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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer Verfolgung

mit den Grundsätzen, die die Zensurbehörde ausgesprochen hatte, stimmte sie
nicht überein. Denn Schleiermacher vertrat eine bestimmte Meinung, sogar in
dem Falle, daß sie nicht die Billigung der Regierung finden sollte, und er suchte
Anhänger für seine Gedanken zu gewinnen. Der nach unseren Begriffen recht
maßvolle Artikel Schleiermachers hatte denn auch glücklich die Zensur des
Geheimen Legationsrath von Schultz passiert. Aber der ängstliche Staatskanzler
Hardenberg verfügte daraufhin, die Zensur sei diesem abzunehmen und dem
Polizeipräsidenten Lecoq zu übertragen. Der Verfasser des Artikels aber sollte
aus dem Manuskript ermittelt werden. Hardenberg schrieb an den Geheimen
Staatsrat von Schuckmann: "Ich trage Ihnen auf, demselben seiner Dienste
Entlassung anzukündigen und ihm anzudeuten, binnen achtundvierzig Stunden
Berlin zu verlassen und sich über schwedisch-Pommern ins Ausland zu begeben,
mache Sie auch verantwortlich dafür, daß der Befehl pünktlich zur Ausführung
gebracht werde." Schleiermacher ahnte nicht, welche Gefahr über seinem Haupte
schwebte, als er als Redakteur des Korrespondenten von Schuckmann vorgeladen
wurde. Er bekannte sich gleich als Verfasser des Artikels und mußte sich einen
derben Verweis gefallen lassen, in dem Worte wie "Hochverrat" fielen. Im
Wiederholungsfalle wurde ihm Absetzung angedroht. Daß Hardenberg diese
eigentlich schon verfügt hatte, hat er niemals erfahren. Er wußte dem Gespräch
mit Schuckmann eine solche Wendung zu geben, daß dieser ihm wiederholt ver¬
sicherte, er halte ihn für einen aufrichtigen, das Vaterland liebenden Mann.
Und schließlich sprachen beide darüber, wie weit eigentlich bei Zeitungen die
Preßfreiheit gehen sollte.

Schleiermacher kam der Verweis abgeschmackt und lächerlich vor. Er äußerte
von jetzt an nur um so freimütiger und ungenierter seine Meinung. Aber um
so unbarmherziger strich Lecoq, dem alle Artikel im Manuskript vorgelegt werden
mußten, alles durch, was im etwaigen Gegensatz zu der offiziell gewünschten
Meinung stehen konnte. Zensor und Redakteur führten einen beständigen Klein¬
krieg miteinander. Als Lecoq die Sache zu arg wurde, schrieb er am 25. September
an Schleiermacher in verweisenden Ton: keine andere Zeitung habe so viel
Anlaß zu Streichungen gegeben und gegen die Vorschriften der Zensurbehörde
verstoßen. Schleiermachers Antwort bewies den Meister der Dialektik: Es tue
ihm leid, dem Zensor oder vielmehr dessen Unterbeamten Mühe gemacht zu
haben. Aber wenn diese doch einmal sich der Arbeit unterziehen müßten, die
Zeitungsartikel zu lesen, so sei die Mühe des Streichens keine so sehr große.
Auch fasse er das Verhältnis von Redakteur und Zensor wie ein Handelsgeschäft
aus, bei dem der eine vorschlage und dann sich etwas abdingen lasse. Die den
Redaktionen am 6. Juli mitgeteilten Vorschriften seien Vorschriften für den
Zensor, nicht für die Redakteure. Nur mit Befremden habe er einen Ton der
Drohung in dem Schreiben herausgehört. Die Zensurbehörde aber habe nicht
das Recht, Verweise zu erteilen und Drohungen zu erlassen. Lecoq flüchtete
sich wieder zu Hardenberg und rief dessen Schutz "gegen ungeziemende An-


Schleiermacher in politischer Verfolgung

mit den Grundsätzen, die die Zensurbehörde ausgesprochen hatte, stimmte sie
nicht überein. Denn Schleiermacher vertrat eine bestimmte Meinung, sogar in
dem Falle, daß sie nicht die Billigung der Regierung finden sollte, und er suchte
Anhänger für seine Gedanken zu gewinnen. Der nach unseren Begriffen recht
maßvolle Artikel Schleiermachers hatte denn auch glücklich die Zensur des
Geheimen Legationsrath von Schultz passiert. Aber der ängstliche Staatskanzler
Hardenberg verfügte daraufhin, die Zensur sei diesem abzunehmen und dem
Polizeipräsidenten Lecoq zu übertragen. Der Verfasser des Artikels aber sollte
aus dem Manuskript ermittelt werden. Hardenberg schrieb an den Geheimen
Staatsrat von Schuckmann: „Ich trage Ihnen auf, demselben seiner Dienste
Entlassung anzukündigen und ihm anzudeuten, binnen achtundvierzig Stunden
Berlin zu verlassen und sich über schwedisch-Pommern ins Ausland zu begeben,
mache Sie auch verantwortlich dafür, daß der Befehl pünktlich zur Ausführung
gebracht werde." Schleiermacher ahnte nicht, welche Gefahr über seinem Haupte
schwebte, als er als Redakteur des Korrespondenten von Schuckmann vorgeladen
wurde. Er bekannte sich gleich als Verfasser des Artikels und mußte sich einen
derben Verweis gefallen lassen, in dem Worte wie „Hochverrat" fielen. Im
Wiederholungsfalle wurde ihm Absetzung angedroht. Daß Hardenberg diese
eigentlich schon verfügt hatte, hat er niemals erfahren. Er wußte dem Gespräch
mit Schuckmann eine solche Wendung zu geben, daß dieser ihm wiederholt ver¬
sicherte, er halte ihn für einen aufrichtigen, das Vaterland liebenden Mann.
Und schließlich sprachen beide darüber, wie weit eigentlich bei Zeitungen die
Preßfreiheit gehen sollte.

Schleiermacher kam der Verweis abgeschmackt und lächerlich vor. Er äußerte
von jetzt an nur um so freimütiger und ungenierter seine Meinung. Aber um
so unbarmherziger strich Lecoq, dem alle Artikel im Manuskript vorgelegt werden
mußten, alles durch, was im etwaigen Gegensatz zu der offiziell gewünschten
Meinung stehen konnte. Zensor und Redakteur führten einen beständigen Klein¬
krieg miteinander. Als Lecoq die Sache zu arg wurde, schrieb er am 25. September
an Schleiermacher in verweisenden Ton: keine andere Zeitung habe so viel
Anlaß zu Streichungen gegeben und gegen die Vorschriften der Zensurbehörde
verstoßen. Schleiermachers Antwort bewies den Meister der Dialektik: Es tue
ihm leid, dem Zensor oder vielmehr dessen Unterbeamten Mühe gemacht zu
haben. Aber wenn diese doch einmal sich der Arbeit unterziehen müßten, die
Zeitungsartikel zu lesen, so sei die Mühe des Streichens keine so sehr große.
Auch fasse er das Verhältnis von Redakteur und Zensor wie ein Handelsgeschäft
aus, bei dem der eine vorschlage und dann sich etwas abdingen lasse. Die den
Redaktionen am 6. Juli mitgeteilten Vorschriften seien Vorschriften für den
Zensor, nicht für die Redakteure. Nur mit Befremden habe er einen Ton der
Drohung in dem Schreiben herausgehört. Die Zensurbehörde aber habe nicht
das Recht, Verweise zu erteilen und Drohungen zu erlassen. Lecoq flüchtete
sich wieder zu Hardenberg und rief dessen Schutz „gegen ungeziemende An-


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[0276] Schleiermacher in politischer Verfolgung mit den Grundsätzen, die die Zensurbehörde ausgesprochen hatte, stimmte sie nicht überein. Denn Schleiermacher vertrat eine bestimmte Meinung, sogar in dem Falle, daß sie nicht die Billigung der Regierung finden sollte, und er suchte Anhänger für seine Gedanken zu gewinnen. Der nach unseren Begriffen recht maßvolle Artikel Schleiermachers hatte denn auch glücklich die Zensur des Geheimen Legationsrath von Schultz passiert. Aber der ängstliche Staatskanzler Hardenberg verfügte daraufhin, die Zensur sei diesem abzunehmen und dem Polizeipräsidenten Lecoq zu übertragen. Der Verfasser des Artikels aber sollte aus dem Manuskript ermittelt werden. Hardenberg schrieb an den Geheimen Staatsrat von Schuckmann: „Ich trage Ihnen auf, demselben seiner Dienste Entlassung anzukündigen und ihm anzudeuten, binnen achtundvierzig Stunden Berlin zu verlassen und sich über schwedisch-Pommern ins Ausland zu begeben, mache Sie auch verantwortlich dafür, daß der Befehl pünktlich zur Ausführung gebracht werde." Schleiermacher ahnte nicht, welche Gefahr über seinem Haupte schwebte, als er als Redakteur des Korrespondenten von Schuckmann vorgeladen wurde. Er bekannte sich gleich als Verfasser des Artikels und mußte sich einen derben Verweis gefallen lassen, in dem Worte wie „Hochverrat" fielen. Im Wiederholungsfalle wurde ihm Absetzung angedroht. Daß Hardenberg diese eigentlich schon verfügt hatte, hat er niemals erfahren. Er wußte dem Gespräch mit Schuckmann eine solche Wendung zu geben, daß dieser ihm wiederholt ver¬ sicherte, er halte ihn für einen aufrichtigen, das Vaterland liebenden Mann. Und schließlich sprachen beide darüber, wie weit eigentlich bei Zeitungen die Preßfreiheit gehen sollte. Schleiermacher kam der Verweis abgeschmackt und lächerlich vor. Er äußerte von jetzt an nur um so freimütiger und ungenierter seine Meinung. Aber um so unbarmherziger strich Lecoq, dem alle Artikel im Manuskript vorgelegt werden mußten, alles durch, was im etwaigen Gegensatz zu der offiziell gewünschten Meinung stehen konnte. Zensor und Redakteur führten einen beständigen Klein¬ krieg miteinander. Als Lecoq die Sache zu arg wurde, schrieb er am 25. September an Schleiermacher in verweisenden Ton: keine andere Zeitung habe so viel Anlaß zu Streichungen gegeben und gegen die Vorschriften der Zensurbehörde verstoßen. Schleiermachers Antwort bewies den Meister der Dialektik: Es tue ihm leid, dem Zensor oder vielmehr dessen Unterbeamten Mühe gemacht zu haben. Aber wenn diese doch einmal sich der Arbeit unterziehen müßten, die Zeitungsartikel zu lesen, so sei die Mühe des Streichens keine so sehr große. Auch fasse er das Verhältnis von Redakteur und Zensor wie ein Handelsgeschäft aus, bei dem der eine vorschlage und dann sich etwas abdingen lasse. Die den Redaktionen am 6. Juli mitgeteilten Vorschriften seien Vorschriften für den Zensor, nicht für die Redakteure. Nur mit Befremden habe er einen Ton der Drohung in dem Schreiben herausgehört. Die Zensurbehörde aber habe nicht das Recht, Verweise zu erteilen und Drohungen zu erlassen. Lecoq flüchtete sich wieder zu Hardenberg und rief dessen Schutz „gegen ungeziemende An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/276>, abgerufen am 23.07.2024.