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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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wirtschaftliche Rüstung

Mittel (Rohprodukte) einzuführen genötigt ist, dabei aber auch noch unter vielen
sich bietenden Bezugsquellen und Bezugswegen wählen kann: oder ob man das
höchststehende Fabrikat der Landwirtschaft (Schlachtvieh) -- das, weil lebendig,
beim Transport allen möglichen Gefahren ausgesetzt ist, -- einführen muß,
und zwar von einer ganz bestimmten Bezugsquelle und nieist auf einem ganz
bestimmten Wege, der verhältnismäßig leicht unterbunden werden kann. Von
höchster Bedeutung ist, daß Schlachtvieh im Inlande in großen Mengen dauernd
herangezogen wird, daß Produktionsstätten und Produzenten hierfür vorhanden
sind, daß es an dem Viehstammkapital nicht fehlt, von dem nötigenfalls eine
Weile gezehrt werden kann. Daß dagegen das inländische Schlachtvieh teilweise
mit ausländischem Futter herangezogen wird, beeinträchtigt unsere Rüstung fast
ebensowenig, als daß unsere Kanonen teilweise aus ausländischem Eisenerz
gefertigt sein mögen.

Aus diesen Gründen empfiehlt es sich auch für uns durchaus uicht, dem
Beispiele Englands zu folgen und die Einfuhr argentinischen Gefrierfleisches zu
erleichtern. Wir wollen durchaus nicht bezweifeln, daß sich der Markt für
frisches Fleisch in England ganz ebenso unabhängig von dem Markt für "Frost¬
fleisch" erhalten hat, wie bei uns etwa der Buttermarkt von dem Palminmarkt
oder wie der Markt lebender Fische von demjenigen toter Fische; daß also
unsere Landwirtschaft unter der Konkurrenz des billigeren, aber auch minder¬
wertigen Gefrierfleisches kaum zu leiden haben würde. Worauf es vom kriegerischen
Standpunkt aus ankommt, ist, daß nur derjenige, welcher die Seegewalt besitzt
und sie unter allen Umständen zu behaupten gedenkt, soviel auf eine einzige
Karte -- hier die Schiffslinie zwischen Buenos-Aires und dem allein mit den
nötigen Vorrichtungen zum Auftauen usw. versehenen Heimathafen -- setzen
darf. Es wäre unverantwortlich, wenn wir, ohne Seeherrschaft, dem Risiko
dieses Beispiels folgen wollten. Eine Unterbindung der genannten Schiffahrts-
Linie, die England fast ein Drittel seines gesamten Fleischbedarfs liefert, würde
die Verpflegung unseres Volkes direkt in Frage stellen.

Gegenwärtig zeigt ein Vergleich mit England die verhältnismäßige Solidität
und Überlegenheit unserer wirtschaftlichen Rüstung. Wir haben für unseren
Brotbedarf zu etwa vier Fünfteln, für unseren Fleischbedarf zu etwa neunzehn
Zwanzigsteln Eigendeckung und können hoffen, daß bei der Mannigfaltigkeit
unserer Grenzen keine Kombination fremder Mächte imstande sein wird, die
Zufuhr des Fehlenden abzuschneiden. Auch läßt sich wohl annehmen, daß
schlimmstenfalls der Konsum einer bescheidenen Einschränkung oder Abwechslung
mit anderen Lebensmitteln (Kartoffeln, Gemüse) fähig ist. Lasen wir doch vor
einiger Zeit von einem allgemeinen Fleischboykott in Amerika. In England
dagegen ist die Quote der Eigendeckung so gering geworden, daß sie praktisch
kaum mehr in Betracht kommt, und daß bereits von heute auf morgen eine
Stockung der Zufuhr bedrohlich wirkt. Dazu ist dort diese Zufuhr einzig und
allein auf das Meer und den Schutz der eigenen Flotte angewiesen. Nichts


wirtschaftliche Rüstung

Mittel (Rohprodukte) einzuführen genötigt ist, dabei aber auch noch unter vielen
sich bietenden Bezugsquellen und Bezugswegen wählen kann: oder ob man das
höchststehende Fabrikat der Landwirtschaft (Schlachtvieh) — das, weil lebendig,
beim Transport allen möglichen Gefahren ausgesetzt ist, — einführen muß,
und zwar von einer ganz bestimmten Bezugsquelle und nieist auf einem ganz
bestimmten Wege, der verhältnismäßig leicht unterbunden werden kann. Von
höchster Bedeutung ist, daß Schlachtvieh im Inlande in großen Mengen dauernd
herangezogen wird, daß Produktionsstätten und Produzenten hierfür vorhanden
sind, daß es an dem Viehstammkapital nicht fehlt, von dem nötigenfalls eine
Weile gezehrt werden kann. Daß dagegen das inländische Schlachtvieh teilweise
mit ausländischem Futter herangezogen wird, beeinträchtigt unsere Rüstung fast
ebensowenig, als daß unsere Kanonen teilweise aus ausländischem Eisenerz
gefertigt sein mögen.

Aus diesen Gründen empfiehlt es sich auch für uns durchaus uicht, dem
Beispiele Englands zu folgen und die Einfuhr argentinischen Gefrierfleisches zu
erleichtern. Wir wollen durchaus nicht bezweifeln, daß sich der Markt für
frisches Fleisch in England ganz ebenso unabhängig von dem Markt für „Frost¬
fleisch" erhalten hat, wie bei uns etwa der Buttermarkt von dem Palminmarkt
oder wie der Markt lebender Fische von demjenigen toter Fische; daß also
unsere Landwirtschaft unter der Konkurrenz des billigeren, aber auch minder¬
wertigen Gefrierfleisches kaum zu leiden haben würde. Worauf es vom kriegerischen
Standpunkt aus ankommt, ist, daß nur derjenige, welcher die Seegewalt besitzt
und sie unter allen Umständen zu behaupten gedenkt, soviel auf eine einzige
Karte — hier die Schiffslinie zwischen Buenos-Aires und dem allein mit den
nötigen Vorrichtungen zum Auftauen usw. versehenen Heimathafen — setzen
darf. Es wäre unverantwortlich, wenn wir, ohne Seeherrschaft, dem Risiko
dieses Beispiels folgen wollten. Eine Unterbindung der genannten Schiffahrts-
Linie, die England fast ein Drittel seines gesamten Fleischbedarfs liefert, würde
die Verpflegung unseres Volkes direkt in Frage stellen.

Gegenwärtig zeigt ein Vergleich mit England die verhältnismäßige Solidität
und Überlegenheit unserer wirtschaftlichen Rüstung. Wir haben für unseren
Brotbedarf zu etwa vier Fünfteln, für unseren Fleischbedarf zu etwa neunzehn
Zwanzigsteln Eigendeckung und können hoffen, daß bei der Mannigfaltigkeit
unserer Grenzen keine Kombination fremder Mächte imstande sein wird, die
Zufuhr des Fehlenden abzuschneiden. Auch läßt sich wohl annehmen, daß
schlimmstenfalls der Konsum einer bescheidenen Einschränkung oder Abwechslung
mit anderen Lebensmitteln (Kartoffeln, Gemüse) fähig ist. Lasen wir doch vor
einiger Zeit von einem allgemeinen Fleischboykott in Amerika. In England
dagegen ist die Quote der Eigendeckung so gering geworden, daß sie praktisch
kaum mehr in Betracht kommt, und daß bereits von heute auf morgen eine
Stockung der Zufuhr bedrohlich wirkt. Dazu ist dort diese Zufuhr einzig und
allein auf das Meer und den Schutz der eigenen Flotte angewiesen. Nichts


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[0289] wirtschaftliche Rüstung Mittel (Rohprodukte) einzuführen genötigt ist, dabei aber auch noch unter vielen sich bietenden Bezugsquellen und Bezugswegen wählen kann: oder ob man das höchststehende Fabrikat der Landwirtschaft (Schlachtvieh) — das, weil lebendig, beim Transport allen möglichen Gefahren ausgesetzt ist, — einführen muß, und zwar von einer ganz bestimmten Bezugsquelle und nieist auf einem ganz bestimmten Wege, der verhältnismäßig leicht unterbunden werden kann. Von höchster Bedeutung ist, daß Schlachtvieh im Inlande in großen Mengen dauernd herangezogen wird, daß Produktionsstätten und Produzenten hierfür vorhanden sind, daß es an dem Viehstammkapital nicht fehlt, von dem nötigenfalls eine Weile gezehrt werden kann. Daß dagegen das inländische Schlachtvieh teilweise mit ausländischem Futter herangezogen wird, beeinträchtigt unsere Rüstung fast ebensowenig, als daß unsere Kanonen teilweise aus ausländischem Eisenerz gefertigt sein mögen. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich auch für uns durchaus uicht, dem Beispiele Englands zu folgen und die Einfuhr argentinischen Gefrierfleisches zu erleichtern. Wir wollen durchaus nicht bezweifeln, daß sich der Markt für frisches Fleisch in England ganz ebenso unabhängig von dem Markt für „Frost¬ fleisch" erhalten hat, wie bei uns etwa der Buttermarkt von dem Palminmarkt oder wie der Markt lebender Fische von demjenigen toter Fische; daß also unsere Landwirtschaft unter der Konkurrenz des billigeren, aber auch minder¬ wertigen Gefrierfleisches kaum zu leiden haben würde. Worauf es vom kriegerischen Standpunkt aus ankommt, ist, daß nur derjenige, welcher die Seegewalt besitzt und sie unter allen Umständen zu behaupten gedenkt, soviel auf eine einzige Karte — hier die Schiffslinie zwischen Buenos-Aires und dem allein mit den nötigen Vorrichtungen zum Auftauen usw. versehenen Heimathafen — setzen darf. Es wäre unverantwortlich, wenn wir, ohne Seeherrschaft, dem Risiko dieses Beispiels folgen wollten. Eine Unterbindung der genannten Schiffahrts- Linie, die England fast ein Drittel seines gesamten Fleischbedarfs liefert, würde die Verpflegung unseres Volkes direkt in Frage stellen. Gegenwärtig zeigt ein Vergleich mit England die verhältnismäßige Solidität und Überlegenheit unserer wirtschaftlichen Rüstung. Wir haben für unseren Brotbedarf zu etwa vier Fünfteln, für unseren Fleischbedarf zu etwa neunzehn Zwanzigsteln Eigendeckung und können hoffen, daß bei der Mannigfaltigkeit unserer Grenzen keine Kombination fremder Mächte imstande sein wird, die Zufuhr des Fehlenden abzuschneiden. Auch läßt sich wohl annehmen, daß schlimmstenfalls der Konsum einer bescheidenen Einschränkung oder Abwechslung mit anderen Lebensmitteln (Kartoffeln, Gemüse) fähig ist. Lasen wir doch vor einiger Zeit von einem allgemeinen Fleischboykott in Amerika. In England dagegen ist die Quote der Eigendeckung so gering geworden, daß sie praktisch kaum mehr in Betracht kommt, und daß bereits von heute auf morgen eine Stockung der Zufuhr bedrohlich wirkt. Dazu ist dort diese Zufuhr einzig und allein auf das Meer und den Schutz der eigenen Flotte angewiesen. Nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/289>, abgerufen am 03.07.2024.