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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Englands Achillesferse

die Menschenzahl in der gleichen Zeit von 33 auf 45 Millionen, 4V v. H. mehr
gestiegen ist, so daß also selbst hier von einem Fortschritte keine Rede sein kann.
Noch geringer ist die Zunahme bei Pferden und Schweinen und bei Schafen
ist überhaupt keine Zunahme, sondern eine Abnahme festzustellen.

Ganz besonders springt die geringe Leistung der britischen Landwirtschaft
ins Auge bei einen: Vergleich mit der deutschen, wobei freilich zu berücksichtigen
ist, daß die Oberfläche des Vereinigten Königreichs 58 v. H. des Deutschen Reiches
beträgt, seine Bevölkerung 70 v. H. Aber die deutsche Brotkornerzeugung ist
zehnmal so groß wie die britische, an Pferden hat Deutschland mehr als das
Doppelte, an Rindvieh beinahe das Doppelte, an Schweinen das Fünfeinhalb"
fache. Einzig an Schafen hat Großbritannien 4,7mal so viel wie Deutschland
und das ist ein Vorzug, um den man es nicht zu beneiden braucht. Denn
gerade die große Zahl der Schafe wirst ein trübes Licht auf die Verhältnisse.
Es ist traurig, zu sehen, wie der beste Weizenboden nur noch als Weideland
benutzt und von Distelgestrüpp überwuchert wird. Wo wogendes Korn in
Üppigkeit stehen und Tausenden von Händen Arbeit geben sollte, da wandeln
nicht bloß Kühe, sondern auch Schafe. Daß da des Bodens Ertragfähigkeit
nicht genügend ausgenutzt wird zum Wohle des Ganzen, ergiebt sich von felbst.

Nach dem neuerdings aufgestellten Programm der Schutzzöllner sollen nun
Zölle auch aus Lebensmittel gelegt werden, um die Landwirtschaft, vor allem
den Anbau von Brotfrucht wieder lohnend zu machen. Es ist das eine Frage,
die lediglich Großbritannien angeht, sie wird aber mit der Frage eines engeren
Zusammenschlusses der einzelnen Teile des britischen Weltreiches verknüpft und
um die großen Kolonien für ein allbritisches Wirtschaftssystem zu gewinnen,
wird vorgeschlagen, die koloniale Einfuhr zollfrei zu lassen oder ihr wenigstens
Vorzugzölle einzuräumen. Mit dem in Aussicht genommenen geringen Zollsatze
für den kolonialen Weizen dürfte jedoch dem britischen Landwirte wenig gedient
sein. Das bedeutete nur den Ausschluß des russischen und argentinischen Weizens --
die Vereinigten Staaten werden bald aufhören, Weizen und auch Fleisch aus¬
zuführen, da sie ihren ganzen Ertrag selbst brauchen -- und ein tatsächliches
Monopol des kanadischen. Für den britischen Landwirt ist es am Ende gleich¬
gültig, ob die argentinische oder die kanadische Einfuhr ihm die Preise drückt.
Wenn der Zoll für ihn einen Wert haben soll, muß er entweder unterschiedslos
alle Einfuhr treffen oder wenigstens hoch genug sein, um den Wettbewerb der
Kolonien unschädlich zu machen.

Angenommen nun, der eingeführte Schutzzoll erfüllte diese Bedingungen,
würde er auch die erhoffte Wirkuug haben? Gewiß würde der Weizenpreis und
als seine natürliche Folge auch der Brotpreis um den Betrag des Zollsatzes
steigen, wie die Freihändler nicht unterlassen zu bemerken. Mit Vorliebe werden
daher Gegenüberstellungen der Weizenpreise in London und Berlin ins Gefecht
geführt, die tatsächlich mit geringen Schwankungen einen Unterschied von der
Höhe des deutschen Zollsatzes ausweisen. Dem britischen Ackerbauer jedoch würde


Englands Achillesferse

die Menschenzahl in der gleichen Zeit von 33 auf 45 Millionen, 4V v. H. mehr
gestiegen ist, so daß also selbst hier von einem Fortschritte keine Rede sein kann.
Noch geringer ist die Zunahme bei Pferden und Schweinen und bei Schafen
ist überhaupt keine Zunahme, sondern eine Abnahme festzustellen.

Ganz besonders springt die geringe Leistung der britischen Landwirtschaft
ins Auge bei einen: Vergleich mit der deutschen, wobei freilich zu berücksichtigen
ist, daß die Oberfläche des Vereinigten Königreichs 58 v. H. des Deutschen Reiches
beträgt, seine Bevölkerung 70 v. H. Aber die deutsche Brotkornerzeugung ist
zehnmal so groß wie die britische, an Pferden hat Deutschland mehr als das
Doppelte, an Rindvieh beinahe das Doppelte, an Schweinen das Fünfeinhalb«
fache. Einzig an Schafen hat Großbritannien 4,7mal so viel wie Deutschland
und das ist ein Vorzug, um den man es nicht zu beneiden braucht. Denn
gerade die große Zahl der Schafe wirst ein trübes Licht auf die Verhältnisse.
Es ist traurig, zu sehen, wie der beste Weizenboden nur noch als Weideland
benutzt und von Distelgestrüpp überwuchert wird. Wo wogendes Korn in
Üppigkeit stehen und Tausenden von Händen Arbeit geben sollte, da wandeln
nicht bloß Kühe, sondern auch Schafe. Daß da des Bodens Ertragfähigkeit
nicht genügend ausgenutzt wird zum Wohle des Ganzen, ergiebt sich von felbst.

Nach dem neuerdings aufgestellten Programm der Schutzzöllner sollen nun
Zölle auch aus Lebensmittel gelegt werden, um die Landwirtschaft, vor allem
den Anbau von Brotfrucht wieder lohnend zu machen. Es ist das eine Frage,
die lediglich Großbritannien angeht, sie wird aber mit der Frage eines engeren
Zusammenschlusses der einzelnen Teile des britischen Weltreiches verknüpft und
um die großen Kolonien für ein allbritisches Wirtschaftssystem zu gewinnen,
wird vorgeschlagen, die koloniale Einfuhr zollfrei zu lassen oder ihr wenigstens
Vorzugzölle einzuräumen. Mit dem in Aussicht genommenen geringen Zollsatze
für den kolonialen Weizen dürfte jedoch dem britischen Landwirte wenig gedient
sein. Das bedeutete nur den Ausschluß des russischen und argentinischen Weizens —
die Vereinigten Staaten werden bald aufhören, Weizen und auch Fleisch aus¬
zuführen, da sie ihren ganzen Ertrag selbst brauchen — und ein tatsächliches
Monopol des kanadischen. Für den britischen Landwirt ist es am Ende gleich¬
gültig, ob die argentinische oder die kanadische Einfuhr ihm die Preise drückt.
Wenn der Zoll für ihn einen Wert haben soll, muß er entweder unterschiedslos
alle Einfuhr treffen oder wenigstens hoch genug sein, um den Wettbewerb der
Kolonien unschädlich zu machen.

Angenommen nun, der eingeführte Schutzzoll erfüllte diese Bedingungen,
würde er auch die erhoffte Wirkuug haben? Gewiß würde der Weizenpreis und
als seine natürliche Folge auch der Brotpreis um den Betrag des Zollsatzes
steigen, wie die Freihändler nicht unterlassen zu bemerken. Mit Vorliebe werden
daher Gegenüberstellungen der Weizenpreise in London und Berlin ins Gefecht
geführt, die tatsächlich mit geringen Schwankungen einen Unterschied von der
Höhe des deutschen Zollsatzes ausweisen. Dem britischen Ackerbauer jedoch würde


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[0323] Englands Achillesferse die Menschenzahl in der gleichen Zeit von 33 auf 45 Millionen, 4V v. H. mehr gestiegen ist, so daß also selbst hier von einem Fortschritte keine Rede sein kann. Noch geringer ist die Zunahme bei Pferden und Schweinen und bei Schafen ist überhaupt keine Zunahme, sondern eine Abnahme festzustellen. Ganz besonders springt die geringe Leistung der britischen Landwirtschaft ins Auge bei einen: Vergleich mit der deutschen, wobei freilich zu berücksichtigen ist, daß die Oberfläche des Vereinigten Königreichs 58 v. H. des Deutschen Reiches beträgt, seine Bevölkerung 70 v. H. Aber die deutsche Brotkornerzeugung ist zehnmal so groß wie die britische, an Pferden hat Deutschland mehr als das Doppelte, an Rindvieh beinahe das Doppelte, an Schweinen das Fünfeinhalb« fache. Einzig an Schafen hat Großbritannien 4,7mal so viel wie Deutschland und das ist ein Vorzug, um den man es nicht zu beneiden braucht. Denn gerade die große Zahl der Schafe wirst ein trübes Licht auf die Verhältnisse. Es ist traurig, zu sehen, wie der beste Weizenboden nur noch als Weideland benutzt und von Distelgestrüpp überwuchert wird. Wo wogendes Korn in Üppigkeit stehen und Tausenden von Händen Arbeit geben sollte, da wandeln nicht bloß Kühe, sondern auch Schafe. Daß da des Bodens Ertragfähigkeit nicht genügend ausgenutzt wird zum Wohle des Ganzen, ergiebt sich von felbst. Nach dem neuerdings aufgestellten Programm der Schutzzöllner sollen nun Zölle auch aus Lebensmittel gelegt werden, um die Landwirtschaft, vor allem den Anbau von Brotfrucht wieder lohnend zu machen. Es ist das eine Frage, die lediglich Großbritannien angeht, sie wird aber mit der Frage eines engeren Zusammenschlusses der einzelnen Teile des britischen Weltreiches verknüpft und um die großen Kolonien für ein allbritisches Wirtschaftssystem zu gewinnen, wird vorgeschlagen, die koloniale Einfuhr zollfrei zu lassen oder ihr wenigstens Vorzugzölle einzuräumen. Mit dem in Aussicht genommenen geringen Zollsatze für den kolonialen Weizen dürfte jedoch dem britischen Landwirte wenig gedient sein. Das bedeutete nur den Ausschluß des russischen und argentinischen Weizens — die Vereinigten Staaten werden bald aufhören, Weizen und auch Fleisch aus¬ zuführen, da sie ihren ganzen Ertrag selbst brauchen — und ein tatsächliches Monopol des kanadischen. Für den britischen Landwirt ist es am Ende gleich¬ gültig, ob die argentinische oder die kanadische Einfuhr ihm die Preise drückt. Wenn der Zoll für ihn einen Wert haben soll, muß er entweder unterschiedslos alle Einfuhr treffen oder wenigstens hoch genug sein, um den Wettbewerb der Kolonien unschädlich zu machen. Angenommen nun, der eingeführte Schutzzoll erfüllte diese Bedingungen, würde er auch die erhoffte Wirkuug haben? Gewiß würde der Weizenpreis und als seine natürliche Folge auch der Brotpreis um den Betrag des Zollsatzes steigen, wie die Freihändler nicht unterlassen zu bemerken. Mit Vorliebe werden daher Gegenüberstellungen der Weizenpreise in London und Berlin ins Gefecht geführt, die tatsächlich mit geringen Schwankungen einen Unterschied von der Höhe des deutschen Zollsatzes ausweisen. Dem britischen Ackerbauer jedoch würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/323>, abgerufen am 23.07.2024.