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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspii'gel

Erfolg für Taft. Es blieb der einzige, denn der zollpolitische Gegenseitigkeits¬
vertrag mit Kanada wurde durch die Neuwahl des kanadischen Parlaments
unmöglich, und der Schiedsvertrag mit England scheiterte daran, daß der Senat
auf vollster Erhaltung seines Mitbestimmungsrechts beharrte.

Roosevelt wollte nach der Rückkehr von seinem Jagdausflug nach Afrika
und der Reise durch Europa anfänglich dem politischen Treiben fern bleiben,
geriet aber bald hinein. Er schloß sich den erwähnten "Insurgenten" der
republikanischen Partei an, und zwar bot sich gerade damals eine aufregende
Veranlassung dar. Es kam an den Tag, daß der Minister des Innern,
Ballinger, einem New Uorker Kapitaltrust riesigen Grundbesitz in Alaska, Wälder
und Bergwerke, um einen Spottpreis in die Hände gespielt hatte. Der Fall
Ballinger-Pinchot hielt monatelang die öffentliche Aufmerksamkeit gefangen und
endigte mit dem Rücktritt Ballingers. Roosevelt vertrat mit den besten, unantast¬
barsten Gründen die Ansicht, daß der Staat, also der Staatenbund, an Grund¬
besitz und Bodenschätzen festhalten solle, was ihm gehöre, und nichts mehr an
Privatkäufer verschleudern solle.

Mittlerweile war aber Taft durch den Erfolg mit dem Vorgehen gegen
die Eisenbahnen immer mehr in Gegnerschaft gegen die Trusts geraten und
immer mehr ein Vertreter derjenigen Grundsätze geworden, an denen Roosevelt
1908 gescheitert war. Die Trusts erwiderten seine Angriffe, er aber rechnete
wohl auf den weitverbreiteten Haß gegen sie. Da begab sich das Wunderbare,
daß Roosevelt sie in Schutz nahm. Also beiderseits eine vollständige Ver¬
schiebung des Standpunkts. Roosevelt erklärte, auch die größten "Organisationen"
hätten einen Anspruch auf Geltendmachung ihres Strebens nach freiestem Gewerbe¬
betrieb. Nicht unmöglich machen solle man die Trusts, man solle sie nur unter
obrigkeitliche Aufsicht stellen, damit ihre Geschäfte zum Nutzen des Gemein¬
wesens geführt würden. Das heißt denn doch eine Elle aus Kautschuk zum
Messen benutzen! Ist es denkbar, durch Gesetze, so daß Richter darnach urteilen
können, festzustellen, worin der Nutzen des Gemeinwesens aus dem Betriebe
eines Riesengeschäfts wie des Petroleum- oder des Tabaktrusts besteht?
Das heißt doch vollends, entweder dem Staat gänzlich unbrauchbare Waffen in
die Hand stecken oder das wirtschaftliche Leben im allgemeinen seiner Willkür
unterstellen. Schon der exakten Aufsichtsführung einer europäischen, z. B. einer
deutschen Staatsbehörde wäre damit eine unlösbare Aufgabe gestellt, bei einer
amerikanischen würde vollends wieder das eintreten, was so oft vom dortigen
Gerichtswesen gesagt wird, daß der Reichtum mit vier Pferden durch alle Gesetze
hindurchsährt. Und das soll ein reformatorischer Akt sein!

Den Trusts konnte dieser 1908 noch heftig zurückgewiesene Gedanke
angesichts der festen Haltung Tafts gar nicht unangenehm sein; sie mußten
wissen, daß ihnen davon keine ernstliche Unbequemlichkeit drohte. Sie näherten
sich also Roosevelt und es schien, als ob er als ihr Pferd das große Rennen
um die Präsidentschaftskandidatur durchmachen solle.


Reichsspii'gel

Erfolg für Taft. Es blieb der einzige, denn der zollpolitische Gegenseitigkeits¬
vertrag mit Kanada wurde durch die Neuwahl des kanadischen Parlaments
unmöglich, und der Schiedsvertrag mit England scheiterte daran, daß der Senat
auf vollster Erhaltung seines Mitbestimmungsrechts beharrte.

Roosevelt wollte nach der Rückkehr von seinem Jagdausflug nach Afrika
und der Reise durch Europa anfänglich dem politischen Treiben fern bleiben,
geriet aber bald hinein. Er schloß sich den erwähnten „Insurgenten" der
republikanischen Partei an, und zwar bot sich gerade damals eine aufregende
Veranlassung dar. Es kam an den Tag, daß der Minister des Innern,
Ballinger, einem New Uorker Kapitaltrust riesigen Grundbesitz in Alaska, Wälder
und Bergwerke, um einen Spottpreis in die Hände gespielt hatte. Der Fall
Ballinger-Pinchot hielt monatelang die öffentliche Aufmerksamkeit gefangen und
endigte mit dem Rücktritt Ballingers. Roosevelt vertrat mit den besten, unantast¬
barsten Gründen die Ansicht, daß der Staat, also der Staatenbund, an Grund¬
besitz und Bodenschätzen festhalten solle, was ihm gehöre, und nichts mehr an
Privatkäufer verschleudern solle.

Mittlerweile war aber Taft durch den Erfolg mit dem Vorgehen gegen
die Eisenbahnen immer mehr in Gegnerschaft gegen die Trusts geraten und
immer mehr ein Vertreter derjenigen Grundsätze geworden, an denen Roosevelt
1908 gescheitert war. Die Trusts erwiderten seine Angriffe, er aber rechnete
wohl auf den weitverbreiteten Haß gegen sie. Da begab sich das Wunderbare,
daß Roosevelt sie in Schutz nahm. Also beiderseits eine vollständige Ver¬
schiebung des Standpunkts. Roosevelt erklärte, auch die größten „Organisationen"
hätten einen Anspruch auf Geltendmachung ihres Strebens nach freiestem Gewerbe¬
betrieb. Nicht unmöglich machen solle man die Trusts, man solle sie nur unter
obrigkeitliche Aufsicht stellen, damit ihre Geschäfte zum Nutzen des Gemein¬
wesens geführt würden. Das heißt denn doch eine Elle aus Kautschuk zum
Messen benutzen! Ist es denkbar, durch Gesetze, so daß Richter darnach urteilen
können, festzustellen, worin der Nutzen des Gemeinwesens aus dem Betriebe
eines Riesengeschäfts wie des Petroleum- oder des Tabaktrusts besteht?
Das heißt doch vollends, entweder dem Staat gänzlich unbrauchbare Waffen in
die Hand stecken oder das wirtschaftliche Leben im allgemeinen seiner Willkür
unterstellen. Schon der exakten Aufsichtsführung einer europäischen, z. B. einer
deutschen Staatsbehörde wäre damit eine unlösbare Aufgabe gestellt, bei einer
amerikanischen würde vollends wieder das eintreten, was so oft vom dortigen
Gerichtswesen gesagt wird, daß der Reichtum mit vier Pferden durch alle Gesetze
hindurchsährt. Und das soll ein reformatorischer Akt sein!

Den Trusts konnte dieser 1908 noch heftig zurückgewiesene Gedanke
angesichts der festen Haltung Tafts gar nicht unangenehm sein; sie mußten
wissen, daß ihnen davon keine ernstliche Unbequemlichkeit drohte. Sie näherten
sich also Roosevelt und es schien, als ob er als ihr Pferd das große Rennen
um die Präsidentschaftskandidatur durchmachen solle.


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[0314] Reichsspii'gel Erfolg für Taft. Es blieb der einzige, denn der zollpolitische Gegenseitigkeits¬ vertrag mit Kanada wurde durch die Neuwahl des kanadischen Parlaments unmöglich, und der Schiedsvertrag mit England scheiterte daran, daß der Senat auf vollster Erhaltung seines Mitbestimmungsrechts beharrte. Roosevelt wollte nach der Rückkehr von seinem Jagdausflug nach Afrika und der Reise durch Europa anfänglich dem politischen Treiben fern bleiben, geriet aber bald hinein. Er schloß sich den erwähnten „Insurgenten" der republikanischen Partei an, und zwar bot sich gerade damals eine aufregende Veranlassung dar. Es kam an den Tag, daß der Minister des Innern, Ballinger, einem New Uorker Kapitaltrust riesigen Grundbesitz in Alaska, Wälder und Bergwerke, um einen Spottpreis in die Hände gespielt hatte. Der Fall Ballinger-Pinchot hielt monatelang die öffentliche Aufmerksamkeit gefangen und endigte mit dem Rücktritt Ballingers. Roosevelt vertrat mit den besten, unantast¬ barsten Gründen die Ansicht, daß der Staat, also der Staatenbund, an Grund¬ besitz und Bodenschätzen festhalten solle, was ihm gehöre, und nichts mehr an Privatkäufer verschleudern solle. Mittlerweile war aber Taft durch den Erfolg mit dem Vorgehen gegen die Eisenbahnen immer mehr in Gegnerschaft gegen die Trusts geraten und immer mehr ein Vertreter derjenigen Grundsätze geworden, an denen Roosevelt 1908 gescheitert war. Die Trusts erwiderten seine Angriffe, er aber rechnete wohl auf den weitverbreiteten Haß gegen sie. Da begab sich das Wunderbare, daß Roosevelt sie in Schutz nahm. Also beiderseits eine vollständige Ver¬ schiebung des Standpunkts. Roosevelt erklärte, auch die größten „Organisationen" hätten einen Anspruch auf Geltendmachung ihres Strebens nach freiestem Gewerbe¬ betrieb. Nicht unmöglich machen solle man die Trusts, man solle sie nur unter obrigkeitliche Aufsicht stellen, damit ihre Geschäfte zum Nutzen des Gemein¬ wesens geführt würden. Das heißt denn doch eine Elle aus Kautschuk zum Messen benutzen! Ist es denkbar, durch Gesetze, so daß Richter darnach urteilen können, festzustellen, worin der Nutzen des Gemeinwesens aus dem Betriebe eines Riesengeschäfts wie des Petroleum- oder des Tabaktrusts besteht? Das heißt doch vollends, entweder dem Staat gänzlich unbrauchbare Waffen in die Hand stecken oder das wirtschaftliche Leben im allgemeinen seiner Willkür unterstellen. Schon der exakten Aufsichtsführung einer europäischen, z. B. einer deutschen Staatsbehörde wäre damit eine unlösbare Aufgabe gestellt, bei einer amerikanischen würde vollends wieder das eintreten, was so oft vom dortigen Gerichtswesen gesagt wird, daß der Reichtum mit vier Pferden durch alle Gesetze hindurchsährt. Und das soll ein reformatorischer Akt sein! Den Trusts konnte dieser 1908 noch heftig zurückgewiesene Gedanke angesichts der festen Haltung Tafts gar nicht unangenehm sein; sie mußten wissen, daß ihnen davon keine ernstliche Unbequemlichkeit drohte. Sie näherten sich also Roosevelt und es schien, als ob er als ihr Pferd das große Rennen um die Präsidentschaftskandidatur durchmachen solle.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/314>, abgerufen am 26.06.2024.