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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der MiesenMM

zum Ende, und nirgends seid Ihr Frau Harmoma ein Eckchen schuldig geblieben.
So habt Ihr ein Stück einträchtig vollendeten Daseins auf diese Tafel hin¬
gebreitet, wo alles lächelnd in sich selbst beruht und nichts von außen her
verlangt wird."

"Doch will ich Euch gestehen," fuhr er nach einer Pause mit verschmitztem
Lächeln fort, "daß mir die schöne Jungfrau zwar sehr liebenswürdig, jedoch
nit völlig bei ihrem himmlischen Amte zu sein scheint. Es ist, als dächte sie
ein Endchen zu viel an sich selbst, und als wäre sie nur die Himmelsmutter,
weil der Herr Maler es also gewollt, wobei jedoch ein vollgemessen Blitzlein
noch ungezähmter Erdenfreude ihren lieblichen Äuglein entfleucht. Fast hätt' ich
Euch geraten, im Fall' Ihr mich vorher gefragt, das schöne stattliche Weibs¬
wesen nit als Himmelsmutter, wohl aber, nit minder göttlich, doch aller irdischen
Hüllen ledig, als leuchtende Vsnu8 amirabilis zu malen, wobei Euch nit
geringere Ehr', jedoch noch mehr an Herzenssreud' entstanden wär'. Ihr wißt
ja noch mein heidnisch Glaubenssprüchlein, das ich zumeist dem seligen Plato
abgelauscht und das da lautet: Die Alten sind vom Christentum nit fern
gewesen! -- Was sagt Ihr nun dazu?"

Dürer hatte großen Auges jedes Wort des Freundes in sich aufgenommen,
und seine hohe, leuchtende Stirn hatte sich trüb umwölkt.

"Ihr tut nit gut daran, mich solcherart ans Irdische zu mahnen," sprach
er mit wehem Ernst, "Ihr wißt ja nit, wie viel mich dieser Weg gekostet, und
ob ich nit in schwerer Nacht mir Kraft geholt, auf daß ich endlich sagen konnt':
Die Kunst ist groß und schwer und gut, und wir mögen sie mit Ehren in das
Lob Gottes wenden. Und wenn die Alten ihre schönst' Gestalt eines Menschen
ihrem Abgott Apollo zugemessen, so wollen wir jetzt dasselbe Maß brauchen zu
Christo, dem Herrn, der der Schönste auf der Welt ist. lind wie sie einst die
Venus gebracht haben als das schönste Weib, also wollen wir dieselbe zierliche
Gestalt keuschlich darlegen der allerreinsten Jungfrau Maria, der Mutter
Gottes!"

Dürers Antlitz war, je länger er sprach, um so blässer und gestrenger
geworden. Es zuckte ein verhaltener Schmerz darin und die Kunde von un¬
ausgesprochenen Qualen. Und mit einemmal verstand Herr Pirkheimer des
geliebten Meisters wunderliche Worte, und seine spottgerüstete Seele wurde dabei
von Scham und Neue erfaßt: ins Himmlische hatte Dürer die Felicitas entrückt,
weil sie ihm irdisch nicht gehören durfte.

Dem großen Epikuräer, Freudenbejaher und Vielheitsdenker wurde bei
dieser schlichten Erkenntnis etwas schwül zumute. Nun hatte ihn wieder ein
Hauch berührt jener sittlich starren Mannesentschlossenheit, die um der Leiden¬
schaft willen die innere Stimme nicht morden will, und die sich allerorten bereits
in deutschen Landen wie Raunen vor dem Sturme zu regen begann, und als
dessen lauteste "Posaune des Evangeliums" der große Augustiner aus Wittenberg
zur Stunde die Massen begeisterte.


Der MiesenMM

zum Ende, und nirgends seid Ihr Frau Harmoma ein Eckchen schuldig geblieben.
So habt Ihr ein Stück einträchtig vollendeten Daseins auf diese Tafel hin¬
gebreitet, wo alles lächelnd in sich selbst beruht und nichts von außen her
verlangt wird."

„Doch will ich Euch gestehen," fuhr er nach einer Pause mit verschmitztem
Lächeln fort, „daß mir die schöne Jungfrau zwar sehr liebenswürdig, jedoch
nit völlig bei ihrem himmlischen Amte zu sein scheint. Es ist, als dächte sie
ein Endchen zu viel an sich selbst, und als wäre sie nur die Himmelsmutter,
weil der Herr Maler es also gewollt, wobei jedoch ein vollgemessen Blitzlein
noch ungezähmter Erdenfreude ihren lieblichen Äuglein entfleucht. Fast hätt' ich
Euch geraten, im Fall' Ihr mich vorher gefragt, das schöne stattliche Weibs¬
wesen nit als Himmelsmutter, wohl aber, nit minder göttlich, doch aller irdischen
Hüllen ledig, als leuchtende Vsnu8 amirabilis zu malen, wobei Euch nit
geringere Ehr', jedoch noch mehr an Herzenssreud' entstanden wär'. Ihr wißt
ja noch mein heidnisch Glaubenssprüchlein, das ich zumeist dem seligen Plato
abgelauscht und das da lautet: Die Alten sind vom Christentum nit fern
gewesen! — Was sagt Ihr nun dazu?"

Dürer hatte großen Auges jedes Wort des Freundes in sich aufgenommen,
und seine hohe, leuchtende Stirn hatte sich trüb umwölkt.

„Ihr tut nit gut daran, mich solcherart ans Irdische zu mahnen," sprach
er mit wehem Ernst, „Ihr wißt ja nit, wie viel mich dieser Weg gekostet, und
ob ich nit in schwerer Nacht mir Kraft geholt, auf daß ich endlich sagen konnt':
Die Kunst ist groß und schwer und gut, und wir mögen sie mit Ehren in das
Lob Gottes wenden. Und wenn die Alten ihre schönst' Gestalt eines Menschen
ihrem Abgott Apollo zugemessen, so wollen wir jetzt dasselbe Maß brauchen zu
Christo, dem Herrn, der der Schönste auf der Welt ist. lind wie sie einst die
Venus gebracht haben als das schönste Weib, also wollen wir dieselbe zierliche
Gestalt keuschlich darlegen der allerreinsten Jungfrau Maria, der Mutter
Gottes!"

Dürers Antlitz war, je länger er sprach, um so blässer und gestrenger
geworden. Es zuckte ein verhaltener Schmerz darin und die Kunde von un¬
ausgesprochenen Qualen. Und mit einemmal verstand Herr Pirkheimer des
geliebten Meisters wunderliche Worte, und seine spottgerüstete Seele wurde dabei
von Scham und Neue erfaßt: ins Himmlische hatte Dürer die Felicitas entrückt,
weil sie ihm irdisch nicht gehören durfte.

Dem großen Epikuräer, Freudenbejaher und Vielheitsdenker wurde bei
dieser schlichten Erkenntnis etwas schwül zumute. Nun hatte ihn wieder ein
Hauch berührt jener sittlich starren Mannesentschlossenheit, die um der Leiden¬
schaft willen die innere Stimme nicht morden will, und die sich allerorten bereits
in deutschen Landen wie Raunen vor dem Sturme zu regen begann, und als
dessen lauteste „Posaune des Evangeliums" der große Augustiner aus Wittenberg
zur Stunde die Massen begeisterte.


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[0241] Der MiesenMM zum Ende, und nirgends seid Ihr Frau Harmoma ein Eckchen schuldig geblieben. So habt Ihr ein Stück einträchtig vollendeten Daseins auf diese Tafel hin¬ gebreitet, wo alles lächelnd in sich selbst beruht und nichts von außen her verlangt wird." „Doch will ich Euch gestehen," fuhr er nach einer Pause mit verschmitztem Lächeln fort, „daß mir die schöne Jungfrau zwar sehr liebenswürdig, jedoch nit völlig bei ihrem himmlischen Amte zu sein scheint. Es ist, als dächte sie ein Endchen zu viel an sich selbst, und als wäre sie nur die Himmelsmutter, weil der Herr Maler es also gewollt, wobei jedoch ein vollgemessen Blitzlein noch ungezähmter Erdenfreude ihren lieblichen Äuglein entfleucht. Fast hätt' ich Euch geraten, im Fall' Ihr mich vorher gefragt, das schöne stattliche Weibs¬ wesen nit als Himmelsmutter, wohl aber, nit minder göttlich, doch aller irdischen Hüllen ledig, als leuchtende Vsnu8 amirabilis zu malen, wobei Euch nit geringere Ehr', jedoch noch mehr an Herzenssreud' entstanden wär'. Ihr wißt ja noch mein heidnisch Glaubenssprüchlein, das ich zumeist dem seligen Plato abgelauscht und das da lautet: Die Alten sind vom Christentum nit fern gewesen! — Was sagt Ihr nun dazu?" Dürer hatte großen Auges jedes Wort des Freundes in sich aufgenommen, und seine hohe, leuchtende Stirn hatte sich trüb umwölkt. „Ihr tut nit gut daran, mich solcherart ans Irdische zu mahnen," sprach er mit wehem Ernst, „Ihr wißt ja nit, wie viel mich dieser Weg gekostet, und ob ich nit in schwerer Nacht mir Kraft geholt, auf daß ich endlich sagen konnt': Die Kunst ist groß und schwer und gut, und wir mögen sie mit Ehren in das Lob Gottes wenden. Und wenn die Alten ihre schönst' Gestalt eines Menschen ihrem Abgott Apollo zugemessen, so wollen wir jetzt dasselbe Maß brauchen zu Christo, dem Herrn, der der Schönste auf der Welt ist. lind wie sie einst die Venus gebracht haben als das schönste Weib, also wollen wir dieselbe zierliche Gestalt keuschlich darlegen der allerreinsten Jungfrau Maria, der Mutter Gottes!" Dürers Antlitz war, je länger er sprach, um so blässer und gestrenger geworden. Es zuckte ein verhaltener Schmerz darin und die Kunde von un¬ ausgesprochenen Qualen. Und mit einemmal verstand Herr Pirkheimer des geliebten Meisters wunderliche Worte, und seine spottgerüstete Seele wurde dabei von Scham und Neue erfaßt: ins Himmlische hatte Dürer die Felicitas entrückt, weil sie ihm irdisch nicht gehören durfte. Dem großen Epikuräer, Freudenbejaher und Vielheitsdenker wurde bei dieser schlichten Erkenntnis etwas schwül zumute. Nun hatte ihn wieder ein Hauch berührt jener sittlich starren Mannesentschlossenheit, die um der Leiden¬ schaft willen die innere Stimme nicht morden will, und die sich allerorten bereits in deutschen Landen wie Raunen vor dem Sturme zu regen begann, und als dessen lauteste „Posaune des Evangeliums" der große Augustiner aus Wittenberg zur Stunde die Massen begeisterte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/241>, abgerufen am 26.06.2024.