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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Aus dem Reiche der modernen Musik

wärme selbst, und es wäre begreiflich, wenn Schütt zu den beliebtesten Klavier¬
komponisten der Gegenwart gehörte. (Werke bei Simrock u. Kistner.)

Starke romantische Stimmungselemente und spezifisch Wagnersche Einflüsse
verbinden sich mit nordgermanischen Volkstum in der Musik Christian Sindings
zu überaus reizvollen Gebilden. Man kann bei einem Streifzug durch die neuere
Klavierliteratur unmöglich an dem kraftvollen Norweger vorübergehen. Wer
ihn nur nach seinem weitverbreiteten "Frühlingsrauschen" kennt, wird nicht
eben eine übermäßig hohe Meinung von ihm gewinnen, es ist Treibhausfrühling,
und Sinding hat unendlich viel Besseres geschaffen. Werke wie die Stücke
op. L5 und 72, 81, 110 (Simrock) zeigen seine beste Art, op. (>5 Ur. 1 klingt
wie ein Vorspiel zu einer antiken Tragödie, über op. 31 Ur. 4 liegt die elegische
verschleierte Stimmung, die Imsen so liebt. Bei seinen späteren Sachen ist
allerdings zuweilen eine gewisse Manier nicht zu verkennen, in die er sich hinein¬
komponiert hat, ohne daß man indessen sagen dürfte, er wiederhole sich geradezu.
Seine Melodik ist immer edel und die Faktur ausgezeichnet und wirkungsvoll.
(Werke bei Peters u. Simrock.)

Auch der Däne P. E. Langemüller muß unter den lebenden Tondichtern
mit Ehren genannt, und seine stimmungsvollen, schönen "Tänze und Intermezzi"
(Hainauer) können allen Freunden ernster Musik auf das wärmste empfohlen
werden.

Die zuweilen vernommene Klage über den Niedergang der Klavier¬
musik erscheint demnach wohl doch nicht berechtigt. Gewiß fehlt es zurzeit an
Erscheinungen überragender Größe, aber innerhalb der kleineren Formen ist es
eigentlich andauernd vorwärts gegangen, und unter den jüngsten Tondichtern ist
noch manches vielversprechende Talent, wie Erich I. Wolf (Schlesinger) und
Alfred Bortz, der u. a. mit einer großzügigen Ballade den Beweis ausgezeichneten
Könnens erbracht hat (Simrock). Und namentlich hat, wie wir schon gesehen,
die Unterhaltungsmusik und die sogenannte Salonmusik wesentlich an Gehalt
gewonnen. Wie fein sind z. B. die pikanten und graziösen Stücke A. Clairlies
(Simrock), die kleinen romantischen Geschichtchen Ludwig Schuttes (Hainauer,
Simrock), Meyer-Olberslebens (Forberg), E. Kronkes (Kistner, Schweers und
Haacke); für Vortrag und zu Studienzwecken dankbar F. Mertkes Impromptus
über Schubertsche Themen (Steingräber). Noch viel Ansprechendes und Geschmack¬
volles würde sich hier nennen lassen. Aus besonders sympathisches Entgegen¬
kommen werden stets Tondichtungen rechnen können, die an Landschafts- und
Naturstimmungen angelehnt sind: was einen Hauch unserer Heimaterde in sich
trägt, ist fast immer gute Musik, und das sind selbst bei beschränkter Begabung
nicht die schlechtesten, die mit Walter sagen können:


"Im Walde auf der Vogelwelt'
Da lernt' ich auch das Singen",

zumal wenn ihnen gelingt, die Stimmung ebenso zu fast konkreter Anschauung
zu verdichten, wie es z. B. E. Hänser in seinem Intermezzo op. 40 Ur. 1 gelungen


Grenzboten II 1912 41
Aus dem Reiche der modernen Musik

wärme selbst, und es wäre begreiflich, wenn Schütt zu den beliebtesten Klavier¬
komponisten der Gegenwart gehörte. (Werke bei Simrock u. Kistner.)

Starke romantische Stimmungselemente und spezifisch Wagnersche Einflüsse
verbinden sich mit nordgermanischen Volkstum in der Musik Christian Sindings
zu überaus reizvollen Gebilden. Man kann bei einem Streifzug durch die neuere
Klavierliteratur unmöglich an dem kraftvollen Norweger vorübergehen. Wer
ihn nur nach seinem weitverbreiteten „Frühlingsrauschen" kennt, wird nicht
eben eine übermäßig hohe Meinung von ihm gewinnen, es ist Treibhausfrühling,
und Sinding hat unendlich viel Besseres geschaffen. Werke wie die Stücke
op. L5 und 72, 81, 110 (Simrock) zeigen seine beste Art, op. (>5 Ur. 1 klingt
wie ein Vorspiel zu einer antiken Tragödie, über op. 31 Ur. 4 liegt die elegische
verschleierte Stimmung, die Imsen so liebt. Bei seinen späteren Sachen ist
allerdings zuweilen eine gewisse Manier nicht zu verkennen, in die er sich hinein¬
komponiert hat, ohne daß man indessen sagen dürfte, er wiederhole sich geradezu.
Seine Melodik ist immer edel und die Faktur ausgezeichnet und wirkungsvoll.
(Werke bei Peters u. Simrock.)

Auch der Däne P. E. Langemüller muß unter den lebenden Tondichtern
mit Ehren genannt, und seine stimmungsvollen, schönen „Tänze und Intermezzi"
(Hainauer) können allen Freunden ernster Musik auf das wärmste empfohlen
werden.

Die zuweilen vernommene Klage über den Niedergang der Klavier¬
musik erscheint demnach wohl doch nicht berechtigt. Gewiß fehlt es zurzeit an
Erscheinungen überragender Größe, aber innerhalb der kleineren Formen ist es
eigentlich andauernd vorwärts gegangen, und unter den jüngsten Tondichtern ist
noch manches vielversprechende Talent, wie Erich I. Wolf (Schlesinger) und
Alfred Bortz, der u. a. mit einer großzügigen Ballade den Beweis ausgezeichneten
Könnens erbracht hat (Simrock). Und namentlich hat, wie wir schon gesehen,
die Unterhaltungsmusik und die sogenannte Salonmusik wesentlich an Gehalt
gewonnen. Wie fein sind z. B. die pikanten und graziösen Stücke A. Clairlies
(Simrock), die kleinen romantischen Geschichtchen Ludwig Schuttes (Hainauer,
Simrock), Meyer-Olberslebens (Forberg), E. Kronkes (Kistner, Schweers und
Haacke); für Vortrag und zu Studienzwecken dankbar F. Mertkes Impromptus
über Schubertsche Themen (Steingräber). Noch viel Ansprechendes und Geschmack¬
volles würde sich hier nennen lassen. Aus besonders sympathisches Entgegen¬
kommen werden stets Tondichtungen rechnen können, die an Landschafts- und
Naturstimmungen angelehnt sind: was einen Hauch unserer Heimaterde in sich
trägt, ist fast immer gute Musik, und das sind selbst bei beschränkter Begabung
nicht die schlechtesten, die mit Walter sagen können:


„Im Walde auf der Vogelwelt'
Da lernt' ich auch das Singen",

zumal wenn ihnen gelingt, die Stimmung ebenso zu fast konkreter Anschauung
zu verdichten, wie es z. B. E. Hänser in seinem Intermezzo op. 40 Ur. 1 gelungen


Grenzboten II 1912 41
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[0333] Aus dem Reiche der modernen Musik wärme selbst, und es wäre begreiflich, wenn Schütt zu den beliebtesten Klavier¬ komponisten der Gegenwart gehörte. (Werke bei Simrock u. Kistner.) Starke romantische Stimmungselemente und spezifisch Wagnersche Einflüsse verbinden sich mit nordgermanischen Volkstum in der Musik Christian Sindings zu überaus reizvollen Gebilden. Man kann bei einem Streifzug durch die neuere Klavierliteratur unmöglich an dem kraftvollen Norweger vorübergehen. Wer ihn nur nach seinem weitverbreiteten „Frühlingsrauschen" kennt, wird nicht eben eine übermäßig hohe Meinung von ihm gewinnen, es ist Treibhausfrühling, und Sinding hat unendlich viel Besseres geschaffen. Werke wie die Stücke op. L5 und 72, 81, 110 (Simrock) zeigen seine beste Art, op. (>5 Ur. 1 klingt wie ein Vorspiel zu einer antiken Tragödie, über op. 31 Ur. 4 liegt die elegische verschleierte Stimmung, die Imsen so liebt. Bei seinen späteren Sachen ist allerdings zuweilen eine gewisse Manier nicht zu verkennen, in die er sich hinein¬ komponiert hat, ohne daß man indessen sagen dürfte, er wiederhole sich geradezu. Seine Melodik ist immer edel und die Faktur ausgezeichnet und wirkungsvoll. (Werke bei Peters u. Simrock.) Auch der Däne P. E. Langemüller muß unter den lebenden Tondichtern mit Ehren genannt, und seine stimmungsvollen, schönen „Tänze und Intermezzi" (Hainauer) können allen Freunden ernster Musik auf das wärmste empfohlen werden. Die zuweilen vernommene Klage über den Niedergang der Klavier¬ musik erscheint demnach wohl doch nicht berechtigt. Gewiß fehlt es zurzeit an Erscheinungen überragender Größe, aber innerhalb der kleineren Formen ist es eigentlich andauernd vorwärts gegangen, und unter den jüngsten Tondichtern ist noch manches vielversprechende Talent, wie Erich I. Wolf (Schlesinger) und Alfred Bortz, der u. a. mit einer großzügigen Ballade den Beweis ausgezeichneten Könnens erbracht hat (Simrock). Und namentlich hat, wie wir schon gesehen, die Unterhaltungsmusik und die sogenannte Salonmusik wesentlich an Gehalt gewonnen. Wie fein sind z. B. die pikanten und graziösen Stücke A. Clairlies (Simrock), die kleinen romantischen Geschichtchen Ludwig Schuttes (Hainauer, Simrock), Meyer-Olberslebens (Forberg), E. Kronkes (Kistner, Schweers und Haacke); für Vortrag und zu Studienzwecken dankbar F. Mertkes Impromptus über Schubertsche Themen (Steingräber). Noch viel Ansprechendes und Geschmack¬ volles würde sich hier nennen lassen. Aus besonders sympathisches Entgegen¬ kommen werden stets Tondichtungen rechnen können, die an Landschafts- und Naturstimmungen angelehnt sind: was einen Hauch unserer Heimaterde in sich trägt, ist fast immer gute Musik, und das sind selbst bei beschränkter Begabung nicht die schlechtesten, die mit Walter sagen können: „Im Walde auf der Vogelwelt' Da lernt' ich auch das Singen", zumal wenn ihnen gelingt, die Stimmung ebenso zu fast konkreter Anschauung zu verdichten, wie es z. B. E. Hänser in seinem Intermezzo op. 40 Ur. 1 gelungen Grenzboten II 1912 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/333>, abgerufen am 23.07.2024.