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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer vorfolgnng

Felde nicht verwendet wurde, übernahm er im Juni 1813 die Redaktion des
Preußischen Korrespondenten, den bis dahin Niebuhr geleitet hatte, um auf diese
Weise auf die Gesinnung seiner Mitbürger zu wirken. Diese Zeitung war von
der Patriotenpartei begründet worden und Scharnhorst hatte feine Freude darüber
ausgesprochen. Während die gewöhnlichen Zeitungen nur kritiklos Nachrichten
verbreiten und das Publikum unterhalten wollten, sollte der Preußische Korre¬
spondent eine Zeitung im neuen großen Stil sein. Er sollte das politische Urteil
der Leser bilden helfen. Es war für jene Zeit etwas ganz Neues, daß Privat¬
männer in diesem Sinne wirkten. Es gab noch keine politischen Publizisten,
denn noch herrschte die Theorie vom beschränkten Untertanenverstand. Der
gute Bürger sollte schweigen und gehorchen und der überlegenen Weisheit der
Regierung vertrauen, was diese auch beschließen mochte. In unglaublich eng¬
herziger und kleinlicher Weise wurde die Zensur gehandhabt. Am 6. Juli 1813
erließ die Berliner Zensurbehörde an die drei in Berlin erscheinenden politischen
Zeitungen, die Spenersche, die Vossische Zeitung und an den Preußischen Korre¬
spondenten, ein Zirkular, in dem folgende Sätze standen:

Es "dürfen in keinerlei Formen Aufsätze und Äußerungen aufgenommen
werden, die offen oder versteckt eine revolutionäre Tendenz haben, oder einen
Tadel bestehender Einrichtungen, Verfügungen und Maßregeln direkt oder indirekt
enthalten. Festes Anschließen an die geheiligte Person unseres allverehrten
Monarchen, unbedingtes Vertrauen in die Weisheit und Zweckmäßigkeit der von
ihm nach den jedesmaligen Umständen gut befundenen Beschlüssen und Vor¬
schriften, sorgfältige Enthaltung von allem lauten Tadel der Maßregeln der
Regierung, bescheidene Versagung alles öffentlichen Urteils, wodurch ihrem
Ermessen und ihrer Übersicht unschicklich vorgegriffen wird -- hierin besteht jetzt
die erste und heiligste Pflicht des wahren Patrioten; in diesem Sinne zu wirken
durch Wort, Schrift und Tat ist allein des guten Staatsbürgers würdig".
Eine selbständige, charaktervolle Leitung einer Zeitung ist natürlich unmöglich,
wenn die Zensur eine derartige Haltung vorschreibt.

Hegel hatte 1807 in diesen? Sinne die Bamberger politische Zeitung
redigiert. "Der Neugierde des Publikums ihr Futter zu liefern" war sein
, einziges Bestreben gewesen. Von dem ethischen Beruf eines Redakteurs hatte
er kein Bewußtsein. Schleiermacher dachte ganz anders, daher kam er bald in
Schwierigkeiten mit der Zensur. - Am 14. Juli 1813 erschien ein Artikel
Schleiermachers, in dem er die Befürchtung aussprach, der soeben verlängerte
Waffenstillstand könnte zu einem voreiligen Friedensschluß führen. Ein solcher
Friede würde uns. führte Schleiermacher aus, noch nicht das Verlorene wieder¬
geben. Es sei zu fürchten, daß ängstliche Gemüter, die zuerst einen guten
Anlauf genommen, von frühzeitiger Friedenssehnsucht übermannt, in ihren
Anstrengungen erschlafften. Ebenso wie Schleiermacher dachten die meisten
Patrioten. Man sollte meinen, eine solche Meinungsäußerung in einer politischen
Zeitung sei auch für jene Zeiten ganz unverfänglich gewesen. Aber allerdings,


Schleiermacher in politischer vorfolgnng

Felde nicht verwendet wurde, übernahm er im Juni 1813 die Redaktion des
Preußischen Korrespondenten, den bis dahin Niebuhr geleitet hatte, um auf diese
Weise auf die Gesinnung seiner Mitbürger zu wirken. Diese Zeitung war von
der Patriotenpartei begründet worden und Scharnhorst hatte feine Freude darüber
ausgesprochen. Während die gewöhnlichen Zeitungen nur kritiklos Nachrichten
verbreiten und das Publikum unterhalten wollten, sollte der Preußische Korre¬
spondent eine Zeitung im neuen großen Stil sein. Er sollte das politische Urteil
der Leser bilden helfen. Es war für jene Zeit etwas ganz Neues, daß Privat¬
männer in diesem Sinne wirkten. Es gab noch keine politischen Publizisten,
denn noch herrschte die Theorie vom beschränkten Untertanenverstand. Der
gute Bürger sollte schweigen und gehorchen und der überlegenen Weisheit der
Regierung vertrauen, was diese auch beschließen mochte. In unglaublich eng¬
herziger und kleinlicher Weise wurde die Zensur gehandhabt. Am 6. Juli 1813
erließ die Berliner Zensurbehörde an die drei in Berlin erscheinenden politischen
Zeitungen, die Spenersche, die Vossische Zeitung und an den Preußischen Korre¬
spondenten, ein Zirkular, in dem folgende Sätze standen:

Es „dürfen in keinerlei Formen Aufsätze und Äußerungen aufgenommen
werden, die offen oder versteckt eine revolutionäre Tendenz haben, oder einen
Tadel bestehender Einrichtungen, Verfügungen und Maßregeln direkt oder indirekt
enthalten. Festes Anschließen an die geheiligte Person unseres allverehrten
Monarchen, unbedingtes Vertrauen in die Weisheit und Zweckmäßigkeit der von
ihm nach den jedesmaligen Umständen gut befundenen Beschlüssen und Vor¬
schriften, sorgfältige Enthaltung von allem lauten Tadel der Maßregeln der
Regierung, bescheidene Versagung alles öffentlichen Urteils, wodurch ihrem
Ermessen und ihrer Übersicht unschicklich vorgegriffen wird — hierin besteht jetzt
die erste und heiligste Pflicht des wahren Patrioten; in diesem Sinne zu wirken
durch Wort, Schrift und Tat ist allein des guten Staatsbürgers würdig".
Eine selbständige, charaktervolle Leitung einer Zeitung ist natürlich unmöglich,
wenn die Zensur eine derartige Haltung vorschreibt.

Hegel hatte 1807 in diesen? Sinne die Bamberger politische Zeitung
redigiert. „Der Neugierde des Publikums ihr Futter zu liefern" war sein
, einziges Bestreben gewesen. Von dem ethischen Beruf eines Redakteurs hatte
er kein Bewußtsein. Schleiermacher dachte ganz anders, daher kam er bald in
Schwierigkeiten mit der Zensur. - Am 14. Juli 1813 erschien ein Artikel
Schleiermachers, in dem er die Befürchtung aussprach, der soeben verlängerte
Waffenstillstand könnte zu einem voreiligen Friedensschluß führen. Ein solcher
Friede würde uns. führte Schleiermacher aus, noch nicht das Verlorene wieder¬
geben. Es sei zu fürchten, daß ängstliche Gemüter, die zuerst einen guten
Anlauf genommen, von frühzeitiger Friedenssehnsucht übermannt, in ihren
Anstrengungen erschlafften. Ebenso wie Schleiermacher dachten die meisten
Patrioten. Man sollte meinen, eine solche Meinungsäußerung in einer politischen
Zeitung sei auch für jene Zeiten ganz unverfänglich gewesen. Aber allerdings,


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[0275] Schleiermacher in politischer vorfolgnng Felde nicht verwendet wurde, übernahm er im Juni 1813 die Redaktion des Preußischen Korrespondenten, den bis dahin Niebuhr geleitet hatte, um auf diese Weise auf die Gesinnung seiner Mitbürger zu wirken. Diese Zeitung war von der Patriotenpartei begründet worden und Scharnhorst hatte feine Freude darüber ausgesprochen. Während die gewöhnlichen Zeitungen nur kritiklos Nachrichten verbreiten und das Publikum unterhalten wollten, sollte der Preußische Korre¬ spondent eine Zeitung im neuen großen Stil sein. Er sollte das politische Urteil der Leser bilden helfen. Es war für jene Zeit etwas ganz Neues, daß Privat¬ männer in diesem Sinne wirkten. Es gab noch keine politischen Publizisten, denn noch herrschte die Theorie vom beschränkten Untertanenverstand. Der gute Bürger sollte schweigen und gehorchen und der überlegenen Weisheit der Regierung vertrauen, was diese auch beschließen mochte. In unglaublich eng¬ herziger und kleinlicher Weise wurde die Zensur gehandhabt. Am 6. Juli 1813 erließ die Berliner Zensurbehörde an die drei in Berlin erscheinenden politischen Zeitungen, die Spenersche, die Vossische Zeitung und an den Preußischen Korre¬ spondenten, ein Zirkular, in dem folgende Sätze standen: Es „dürfen in keinerlei Formen Aufsätze und Äußerungen aufgenommen werden, die offen oder versteckt eine revolutionäre Tendenz haben, oder einen Tadel bestehender Einrichtungen, Verfügungen und Maßregeln direkt oder indirekt enthalten. Festes Anschließen an die geheiligte Person unseres allverehrten Monarchen, unbedingtes Vertrauen in die Weisheit und Zweckmäßigkeit der von ihm nach den jedesmaligen Umständen gut befundenen Beschlüssen und Vor¬ schriften, sorgfältige Enthaltung von allem lauten Tadel der Maßregeln der Regierung, bescheidene Versagung alles öffentlichen Urteils, wodurch ihrem Ermessen und ihrer Übersicht unschicklich vorgegriffen wird — hierin besteht jetzt die erste und heiligste Pflicht des wahren Patrioten; in diesem Sinne zu wirken durch Wort, Schrift und Tat ist allein des guten Staatsbürgers würdig". Eine selbständige, charaktervolle Leitung einer Zeitung ist natürlich unmöglich, wenn die Zensur eine derartige Haltung vorschreibt. Hegel hatte 1807 in diesen? Sinne die Bamberger politische Zeitung redigiert. „Der Neugierde des Publikums ihr Futter zu liefern" war sein , einziges Bestreben gewesen. Von dem ethischen Beruf eines Redakteurs hatte er kein Bewußtsein. Schleiermacher dachte ganz anders, daher kam er bald in Schwierigkeiten mit der Zensur. - Am 14. Juli 1813 erschien ein Artikel Schleiermachers, in dem er die Befürchtung aussprach, der soeben verlängerte Waffenstillstand könnte zu einem voreiligen Friedensschluß führen. Ein solcher Friede würde uns. führte Schleiermacher aus, noch nicht das Verlorene wieder¬ geben. Es sei zu fürchten, daß ängstliche Gemüter, die zuerst einen guten Anlauf genommen, von frühzeitiger Friedenssehnsucht übermannt, in ihren Anstrengungen erschlafften. Ebenso wie Schleiermacher dachten die meisten Patrioten. Man sollte meinen, eine solche Meinungsäußerung in einer politischen Zeitung sei auch für jene Zeiten ganz unverfänglich gewesen. Aber allerdings,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/275>, abgerufen am 22.07.2024.