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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks ^uf Kosten der Industrie?

Diese Ausführungen des Herrn Ressortministers sind ohne Zweifel besonders
bezeichnend. Es dürfte ferner aber auch stark gegen den Vorschlag sprechen,
daß er auf die lokalen Verhältnisse keinerlei Rücksicht nimmt. Bei seiner Ver¬
wirklichung würden alle Industriebetriebe, also auch diejenigen gleichmäßig
belastet werden, die nicht den geringsten Nutzen von der Handwerksausbildung
haben, da sie entweder überhaupt keine handwerksmäßig vorgebildeten Arbeiter
in ihren Betrieben beschäftigen oder weil aus örtlichen Gründen die für die Lehr¬
lings- und Gesellenausbildung von den Handwerkskammern getroffenen Ein¬
richtungen für sie nicht in Frage kommen. In dieser Beziehung ist bereits
früher im Parlamente zutreffend auf den Umstand hingewiesen worden, daß es
ungerechtfertigt sei, Fabriken zu den Kosten für Einrichtungen heranzuziehen,
die gar nicht am Orte des Betriebes, sondern an weitentfernten Orten
liegen, so daß die eigenen Leute der Fabrik niemals Gelegenheit haben, aus
diesen Einrichtungen Vorteil zu ziehen.

Was den zweiten Vorschlag anbetrifft, die Höhe der Beitragspflicht der
Industrie zu den Handwerkskammern nach der Kopfzahl der von jeder Fabrik
beschäftigten, handwerksmäßig ausgebildeten Arbeiter zu bemessen, so erscheint
dieser Weg schon deshalb ungangbar, weil die Feststellung, welche Arbeiter
jeweilig in den einzelnen industriellen Betrieben aus dem Handwerk stammen,
eine ständige Kontrolle verlangen würde, eine solche Kontrolle aber bei dem
häufigen Wechsel der Arbeiterschaft als völlig undurchführbar bezeichnet werden muß.

Wenn aber ungeachtet dieser schwerwiegenden Bedenken das Handwerk trotzdem
auf der Forderung beharrt, daß die Industrie zu den Unterhaltungskosten der
Handwerkerorganisationen generell und direkt herangezogen wird, so dürfte zunächst
einmal die Frage zu klären sein, in welcher Weise für eine entsprechende Ver¬
tretung der Industrie in den Handwerkskammern gesorgt werden soll, damit erstere
ein Mitbestimmungsrecht über die Verwendung der aufgebrachten Beiträge hat.
Zu dieser, eigentlich selbstverständlichen Forderung haben indessen die Hand¬
werkerkreise bisher entweder keine Stellung eingenommen oder sie haben sie
sogar abgelehnt.




Aus den vorstehenden Darlegungen dürfte sich ergeben, daß das Drängen
des Handwerks, die Machtsphäre seiner Interessenvertretungen auf die Industrie
auszudehnen, durchweg der Berechtigung entbehrt. Vor allem ist die Forderung,
die industriellen Betriebe zu den Kosten der Handwerkerausbildung allgemein
durch Reichsgesetz heranzuziehen, in keiner Weise begründet, und die in dieser
Hinsicht von den Vertretern des Handwerks gemachten Vorschläge müssen als
undurchführbar angesehen werden. Es wird einem Zweifel nicht unterliegen,
daß, falls eine Sonderbelastung der Industrie zugunsten des Handwerks eingeführt
werden sollte, dieses Vorgehen unbedingt zu einer weiteren, sehr schnellen Ent¬
wicklung der Lehrlingsausbildung in den Fabriken führen würde, so daß dem
Handwerk nicht der erhoffte Nutzen, sondern empfindlicher Schaden entstehen


Förderung des Handwerks ^uf Kosten der Industrie?

Diese Ausführungen des Herrn Ressortministers sind ohne Zweifel besonders
bezeichnend. Es dürfte ferner aber auch stark gegen den Vorschlag sprechen,
daß er auf die lokalen Verhältnisse keinerlei Rücksicht nimmt. Bei seiner Ver¬
wirklichung würden alle Industriebetriebe, also auch diejenigen gleichmäßig
belastet werden, die nicht den geringsten Nutzen von der Handwerksausbildung
haben, da sie entweder überhaupt keine handwerksmäßig vorgebildeten Arbeiter
in ihren Betrieben beschäftigen oder weil aus örtlichen Gründen die für die Lehr¬
lings- und Gesellenausbildung von den Handwerkskammern getroffenen Ein¬
richtungen für sie nicht in Frage kommen. In dieser Beziehung ist bereits
früher im Parlamente zutreffend auf den Umstand hingewiesen worden, daß es
ungerechtfertigt sei, Fabriken zu den Kosten für Einrichtungen heranzuziehen,
die gar nicht am Orte des Betriebes, sondern an weitentfernten Orten
liegen, so daß die eigenen Leute der Fabrik niemals Gelegenheit haben, aus
diesen Einrichtungen Vorteil zu ziehen.

Was den zweiten Vorschlag anbetrifft, die Höhe der Beitragspflicht der
Industrie zu den Handwerkskammern nach der Kopfzahl der von jeder Fabrik
beschäftigten, handwerksmäßig ausgebildeten Arbeiter zu bemessen, so erscheint
dieser Weg schon deshalb ungangbar, weil die Feststellung, welche Arbeiter
jeweilig in den einzelnen industriellen Betrieben aus dem Handwerk stammen,
eine ständige Kontrolle verlangen würde, eine solche Kontrolle aber bei dem
häufigen Wechsel der Arbeiterschaft als völlig undurchführbar bezeichnet werden muß.

Wenn aber ungeachtet dieser schwerwiegenden Bedenken das Handwerk trotzdem
auf der Forderung beharrt, daß die Industrie zu den Unterhaltungskosten der
Handwerkerorganisationen generell und direkt herangezogen wird, so dürfte zunächst
einmal die Frage zu klären sein, in welcher Weise für eine entsprechende Ver¬
tretung der Industrie in den Handwerkskammern gesorgt werden soll, damit erstere
ein Mitbestimmungsrecht über die Verwendung der aufgebrachten Beiträge hat.
Zu dieser, eigentlich selbstverständlichen Forderung haben indessen die Hand¬
werkerkreise bisher entweder keine Stellung eingenommen oder sie haben sie
sogar abgelehnt.




Aus den vorstehenden Darlegungen dürfte sich ergeben, daß das Drängen
des Handwerks, die Machtsphäre seiner Interessenvertretungen auf die Industrie
auszudehnen, durchweg der Berechtigung entbehrt. Vor allem ist die Forderung,
die industriellen Betriebe zu den Kosten der Handwerkerausbildung allgemein
durch Reichsgesetz heranzuziehen, in keiner Weise begründet, und die in dieser
Hinsicht von den Vertretern des Handwerks gemachten Vorschläge müssen als
undurchführbar angesehen werden. Es wird einem Zweifel nicht unterliegen,
daß, falls eine Sonderbelastung der Industrie zugunsten des Handwerks eingeführt
werden sollte, dieses Vorgehen unbedingt zu einer weiteren, sehr schnellen Ent¬
wicklung der Lehrlingsausbildung in den Fabriken führen würde, so daß dem
Handwerk nicht der erhoffte Nutzen, sondern empfindlicher Schaden entstehen


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[0234] Förderung des Handwerks ^uf Kosten der Industrie? Diese Ausführungen des Herrn Ressortministers sind ohne Zweifel besonders bezeichnend. Es dürfte ferner aber auch stark gegen den Vorschlag sprechen, daß er auf die lokalen Verhältnisse keinerlei Rücksicht nimmt. Bei seiner Ver¬ wirklichung würden alle Industriebetriebe, also auch diejenigen gleichmäßig belastet werden, die nicht den geringsten Nutzen von der Handwerksausbildung haben, da sie entweder überhaupt keine handwerksmäßig vorgebildeten Arbeiter in ihren Betrieben beschäftigen oder weil aus örtlichen Gründen die für die Lehr¬ lings- und Gesellenausbildung von den Handwerkskammern getroffenen Ein¬ richtungen für sie nicht in Frage kommen. In dieser Beziehung ist bereits früher im Parlamente zutreffend auf den Umstand hingewiesen worden, daß es ungerechtfertigt sei, Fabriken zu den Kosten für Einrichtungen heranzuziehen, die gar nicht am Orte des Betriebes, sondern an weitentfernten Orten liegen, so daß die eigenen Leute der Fabrik niemals Gelegenheit haben, aus diesen Einrichtungen Vorteil zu ziehen. Was den zweiten Vorschlag anbetrifft, die Höhe der Beitragspflicht der Industrie zu den Handwerkskammern nach der Kopfzahl der von jeder Fabrik beschäftigten, handwerksmäßig ausgebildeten Arbeiter zu bemessen, so erscheint dieser Weg schon deshalb ungangbar, weil die Feststellung, welche Arbeiter jeweilig in den einzelnen industriellen Betrieben aus dem Handwerk stammen, eine ständige Kontrolle verlangen würde, eine solche Kontrolle aber bei dem häufigen Wechsel der Arbeiterschaft als völlig undurchführbar bezeichnet werden muß. Wenn aber ungeachtet dieser schwerwiegenden Bedenken das Handwerk trotzdem auf der Forderung beharrt, daß die Industrie zu den Unterhaltungskosten der Handwerkerorganisationen generell und direkt herangezogen wird, so dürfte zunächst einmal die Frage zu klären sein, in welcher Weise für eine entsprechende Ver¬ tretung der Industrie in den Handwerkskammern gesorgt werden soll, damit erstere ein Mitbestimmungsrecht über die Verwendung der aufgebrachten Beiträge hat. Zu dieser, eigentlich selbstverständlichen Forderung haben indessen die Hand¬ werkerkreise bisher entweder keine Stellung eingenommen oder sie haben sie sogar abgelehnt. Aus den vorstehenden Darlegungen dürfte sich ergeben, daß das Drängen des Handwerks, die Machtsphäre seiner Interessenvertretungen auf die Industrie auszudehnen, durchweg der Berechtigung entbehrt. Vor allem ist die Forderung, die industriellen Betriebe zu den Kosten der Handwerkerausbildung allgemein durch Reichsgesetz heranzuziehen, in keiner Weise begründet, und die in dieser Hinsicht von den Vertretern des Handwerks gemachten Vorschläge müssen als undurchführbar angesehen werden. Es wird einem Zweifel nicht unterliegen, daß, falls eine Sonderbelastung der Industrie zugunsten des Handwerks eingeführt werden sollte, dieses Vorgehen unbedingt zu einer weiteren, sehr schnellen Ent¬ wicklung der Lehrlingsausbildung in den Fabriken führen würde, so daß dem Handwerk nicht der erhoffte Nutzen, sondern empfindlicher Schaden entstehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/234>, abgerufen am 01.10.2024.