Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Persönlichkeit und Sache in der lvisscnschaft Werte nicht zu denken, noch mehr aber aus der Erwägung, daß der Geistes¬ Bezeichnend ist, daß das Brückenprojekt an der Geistesarbeit der Künstler Wie es beim Dichtwerk nicht die Nebeneinanderreihung von Gedanken¬ Die Kürze des Daseins erfordert es, das wissenschaftliche Streben, das Gewiß wird der Mensch darauf verzichten müssen, die ganze Fülle des Persönlichkeit und Sache in der lvisscnschaft Werte nicht zu denken, noch mehr aber aus der Erwägung, daß der Geistes¬ Bezeichnend ist, daß das Brückenprojekt an der Geistesarbeit der Künstler Wie es beim Dichtwerk nicht die Nebeneinanderreihung von Gedanken¬ Die Kürze des Daseins erfordert es, das wissenschaftliche Streben, das Gewiß wird der Mensch darauf verzichten müssen, die ganze Fülle des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321113"/> <fw type="header" place="top"> Persönlichkeit und Sache in der lvisscnschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_54" prev="#ID_53"> Werte nicht zu denken, noch mehr aber aus der Erwägung, daß der Geistes¬<lb/> arbeiter sein Eigenstes gibt, seiue Grenzen sich selbst zieht, mithin jede Ein¬<lb/> ordnung in ein Arbeitsschema um so mehr ablehnen muß, je stärker seine<lb/> Individualität ist. Aber freilich, wo es die Masse bringen soll, ist Erzeugung<lb/> von „Qualitätsware" Verschwendung von Energie.</p><lb/> <p xml:id="ID_55"> Bezeichnend ist, daß das Brückenprojekt an der Geistesarbeit der Künstler<lb/> versagt. Ihre Werke werden als Ganzes genommen, jede Dichtung als Ganzes<lb/> in die Zukunftsbibliothek aufgenommen, während alle wissenschaftlichen Werke<lb/> sich zur besseren Einreihung in das Schema in ihre Gedanken zerlegen lassen<lb/> müssen! (Preisaufgabe: Man zerlege Burckhardts „Kultur der Renaissance",<lb/> Treitschkes „Politik", Chamberlains „Grundlagen" in ihre Gedanken! Die<lb/> Behauptung, daß man um der größeren Beweglichkeit willen die Gedanken aus<lb/> der Umgebung loslösen könne und müsse, führt sich hier selbst na absurclum.)</p><lb/> <p xml:id="ID_56"> Wie es beim Dichtwerk nicht die Nebeneinanderreihung von Gedanken¬<lb/> atomen ist, die seinen Wert und seiue Wirkung ausmacht, so ist es auch bei<lb/> jedem wissenschaftlichen Werke von Bedeutung; gerade das, wodurch die Einzel¬<lb/> leistung sich nicht an die des Gebietsnachbars anpaßt, nämlich der subjektive<lb/> Faktor, die ganz individuelle Gesamtanschauung, macht den eigentlichen Wert<lb/> und Reiz des Werkes aus. Zerschlägt man das Werk, um aus ihn: den<lb/> objektiven Gedankenextrakt zu pressen, so geht dieses Aroma verloren. Es wäre<lb/> gerade so, als ob man künstlerische Plastiker zu Werkstücken für den Bau einer<lb/> Zentralmarkthalle zerschlüge.--</p><lb/> <p xml:id="ID_57"> Die Kürze des Daseins erfordert es, das wissenschaftliche Streben, das<lb/> an sich unumschränkt ist, mit der Beschränktheit der verfügbaren Zeit in Ein¬<lb/> klang zu bringen. Wagner hätte sonst recht:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_58"> Gewiß wird der Mensch darauf verzichten müssen, die ganze Fülle des<lb/> Objekts Wissenschaft zu durchdringen. Aber soll er deshalb der Uraufgabe des<lb/> menschlichen Seins entsagen, ein Ganzes aus sich heraus zu gestalten? Soll er<lb/> deshalb als kleines Rad im großen Getriebe untertauchen, sich selbst zum Werkzeug<lb/> wandeln, sich dem Objekt ganz unterwerfen? Das wäre nur dann berechtigt,<lb/> wenn es ein Ziel von absoluter Bedeutung zu erreichen gälte. Aber auch<lb/> der religiöse Nimbus, womit man den „Bau der Wissenschaft" heute von<lb/> gewisser Seite umgibt, kann uns nicht darüber täuschen, daß ihm diese absolute<lb/> Bedeutung nicht zukommt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Persönlichkeit und Sache in der lvisscnschaft
Werte nicht zu denken, noch mehr aber aus der Erwägung, daß der Geistes¬
arbeiter sein Eigenstes gibt, seiue Grenzen sich selbst zieht, mithin jede Ein¬
ordnung in ein Arbeitsschema um so mehr ablehnen muß, je stärker seine
Individualität ist. Aber freilich, wo es die Masse bringen soll, ist Erzeugung
von „Qualitätsware" Verschwendung von Energie.
Bezeichnend ist, daß das Brückenprojekt an der Geistesarbeit der Künstler
versagt. Ihre Werke werden als Ganzes genommen, jede Dichtung als Ganzes
in die Zukunftsbibliothek aufgenommen, während alle wissenschaftlichen Werke
sich zur besseren Einreihung in das Schema in ihre Gedanken zerlegen lassen
müssen! (Preisaufgabe: Man zerlege Burckhardts „Kultur der Renaissance",
Treitschkes „Politik", Chamberlains „Grundlagen" in ihre Gedanken! Die
Behauptung, daß man um der größeren Beweglichkeit willen die Gedanken aus
der Umgebung loslösen könne und müsse, führt sich hier selbst na absurclum.)
Wie es beim Dichtwerk nicht die Nebeneinanderreihung von Gedanken¬
atomen ist, die seinen Wert und seiue Wirkung ausmacht, so ist es auch bei
jedem wissenschaftlichen Werke von Bedeutung; gerade das, wodurch die Einzel¬
leistung sich nicht an die des Gebietsnachbars anpaßt, nämlich der subjektive
Faktor, die ganz individuelle Gesamtanschauung, macht den eigentlichen Wert
und Reiz des Werkes aus. Zerschlägt man das Werk, um aus ihn: den
objektiven Gedankenextrakt zu pressen, so geht dieses Aroma verloren. Es wäre
gerade so, als ob man künstlerische Plastiker zu Werkstücken für den Bau einer
Zentralmarkthalle zerschlüge.--
Die Kürze des Daseins erfordert es, das wissenschaftliche Streben, das
an sich unumschränkt ist, mit der Beschränktheit der verfügbaren Zeit in Ein¬
klang zu bringen. Wagner hätte sonst recht:
Gewiß wird der Mensch darauf verzichten müssen, die ganze Fülle des
Objekts Wissenschaft zu durchdringen. Aber soll er deshalb der Uraufgabe des
menschlichen Seins entsagen, ein Ganzes aus sich heraus zu gestalten? Soll er
deshalb als kleines Rad im großen Getriebe untertauchen, sich selbst zum Werkzeug
wandeln, sich dem Objekt ganz unterwerfen? Das wäre nur dann berechtigt,
wenn es ein Ziel von absoluter Bedeutung zu erreichen gälte. Aber auch
der religiöse Nimbus, womit man den „Bau der Wissenschaft" heute von
gewisser Seite umgibt, kann uns nicht darüber täuschen, daß ihm diese absolute
Bedeutung nicht zukommt.
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