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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Line deutsche katholische Kirche?

sich, daß er sich nie als Vertreter eines bestimmten Staates fühlen kann, wenn
auch naturgemäß - das ist menschlich -- die Empfindungen des Volkes, aus
dem er hervorgegangen ist, ihm am nächsten liegen werden. Aber je mehr er
in seine Stellung hineinwächst, desto mehr werden die allgemeinkirchlichen Er¬
wägungen in den Vordergrund treten. Er hat ja gar keine Veranlassung, die
Interessen eines Staates besonders zu fördern, wohl aber die dringendste, sich mit
den Regierungen aller der Staaten, in denen Gläubige seiner Kirche leben, in gutem
Einvernehmen sich zu befinden. Es liegt wirklich gar kein Grund vor, seinen
Einfluß als einen die nationale Wirksamkeit der Katholiken schädigenden ein¬
zuschätzen. Gewiß, er hat die Interessen seiner Kirche zu vertreten und kann
dadurch auch in Gegensatz zur jeweiligen Regierung geraten. Aber würde eine
vom Papste unabhängige deutsche katholische Kirche, wenn man sich eine solche
denken könnte, in anderer Lage sein? Die Gefährlichkeit, die man den
päpstlichen Einflüssen als etwas Selbstverständliches zuzuschreiben sich vielerseits
gewöhnt hat, besteht tatsächlich nur in den Vorurteilen derjenigen, die in der
irrigen Auffassung leben, Deutschland sei ein protestantisches Land, wir besäßen
ein "protestantisches Kaisertum" usw., es müsse also alles Antiprotestantische
auch'antideutsch sein und daher bekämpft werden. Dem ist aber doch nicht so.
Deutschland ist nun einmal konfessionell in zwei Teile geteilt. Jedem der
beiden muß sein Recht werden. Je ernster und unparteiischer dieser Grundsatz
durchgeführt wird, desto mehr werden die schädlichen politischen und sozialen
Wirkungen der nun einmal vorhandenen Glaubensspaltung paralysiert. Je
weniger rechtmäßigen Grund zum Klagen man den Katholiken gibt, desto mehr
wird man auch die Macht des Zentrums schwächen, eine Macht, welche, das
läßt sich nicht leugnen, mehrfach nicht in nationalem Sinne Verwendung gefunden
hat. Denn diese Macht besteht abgesehen von dem Einfluß, den die Partei sich
durch ihre soziale Tätigkeit besonders beim niederen Volke gesichert hat, im
wesentlichen auf der Anschauung, daß alle und jede Freiheit, welche die
katholische Kirche in Deutschland besitzt, der Regierung und den Parlamenten
durch das Zentrum abgerungen worden sei, und daß, wenn das Zentrum lahm¬
gelegt würde, das katholische Volk und die katholische Kirche schutzlos den
Angriffen der Gegenpartei ausgesetzt wären.

Wir Katholiken dürfen anderseits nicht vergessen, daß wir in einem
paritätischen und nicht in einem katholischen Staate leben, daß wir also auch
auf den nichtkatholischen Bevölkerungsteil Rücksicht zu nehmen haben, um so
mehr, als wir nur dann auch für uns Rücksicht verlangen können. Wir können
nicht beanspruchen, daß in Deutschland die katholischen Anschauungen die ma߬
gebenden seien, ebensowenig, wie wir dies den evangelischen zugestehen. Ein
auf gegenseitige Rücksichtnahme, Achtung der beiderseitigen Überzeugungen und
Voraussetzung nationalen Bestwollens auf beiden Seiten begründeter nioäu3
vivencii ist sür Deutschland das einzig Mögliche.




Line deutsche katholische Kirche?

sich, daß er sich nie als Vertreter eines bestimmten Staates fühlen kann, wenn
auch naturgemäß - das ist menschlich — die Empfindungen des Volkes, aus
dem er hervorgegangen ist, ihm am nächsten liegen werden. Aber je mehr er
in seine Stellung hineinwächst, desto mehr werden die allgemeinkirchlichen Er¬
wägungen in den Vordergrund treten. Er hat ja gar keine Veranlassung, die
Interessen eines Staates besonders zu fördern, wohl aber die dringendste, sich mit
den Regierungen aller der Staaten, in denen Gläubige seiner Kirche leben, in gutem
Einvernehmen sich zu befinden. Es liegt wirklich gar kein Grund vor, seinen
Einfluß als einen die nationale Wirksamkeit der Katholiken schädigenden ein¬
zuschätzen. Gewiß, er hat die Interessen seiner Kirche zu vertreten und kann
dadurch auch in Gegensatz zur jeweiligen Regierung geraten. Aber würde eine
vom Papste unabhängige deutsche katholische Kirche, wenn man sich eine solche
denken könnte, in anderer Lage sein? Die Gefährlichkeit, die man den
päpstlichen Einflüssen als etwas Selbstverständliches zuzuschreiben sich vielerseits
gewöhnt hat, besteht tatsächlich nur in den Vorurteilen derjenigen, die in der
irrigen Auffassung leben, Deutschland sei ein protestantisches Land, wir besäßen
ein „protestantisches Kaisertum" usw., es müsse also alles Antiprotestantische
auch'antideutsch sein und daher bekämpft werden. Dem ist aber doch nicht so.
Deutschland ist nun einmal konfessionell in zwei Teile geteilt. Jedem der
beiden muß sein Recht werden. Je ernster und unparteiischer dieser Grundsatz
durchgeführt wird, desto mehr werden die schädlichen politischen und sozialen
Wirkungen der nun einmal vorhandenen Glaubensspaltung paralysiert. Je
weniger rechtmäßigen Grund zum Klagen man den Katholiken gibt, desto mehr
wird man auch die Macht des Zentrums schwächen, eine Macht, welche, das
läßt sich nicht leugnen, mehrfach nicht in nationalem Sinne Verwendung gefunden
hat. Denn diese Macht besteht abgesehen von dem Einfluß, den die Partei sich
durch ihre soziale Tätigkeit besonders beim niederen Volke gesichert hat, im
wesentlichen auf der Anschauung, daß alle und jede Freiheit, welche die
katholische Kirche in Deutschland besitzt, der Regierung und den Parlamenten
durch das Zentrum abgerungen worden sei, und daß, wenn das Zentrum lahm¬
gelegt würde, das katholische Volk und die katholische Kirche schutzlos den
Angriffen der Gegenpartei ausgesetzt wären.

Wir Katholiken dürfen anderseits nicht vergessen, daß wir in einem
paritätischen und nicht in einem katholischen Staate leben, daß wir also auch
auf den nichtkatholischen Bevölkerungsteil Rücksicht zu nehmen haben, um so
mehr, als wir nur dann auch für uns Rücksicht verlangen können. Wir können
nicht beanspruchen, daß in Deutschland die katholischen Anschauungen die ma߬
gebenden seien, ebensowenig, wie wir dies den evangelischen zugestehen. Ein
auf gegenseitige Rücksichtnahme, Achtung der beiderseitigen Überzeugungen und
Voraussetzung nationalen Bestwollens auf beiden Seiten begründeter nioäu3
vivencii ist sür Deutschland das einzig Mögliche.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/320>, abgerufen am 29.06.2024.