, der mich
erdrückt! Laß mich auf Erden sein, wozu mich Gott erschuf! Und nimm dies
Wort nicht allzu kühn: es wird nicht wenig sein, was ich zu sein vermag!"

Und siehe, als sollte ihrem vermessenen Wunsch sofort Gewährung werden —
der himmlische Jubel, der sie bisher umgab, verstummte plötzlich, der krönende
Glanz um ihr Haupt erlosch, das Jesuskindlein war unmerklich ihrem Arm ent¬
flohen, und da stand sie nun, all ihrer Göttlichkeit entblößt, als arme Erden¬
magd im grauen Tag dem tiefbetroffenen Meister gegenüber und wußte nicht,
wie ihr geschah. Dem aber leuchtete mit einemmal ein frohverstehendes Lächeln
über das Antlitz, und er ging gelassen auf sie zu und legte ihr beide Hände
sanft auf die Schultern.

Und da geschah das Unerhörte — es lösten sich die Spangen ihres Kleides
wie von ungefähr, und ihr Gewand glitt still an ihr herab, wesenlos wie ein
Blatt vom Baum und so stand sie, von ihrer Schönheit wunderbar verschleiert,
hoch und stolz vor ihm, und ihre Seele war so ganz dem Unabänderlichen
hingegeben, daß keinerlei Verzagtheit oder mädchenhafte Scham ihr Sein zu
zerstören vermochte. Sie wußte und atmete nur das eine: So hat mich Gott
geschaffen, daß ich sei, und so den Meister, daß er mich erkenne.

Er aber hatte bereits in Hast den Silberstift ergriffen und begann nun
mit glühenden Wangen zu zeichnen, als ein seliger Herr ihrer Schönheit, Linie
für Linie voll unerhörter Kraft und doch in wundersanft gebändigter Klarheit.

Da schwellte ihr Herz unsäglicher Stolz, und plötzlich überkam es sie im
Rauschen ihres Blutes, als brause ein seliges Schöpfungslied aus uralten
Werdetagen in ihr, das singe von Weibesschönheit und ihrer Unvergänglichkeit,
die stets den Schöpfer gepriesen im süßbewußten Atmen marmornen Leibes von
Lenz zu Lenz, von Anbeginn zu Anbeginn. Und ihre Seele sagte schlicht und
kühn: Wozu mich krönen, Meister, mit Marias Lieblichkeit und himmlischer
Zier? Wozu erborgten Glanz, da ich doch selbst Vollendung bin?

Sofort aber stach die flammende Scham ins Herz ob solcher Vermessenheit,
und der süße Himmelsglaube an Maria schlug wie ein brennender Rosenbusch
mit Glut und Duft und scharfen Reuedornen wieder über ihr zusammen.


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[0340] Der Miesenzaml tiefverborgensten Fühlens war dieser Traum gewesen/ und nun brannten ihr die Wangen in pochender Scham, da sie seiner gedachte. Sie hatte gemeint/ sie sei dem Meister in all der Glorie ihrer Himmels¬ lieblichkeit erschienen, wie das Bild, das sie besaß, sie zeigte: Maria, von vielen Engeln verehrt. Der Meister aber stand in lächelnder Güte vor ihr, und aufs neue vernahm sie seine stillen Worte, die sich unvertilgbar in ihr Herz gegraben: „So weibesmild und seliger Sanftmut voll wie du, Felicitas, mag auch die Frau gewesen sein, die einst den Gottessohn gebar!" Nun aber — mochte es demütige Erkenntnis ihrer himmlischen Unwürdigkeit oder vermessener dunkelwuchernder Erdentrotz sein —- sie sagte plötzlich und wußte kaum, was sie eigentlich sprach: „Laß mich bei dir, o Meister, auf Erden sein als dienende Magd und nimm den Himmelsglanz von mir, der mich erdrückt! Laß mich auf Erden sein, wozu mich Gott erschuf! Und nimm dies Wort nicht allzu kühn: es wird nicht wenig sein, was ich zu sein vermag!" Und siehe, als sollte ihrem vermessenen Wunsch sofort Gewährung werden — der himmlische Jubel, der sie bisher umgab, verstummte plötzlich, der krönende Glanz um ihr Haupt erlosch, das Jesuskindlein war unmerklich ihrem Arm ent¬ flohen, und da stand sie nun, all ihrer Göttlichkeit entblößt, als arme Erden¬ magd im grauen Tag dem tiefbetroffenen Meister gegenüber und wußte nicht, wie ihr geschah. Dem aber leuchtete mit einemmal ein frohverstehendes Lächeln über das Antlitz, und er ging gelassen auf sie zu und legte ihr beide Hände sanft auf die Schultern. Und da geschah das Unerhörte — es lösten sich die Spangen ihres Kleides wie von ungefähr, und ihr Gewand glitt still an ihr herab, wesenlos wie ein Blatt vom Baum und so stand sie, von ihrer Schönheit wunderbar verschleiert, hoch und stolz vor ihm, und ihre Seele war so ganz dem Unabänderlichen hingegeben, daß keinerlei Verzagtheit oder mädchenhafte Scham ihr Sein zu zerstören vermochte. Sie wußte und atmete nur das eine: So hat mich Gott geschaffen, daß ich sei, und so den Meister, daß er mich erkenne. Er aber hatte bereits in Hast den Silberstift ergriffen und begann nun mit glühenden Wangen zu zeichnen, als ein seliger Herr ihrer Schönheit, Linie für Linie voll unerhörter Kraft und doch in wundersanft gebändigter Klarheit. Da schwellte ihr Herz unsäglicher Stolz, und plötzlich überkam es sie im Rauschen ihres Blutes, als brause ein seliges Schöpfungslied aus uralten Werdetagen in ihr, das singe von Weibesschönheit und ihrer Unvergänglichkeit, die stets den Schöpfer gepriesen im süßbewußten Atmen marmornen Leibes von Lenz zu Lenz, von Anbeginn zu Anbeginn. Und ihre Seele sagte schlicht und kühn: Wozu mich krönen, Meister, mit Marias Lieblichkeit und himmlischer Zier? Wozu erborgten Glanz, da ich doch selbst Vollendung bin? Sofort aber stach die flammende Scham ins Herz ob solcher Vermessenheit, und der süße Himmelsglaube an Maria schlug wie ein brennender Rosenbusch mit Glut und Duft und scharfen Reuedornen wieder über ihr zusammen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/340>, abgerufen am 22.07.2024.