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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der Wiescnzaun

Und wie es des raschen, leichtentzündlichen Mannes Art war, legte er
liebkosend seinen Arm um Dürer und sah ihm mit flammenden Augen ernst
ins Antlitz. "Ich hab' Euch ganz verstanden. Lieber, und ich sag' Euch: Ich
bin stolz, Euer Freund zu seinl Ich wollt', ich könnt' mich Eures reinen kind¬
lichen Herzens rühmen. Dann stund' es wahrlich besser mit mir, wiewohl
ich --", er hielt einen Augenblick inne, und der alte Schalk begann seine Lippen
wieder zu umspielen, "wiewohl ich dann auch mancherlei an kleinen Freuden
niemals genossen hätt'!"

"Ihr seid ein unverbesserlicher Schlemmer," wehrte ihn Dürer lachend
ab. Er konnte diesem prächtigen Menschen niemals auch nur ein Viertelstündchen
gram sein. '

Dieser aber, als sei nun eine strafende Gerechtigkeit sogleich bereit, die
Verwegenheit seiner Anschauungen zu rächen, begann sich plötzlich unter leisem
Stöhnen sein linkes Bein zu betasten.

"O weh, sie hat mich wieder!" rief er in drolliger Verzweiflung und sank
in den nächsten Stuhl. "Das macht, weil ich aus lauter Lieb' so hastig auf
Euch zugesprungen bin!"

"Wie könnt Ihr Euch darob erzürnen," begann nun Dürer zu spötteln.
"Habt Ihr nit selbst die .Fürstin Podagrci' so weihevoll besungen, wie nur je
ein Schwärmer die Geliebte, und habt sie laut gepriesen, da sie Euch ans
Schreibpult schö'le und vor Frau Venus gefahrvollen Pfeilen bewahre? Und
nun beklagt Ihr Euch über sie?"

"Besingen und erleiden ist zweierlei," stöhnte Pirkheimer halb lachend, halb
ergrimmt. "Doch nun lebt wohl! Zum Glück hab' ich mein Pferd bereit,
sonst müßt ich heut' gar jämmerlich nach Haus hinken. Und wenn des Kaisers
Antwort kommt, so sollt Ihr von mir hören!"

Dürer ließ es sich nicht nehmen, den Freund die Stiege hinab und bis
ans Tor zu geleiten, wo der Knecht mit den Pferden wartete.

"Nun darf ich," jammerte Pirkheimer, nachdem er sich ächzend in den
Sattel geschwungen, "ein Wöchlein zuhause sitzen und die Früchte meiner Welt¬
lichkeit genießen. Meine fromme Schwester Caritas, die nennt das .ein Ge¬
fangener Gottes' sein. Nun ja! Lebt wohlt"

Als Dürer in sein Erkerzimmer zurückkehrte, da sah er sein Weib vor dem
Tische stehen, mit düsterer Miene das Marienbild betrachtend.

"Das hast du mir noch nit gezeigt," meinte sie erregt. "Ich find', du
hast viel redliche Müh' an die fremde Dirn verwandt!"

"Sie ist mir nit mehr fremd," versetzte Dürer ruhig. "Sie ist mir dessen
wert, wozu ich sie erwählt."

"Du hätt'se der ehrsamen Frauen genug, die auch das Bild mit gutem
Gold bezahlt hätten. Die aber ist eine hergelaufene Dirn, die zieht mit dem
betrunkenen Vater von Herberg zu Herberg. Da kann sie nit von hohen
Sitten seinl"


Der Wiescnzaun

Und wie es des raschen, leichtentzündlichen Mannes Art war, legte er
liebkosend seinen Arm um Dürer und sah ihm mit flammenden Augen ernst
ins Antlitz. „Ich hab' Euch ganz verstanden. Lieber, und ich sag' Euch: Ich
bin stolz, Euer Freund zu seinl Ich wollt', ich könnt' mich Eures reinen kind¬
lichen Herzens rühmen. Dann stund' es wahrlich besser mit mir, wiewohl
ich —", er hielt einen Augenblick inne, und der alte Schalk begann seine Lippen
wieder zu umspielen, „wiewohl ich dann auch mancherlei an kleinen Freuden
niemals genossen hätt'!"

„Ihr seid ein unverbesserlicher Schlemmer," wehrte ihn Dürer lachend
ab. Er konnte diesem prächtigen Menschen niemals auch nur ein Viertelstündchen
gram sein. '

Dieser aber, als sei nun eine strafende Gerechtigkeit sogleich bereit, die
Verwegenheit seiner Anschauungen zu rächen, begann sich plötzlich unter leisem
Stöhnen sein linkes Bein zu betasten.

„O weh, sie hat mich wieder!" rief er in drolliger Verzweiflung und sank
in den nächsten Stuhl. „Das macht, weil ich aus lauter Lieb' so hastig auf
Euch zugesprungen bin!"

„Wie könnt Ihr Euch darob erzürnen," begann nun Dürer zu spötteln.
„Habt Ihr nit selbst die .Fürstin Podagrci' so weihevoll besungen, wie nur je
ein Schwärmer die Geliebte, und habt sie laut gepriesen, da sie Euch ans
Schreibpult schö'le und vor Frau Venus gefahrvollen Pfeilen bewahre? Und
nun beklagt Ihr Euch über sie?"

„Besingen und erleiden ist zweierlei," stöhnte Pirkheimer halb lachend, halb
ergrimmt. „Doch nun lebt wohl! Zum Glück hab' ich mein Pferd bereit,
sonst müßt ich heut' gar jämmerlich nach Haus hinken. Und wenn des Kaisers
Antwort kommt, so sollt Ihr von mir hören!"

Dürer ließ es sich nicht nehmen, den Freund die Stiege hinab und bis
ans Tor zu geleiten, wo der Knecht mit den Pferden wartete.

„Nun darf ich," jammerte Pirkheimer, nachdem er sich ächzend in den
Sattel geschwungen, „ein Wöchlein zuhause sitzen und die Früchte meiner Welt¬
lichkeit genießen. Meine fromme Schwester Caritas, die nennt das .ein Ge¬
fangener Gottes' sein. Nun ja! Lebt wohlt"

Als Dürer in sein Erkerzimmer zurückkehrte, da sah er sein Weib vor dem
Tische stehen, mit düsterer Miene das Marienbild betrachtend.

„Das hast du mir noch nit gezeigt," meinte sie erregt. „Ich find', du
hast viel redliche Müh' an die fremde Dirn verwandt!"

„Sie ist mir nit mehr fremd," versetzte Dürer ruhig. „Sie ist mir dessen
wert, wozu ich sie erwählt."

„Du hätt'se der ehrsamen Frauen genug, die auch das Bild mit gutem
Gold bezahlt hätten. Die aber ist eine hergelaufene Dirn, die zieht mit dem
betrunkenen Vater von Herberg zu Herberg. Da kann sie nit von hohen
Sitten seinl"


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[0242] Der Wiescnzaun Und wie es des raschen, leichtentzündlichen Mannes Art war, legte er liebkosend seinen Arm um Dürer und sah ihm mit flammenden Augen ernst ins Antlitz. „Ich hab' Euch ganz verstanden. Lieber, und ich sag' Euch: Ich bin stolz, Euer Freund zu seinl Ich wollt', ich könnt' mich Eures reinen kind¬ lichen Herzens rühmen. Dann stund' es wahrlich besser mit mir, wiewohl ich —", er hielt einen Augenblick inne, und der alte Schalk begann seine Lippen wieder zu umspielen, „wiewohl ich dann auch mancherlei an kleinen Freuden niemals genossen hätt'!" „Ihr seid ein unverbesserlicher Schlemmer," wehrte ihn Dürer lachend ab. Er konnte diesem prächtigen Menschen niemals auch nur ein Viertelstündchen gram sein. ' Dieser aber, als sei nun eine strafende Gerechtigkeit sogleich bereit, die Verwegenheit seiner Anschauungen zu rächen, begann sich plötzlich unter leisem Stöhnen sein linkes Bein zu betasten. „O weh, sie hat mich wieder!" rief er in drolliger Verzweiflung und sank in den nächsten Stuhl. „Das macht, weil ich aus lauter Lieb' so hastig auf Euch zugesprungen bin!" „Wie könnt Ihr Euch darob erzürnen," begann nun Dürer zu spötteln. „Habt Ihr nit selbst die .Fürstin Podagrci' so weihevoll besungen, wie nur je ein Schwärmer die Geliebte, und habt sie laut gepriesen, da sie Euch ans Schreibpult schö'le und vor Frau Venus gefahrvollen Pfeilen bewahre? Und nun beklagt Ihr Euch über sie?" „Besingen und erleiden ist zweierlei," stöhnte Pirkheimer halb lachend, halb ergrimmt. „Doch nun lebt wohl! Zum Glück hab' ich mein Pferd bereit, sonst müßt ich heut' gar jämmerlich nach Haus hinken. Und wenn des Kaisers Antwort kommt, so sollt Ihr von mir hören!" Dürer ließ es sich nicht nehmen, den Freund die Stiege hinab und bis ans Tor zu geleiten, wo der Knecht mit den Pferden wartete. „Nun darf ich," jammerte Pirkheimer, nachdem er sich ächzend in den Sattel geschwungen, „ein Wöchlein zuhause sitzen und die Früchte meiner Welt¬ lichkeit genießen. Meine fromme Schwester Caritas, die nennt das .ein Ge¬ fangener Gottes' sein. Nun ja! Lebt wohlt" Als Dürer in sein Erkerzimmer zurückkehrte, da sah er sein Weib vor dem Tische stehen, mit düsterer Miene das Marienbild betrachtend. „Das hast du mir noch nit gezeigt," meinte sie erregt. „Ich find', du hast viel redliche Müh' an die fremde Dirn verwandt!" „Sie ist mir nit mehr fremd," versetzte Dürer ruhig. „Sie ist mir dessen wert, wozu ich sie erwählt." „Du hätt'se der ehrsamen Frauen genug, die auch das Bild mit gutem Gold bezahlt hätten. Die aber ist eine hergelaufene Dirn, die zieht mit dem betrunkenen Vater von Herberg zu Herberg. Da kann sie nit von hohen Sitten seinl"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/242>, abgerufen am 26.06.2024.