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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der rvicscnzaun

"Wenn echte Kunst hoffärtig macht, so sag' ich Euch, es wäre niemand
hoffärtiger denn Gott selbst, der alle Kunst geschaffen hat. Das aber kann
nit sein!"

So stritten die beiden hin und wider, und es war doch kein Streit; es
war nur ein zwiefach Genießen der schönen Welt und ihrer Wunderlichkeiten
von hüben und drüben.

"Fast hätt' ich nun vergessen, Euch ein Ding zu zeigen, das Euch erfreuen
wird!" sagte Dürer unvermittelt und zog ein flaches Päckchen aus der Tasche,
das er Pirkheimer überreichte.

Dieser entfernte begierig verschiedene Hüllen aus zartem Papier und sah
zuletzt ein Täfelchen aus blankem Kupfer vor sich, nicht größer als eine aus¬
gewachsene Männerhand.

"El, sieh doch," rief er, "potz Tausend, da haben wir ja wieder die
Felicitas!"

"Das ist mir recht, daß Ihr sie schon im Kupfer erkennt," nickte Dürer
befriedigt. "Ich hab' das Bildlein in Augsburg gestochen, zu Zeiten, da ich
niemand kunterfeyte. Es ward ein Ding, das mancherlei sagen soll."

Herr Pirkheimer hielt das Täfelchen ans Licht und sah es lange forschend an.

Felicitas saß in all ihrer Anmut und Schönheit auf einem großen behauenen
Steinblocke, angetan mit der edelschlichten Gewandung der vornehmen Nürn-
bergerinnen. Auf dem lichtüberzitterten Haupte trug sie diesmal an Stelle
des Rosenkränzleins ein prächtiges Kettendiadem mit funkelnden Steinen. Der
kleine pausbäckige Heiland in ihrem Schoße schien sie ungeduldig am Gewand
zu zupfen, sie aber achtete seiner nicht. Sie sah mit den großen fragenden
Augen dem Beschauer unverwandt ins Antlitz. In der Rechten hielt sie einen
Apfel als selig heiliges Symbol. Ihr zu Häupten trugen, wie auf dem früheren
Bilde, zwei flügelschlagende Engel eine fürstlich strahlende Krone. Ansonsten
aber zeigte sich nirgends irgendein himmlischer Bote und, im Gegensatz zu den:
früheren Bilde, das wie aus unendlichem Himmelsjubel herausgeschnitten schien,
war diesmal nur die Lieblichkeit irdischen Daseins zu ihrem Rechte gelangt:
aus einem schlichten Vordergrund, wo Gras und Kräuter sich behaglich sonnten,
geriet der Blick über welliges Erdland auf eine spiegelnde Meereslandschaft, die
ihrerseits wieder über ein fernes umwaldetes Schloß und ein dämmerndes Vor¬
gebirge mit wunderbarer Sehnsucht in den hohen wolkenlosen Himmel wies.

Das Sonderbare aber war -- es zog sich mitten durch die sanfte fein¬
getönte Landschaft, knapp hinter dem Rücken der Madonna, mit unabweislicher
Deutlichkeit und Schärfe ein hölzerner Zaun dahin, der das Bild von einen:
Ende zum anderen in halber Höhe durchschnitt. Er schien in seiner grellen
Wirklichkeit für sich selbst nicht minder wichtig zu sein als alles andere zusammen¬
genommen. Es war ein plumper, ungekünstelter Wiesenzaun, aus roh behauenen,
in die Erde gerammten Pflöcken geschaffen, dessen oberen Lauf ein struppiges
Weidengeflecht verband.


Der rvicscnzaun

„Wenn echte Kunst hoffärtig macht, so sag' ich Euch, es wäre niemand
hoffärtiger denn Gott selbst, der alle Kunst geschaffen hat. Das aber kann
nit sein!"

So stritten die beiden hin und wider, und es war doch kein Streit; es
war nur ein zwiefach Genießen der schönen Welt und ihrer Wunderlichkeiten
von hüben und drüben.

„Fast hätt' ich nun vergessen, Euch ein Ding zu zeigen, das Euch erfreuen
wird!" sagte Dürer unvermittelt und zog ein flaches Päckchen aus der Tasche,
das er Pirkheimer überreichte.

Dieser entfernte begierig verschiedene Hüllen aus zartem Papier und sah
zuletzt ein Täfelchen aus blankem Kupfer vor sich, nicht größer als eine aus¬
gewachsene Männerhand.

„El, sieh doch," rief er, „potz Tausend, da haben wir ja wieder die
Felicitas!"

„Das ist mir recht, daß Ihr sie schon im Kupfer erkennt," nickte Dürer
befriedigt. „Ich hab' das Bildlein in Augsburg gestochen, zu Zeiten, da ich
niemand kunterfeyte. Es ward ein Ding, das mancherlei sagen soll."

Herr Pirkheimer hielt das Täfelchen ans Licht und sah es lange forschend an.

Felicitas saß in all ihrer Anmut und Schönheit auf einem großen behauenen
Steinblocke, angetan mit der edelschlichten Gewandung der vornehmen Nürn-
bergerinnen. Auf dem lichtüberzitterten Haupte trug sie diesmal an Stelle
des Rosenkränzleins ein prächtiges Kettendiadem mit funkelnden Steinen. Der
kleine pausbäckige Heiland in ihrem Schoße schien sie ungeduldig am Gewand
zu zupfen, sie aber achtete seiner nicht. Sie sah mit den großen fragenden
Augen dem Beschauer unverwandt ins Antlitz. In der Rechten hielt sie einen
Apfel als selig heiliges Symbol. Ihr zu Häupten trugen, wie auf dem früheren
Bilde, zwei flügelschlagende Engel eine fürstlich strahlende Krone. Ansonsten
aber zeigte sich nirgends irgendein himmlischer Bote und, im Gegensatz zu den:
früheren Bilde, das wie aus unendlichem Himmelsjubel herausgeschnitten schien,
war diesmal nur die Lieblichkeit irdischen Daseins zu ihrem Rechte gelangt:
aus einem schlichten Vordergrund, wo Gras und Kräuter sich behaglich sonnten,
geriet der Blick über welliges Erdland auf eine spiegelnde Meereslandschaft, die
ihrerseits wieder über ein fernes umwaldetes Schloß und ein dämmerndes Vor¬
gebirge mit wunderbarer Sehnsucht in den hohen wolkenlosen Himmel wies.

Das Sonderbare aber war — es zog sich mitten durch die sanfte fein¬
getönte Landschaft, knapp hinter dem Rücken der Madonna, mit unabweislicher
Deutlichkeit und Schärfe ein hölzerner Zaun dahin, der das Bild von einen:
Ende zum anderen in halber Höhe durchschnitt. Er schien in seiner grellen
Wirklichkeit für sich selbst nicht minder wichtig zu sein als alles andere zusammen¬
genommen. Es war ein plumper, ungekünstelter Wiesenzaun, aus roh behauenen,
in die Erde gerammten Pflöcken geschaffen, dessen oberen Lauf ein struppiges
Weidengeflecht verband.


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[0338] Der rvicscnzaun „Wenn echte Kunst hoffärtig macht, so sag' ich Euch, es wäre niemand hoffärtiger denn Gott selbst, der alle Kunst geschaffen hat. Das aber kann nit sein!" So stritten die beiden hin und wider, und es war doch kein Streit; es war nur ein zwiefach Genießen der schönen Welt und ihrer Wunderlichkeiten von hüben und drüben. „Fast hätt' ich nun vergessen, Euch ein Ding zu zeigen, das Euch erfreuen wird!" sagte Dürer unvermittelt und zog ein flaches Päckchen aus der Tasche, das er Pirkheimer überreichte. Dieser entfernte begierig verschiedene Hüllen aus zartem Papier und sah zuletzt ein Täfelchen aus blankem Kupfer vor sich, nicht größer als eine aus¬ gewachsene Männerhand. „El, sieh doch," rief er, „potz Tausend, da haben wir ja wieder die Felicitas!" „Das ist mir recht, daß Ihr sie schon im Kupfer erkennt," nickte Dürer befriedigt. „Ich hab' das Bildlein in Augsburg gestochen, zu Zeiten, da ich niemand kunterfeyte. Es ward ein Ding, das mancherlei sagen soll." Herr Pirkheimer hielt das Täfelchen ans Licht und sah es lange forschend an. Felicitas saß in all ihrer Anmut und Schönheit auf einem großen behauenen Steinblocke, angetan mit der edelschlichten Gewandung der vornehmen Nürn- bergerinnen. Auf dem lichtüberzitterten Haupte trug sie diesmal an Stelle des Rosenkränzleins ein prächtiges Kettendiadem mit funkelnden Steinen. Der kleine pausbäckige Heiland in ihrem Schoße schien sie ungeduldig am Gewand zu zupfen, sie aber achtete seiner nicht. Sie sah mit den großen fragenden Augen dem Beschauer unverwandt ins Antlitz. In der Rechten hielt sie einen Apfel als selig heiliges Symbol. Ihr zu Häupten trugen, wie auf dem früheren Bilde, zwei flügelschlagende Engel eine fürstlich strahlende Krone. Ansonsten aber zeigte sich nirgends irgendein himmlischer Bote und, im Gegensatz zu den: früheren Bilde, das wie aus unendlichem Himmelsjubel herausgeschnitten schien, war diesmal nur die Lieblichkeit irdischen Daseins zu ihrem Rechte gelangt: aus einem schlichten Vordergrund, wo Gras und Kräuter sich behaglich sonnten, geriet der Blick über welliges Erdland auf eine spiegelnde Meereslandschaft, die ihrerseits wieder über ein fernes umwaldetes Schloß und ein dämmerndes Vor¬ gebirge mit wunderbarer Sehnsucht in den hohen wolkenlosen Himmel wies. Das Sonderbare aber war — es zog sich mitten durch die sanfte fein¬ getönte Landschaft, knapp hinter dem Rücken der Madonna, mit unabweislicher Deutlichkeit und Schärfe ein hölzerner Zaun dahin, der das Bild von einen: Ende zum anderen in halber Höhe durchschnitt. Er schien in seiner grellen Wirklichkeit für sich selbst nicht minder wichtig zu sein als alles andere zusammen¬ genommen. Es war ein plumper, ungekünstelter Wiesenzaun, aus roh behauenen, in die Erde gerammten Pflöcken geschaffen, dessen oberen Lauf ein struppiges Weidengeflecht verband.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/338>, abgerufen am 22.07.2024.